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# taz.de -- TAZ-SERIE SCHILLERKIEZ: Die Kneipen: Bürgerliche Langeweile
> Eckkneipen prägten einst den Schillerkiez in Berlin-Neukölln. Doch mit
> dessen Aufwertung weicht langsam auch der alte Geist.
Bild: Die große Zeit der Futschis - Weinbrand gemischt mit Cola - ist im Schil…
Neulich wieder, erzählt Willi, habe ein Stammgast in den Knast gemusst,
wegen nicht bezahlter Strafgelder. Da haben sie zusammengelegt, die
Vereinskasse geplündert. Der Kumpel kam nochmal davon. "Wenn einer in die
Brenne kommt", sagt Willi, "helfen wir ihm da raus."
Schon morgens hängen inmitten der Woche Nikotinschwaden in Willis
Eckkneipe, dem "Darts e. V." - "Raucher-Vereinsheim" steht an der Tür. Ein
Gast lässt sich einen Wodka einschenken. Drei große Dart-Automaten stehen
im Raum, ein paar Tische, ein selbst gebauter Holztresen. Auf den Regalen
reihen sich Pokale, Bierhumpen und meterweise VHS-Spielfilmkassetten.
Willi setzt sich mit einem Pott Kaffee und Zigarette an den Stammtisch. Den
alten Kneipen im Schillerkiez gehe es nicht gut, sagt der bärtige Mann mit
dem grauweißen Zopf, dem weit aufgeknöpften Karohemd. "Die Leute haben kein
Geld mehr, kommen nur noch, um nicht zu Hause zu vereinsamen." Und die
neuen Zuzügler, die Studenten und Familien, die kämen eben nicht in die
Eckkneipen. Willi lacht sein rauchiges Lachen: "Die Gutbürgerlichen sind
halt ein bisschen langweilig."
Der 61-Jährige gehört zu den dienstältesten Wirten im Quartier. 1986 kam er
hierher. Zuerst mit einem Sexshop, dann mit diversen Kneipen. Zuletzt über
zehn Jahre lang mit dem "Promenadeneck", einer verrauchten Kneipe direkt am
Kiezboulevard, der Schillerpromenade. Vor drei Jahren musste Willi dort
dichtmachen und eine Ecke weiter ziehen. In halb so große Räume. Die Miete
war zu hoch, der Schnapsverkauf eingebrochen.
Willi zählt laut, seine Stammgäste mit Arbeitsplatz. Eins, zwei. Pause.
"Wars schon, glaub ich." Dann: "Ach doch!" Drei, vier. Die Stammgäste haben
eine Art Hilfswerk gegründet. Zusammen machen die knapp 40 Mitglieder
Großeinkäufe, man teilt sich die Autos von denen, die noch welche haben.
Und am Monatsanfang legt jeder einen Obolus in den Spendenkasten an der
Wand. "Jeder, so viel er hat", sagt Willi. Minimum 1,50 Euro. Wem zum
Monatsende das Geld ausgeht, kriegt was aus der Kasse. Der Schillerkiez,
sagt Willi, sei eben lange Zeit kein einfaches Pflaster gewesen. Das aber
ändere sich ja gerade.
## Studenten statt Stampen
Willis Dart-Kneipe, das "Allereck", das "Schillers", der "Bierbaum", das
"Bechereck". Jahrzehntelang waren es die Eckstampen, die den Schillerkiez
prägten. "Futschi" für 1 Euro hier, "Buffet ab 23 Uhr zum Bier umsonst"
dort. Paffende Biertrinker an Holztresen, hinter Spitzengardinen, im
Schummerlicht.
Doch das Bild stimmt nicht mehr. Zuerst kam das "Circus Lemke", 2009 schon.
Ein gemütlich-gedrängtes Alternativcafé mit Kachelofen, Quiche und Obstler.
Später dann die Studentenkneipe "Frollein Langner", das Café "Engels" mit
selbst gemachtem Kuchen. Vor wenigen Tagen erst die "Pappelreihe", wo es
zur Lektüre zum Frappé regalweise Zeitschriften gibt. Wer sehen will, wohin
der Schillerkiez steuert, kann den Wandel an seinen Kneipen ablesen.
Im früheren "Promenadeneck", wo einst Willi hinter dem Tresen stand,
bedient jetzt Robert Bettendorf. Ein 34-Jähriger mit schwarzem "Hells
Kitchen"-Shirt, kurzem Struwwelhaar, zwei Ringen im linken Ohr. Im Januar
hat Bettendorf hier sein "Heisenberg" eröffnet: Flohmarktsofas, Kerzen auf
den Fensterbrettern, Großleinwände mit Modernmalerei an unverputzten
Wänden, softer Dubstep aus den Boxen.
Früher war der gebürtige Rheinländer Küchenchef in den Delikatesslokalen
"Fleischerei" und "Filetstück" an der Schönhauser Allee. Abends fuhr er
zurück in den Schillerkiez. Seit fünf Jahren wohne er hier, sagt
Bettendorf. Irgendwann habe er seine Freunde gefragt, ob sie auch merkten,
"was hier gerade abgeht". Die Gerüste vor den Fassaden, die Umzugswagen.
Dann habe er sein Erspartes genommen, um "selbst was zu machen".
