# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Das Feld: Die neue Freiheit ist nicht umson… | |
> Das Tempelhofer Feld bringt den Menschen im Kiez neue Möglichkeiten: | |
> Anwohner haben Gemeinschaftsgärten angelegt, doch beim Tratsch unter | |
> Nachbarn geht es auch um die steigenden Mieten. | |
Bild: Die Tempelhofer Freiheit kann auch teuer werden | |
Die Sonne brennt heiß auf das Tempelhofer Feld. Dabei steht sie schon so | |
tief, dass alles in goldenes Licht gekleidet ist und jeder Mensch, jeder | |
Hund, jedes Ding einen langen Schatten wirft. Ein ungewohntes Bild in einer | |
Stadt, in der der Horizont von Häusern verstellt ist und man im Schatten | |
sitzt, lange bevor die Sonne untergeht. Zwei pubertierende Jungen üben am | |
Ende der ehemaligen Rollbahn das Skateboardfahren, andere heizen mit ihrem | |
Fahrrad über den Asphalt oder lassen Drachen steigen. Doch die meisten | |
Besucher schlendern einfach durch die Gegend und lassen ihren Blick über | |
das weite Feld schweifen. | |
Bis zu 50.000 Menschen kommen an Sonntagen wie diesem auf das Feld, sagt | |
die Betreiberfirma Grün Berlin, die möchte, dass man diesen Ort in der | |
Zeitung nur als "Tempelhofer Freiheit" bezeichnet. 50.000, das ist eine | |
Menschenmenge, die reicht, um das Olympiastadion zu zwei Dritteln zu füllen | |
- aber wenn sie auf einer Fläche von über 400 Fußballfeldern verteilt ist, | |
meint man, dass gerade mal ein paar Dutzend Menschen ihren Weg hierher | |
gefunden hätten. | |
Auf einer Wiese kurz hinter dem Eingang Oderstraße, der den ehemaligen | |
Flughafen mit dem Neuköllner Schillerkiez verbindet, steht ein bunt | |
zusammengewürfelter Haufen von Blumen- und Gemüsebeeten, die in halbwegs | |
gerade zusammengezimmerten Bretterverschlägen in die Höhe wachsen. Die | |
meisten Beete sehen nicht so aus, als entsprächen sie der Norm eines | |
deutschen Kleingärtnervereins: Zu allen Seiten sprießt das Grün zwischen | |
den Brettern heraus. Ein paar wenige wirken allerdings sehr gepflegt, nach | |
einzelnen Gemüsesorten getrennt. Es sind die Gemeinschaftsgartenprojekte | |
Allmende-Kontor, Rübezahl und der Stadtteilgarten Schillerkiez, die seit | |
diesem Frühling in direkter Nachbarschaft zum Kiez entstehen. Jeder, der | |
möchte, kann hier ein eigenes Beet anlegen und die Großstadt für eine Zeit | |
vergessen. | |
Einige Wochenendausflüger laufen durch die Gärten, die so dicht | |
beieinanderstehen, dass man als Außenstehender schwer sagen kann, wo der | |
eine Gemeinschaftsgarten anfängt und der andere aufhört. An manchen Beeten | |
bleiben die