15 Kubikmeter Schutt habe er allein am ersten Wochenende aus dem alten
"Promenadeneck" geholt, erzählt Bettendorf. Sechs Monate habe er mit
Bekannten am "Heisenberg" gewerkelt. "Als alles fertig war, hatte ich ein
paar Wodka-Flaschen im Regal, aber keine Kohle mehr."
Heute hocken im "Heisenberg" Gäste um Tische aus Obstkisten, in einer Ecke
wird Englisch gesprochen. Es gibt Augustiner-Bier, Biowein und Whiskey,
zehn Jahre alt. Er wolle seinen Besuchern "keinen Scheiß, sondern Qualität"
anbieten, sagt Bettendorf. "Ein Stück Kultur", nur ohne abgehobene
Attitüde. "Leg die Füße auf den Tisch, lauf barfuß rum, egal."
Und trotzdem: Nur wenige Wochen nach Umbaubeginn prangte eine gesprayte
Parole an der Fassade: "They say gentrify, we say occupy." Die Linken aus
der Weisestraße legten auf ihren "Kiezspaziergängen gegen Aufwertung" einen
Zwischenstopp vor dem "Heisenberg" ein. Im Kiez tauchten Plakate auf: "Dear
students, artists & travellers", heißt es dort auf Englisch. Neukölln werde
gerade zum "trendy new district" mit "fancy bars and hip restaurants
opening on every corner". Verdrängung und steigende Mieten werde man sich
aber nicht gefallen lassen.
Bettendorf machen die Vorwürfe fuchsig. "Ich bin kein Investor, ich will
hier kein Prenzlberg, um dicke Kohle zu verdienen." Bettendorfs Vision ist
eine andere: kleine Festivals für den Kiez. Zusammen mit den anderen
Kneipen, nicht gegeneinander. Oder, wie kürzlich, eine Spendenparty für den
Kinderladen nebenan. Vor ein paar Wochen hat auch Bettendorf das
Anti-Gentrifizierungs-Plakat ins Schaufenster gehängt.
## Neues Publikum unbeliebt
Im Syndikat in der Weisestraße, einer mit Antifa-Postern verhängten
Kollektivkneipe, ist man auf die neuen Kollegen trotzdem schlecht zu
sprechen. Punkrock dröhnt durch die dunklen Räume, ein großes Pils für zwei
Euro, hinten wird Billard und Kicker gespielt. Seit 26 Jahren gebe es das
Syndikat im Schillerkiez, erzählt der nasengepiercte Barmann. "Zu Zeiten,
als hier noch niemand wohnen, geschweige denn feiern wollte."
Heute sei das anders. Die vielen Zugezogenen, die neuen Kneipen - "enorm"
sei das, sagt der Barmann. "Muss man aufpassen, dass das nicht so ein
Simon-Dach-Scheiß wird." Immer mal wieder würden sich jetzt Leute ins
Syndikat verirren. "Das lass ich die dann schon spüren."
Nebenan in der "Langen Nacht" ging man noch einen Schritt weiter. In der
Wohnzimmerkneipe, früher unter dem Namen "Lohffs" auch schon seit zwanzig
Jahren im Kiez, treffen sich Alt- und Neukiezler zum lokalgebrauten
"Rollberg-Bier" am ellenlangen Tresen. Als der Betreiber der Kulturbar
"Froschkönig", etwas weiter die Straße runter, zu Jahresanfang aufhören
wollte, schnappte sich "Lange Nacht"-Barmann Frank den Laden. Weil er hier,
anders als in der fußballlastigen Hauptkneipe, mehr Konzerte und Lesungen
machen könne, sagt der 37-Jährige. "Aber auch, weil lieber wir als jemand
anders in den Laden kommen sollte." Jemand von außen. Von den Aufwertern.
Im "Froschkönig" laufen nun wie eh und je weiter Stummfilmabende, begleitet
auf einem 150 Jahre alten Flügel. Und seit Frank da ist, auch Folk- und
Blueskonzerte. Im "Circus Lemke" holen sie ab und an den Plattenspieler
raus. Und im "Heisenberg" legte zur Eröffnung ein "Bar 25 special guest"
auf. Der Schillerkiez der Eckkneipen hat sich in kleine, gastronomische
Mikrokosmen gespalten. In Orte, die seine neue Bewohnerschaft spiegeln. In
eine neue Vielfalt. Nur: bisher fast ohne Berührung zwischen Bestehendem
und Neuem.
Beim "Darts e. V." raucht Willi seine vierte Zigarette, fast ohne
Unterbrechung. Früher habe er alle im Kiez gekannt, sei mit anderen Wirten
von Kneipe zu Kneipe gezogen. "Heute modelt so jeder vor sich hin." Im
"Heisenberg", seinem alten "Promenadeneck", sei er noch nicht gewesen,
"keine Zeit".
Auch Stammgast Peter schüttelt den Kopf, zieht den Qualm seiner Zigarette
durch die Zahnlücken. Fast so lange wie Willi habe er im "Promenadeneck"
gestanden, "vor und hinter dem Tresen". Das Neue da drüben, das sei jetzt
nicht mehr dasselbe. "Da gehste nicht einfach rein, das macht das Herz
nicht mit."
17 Jun 2011
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
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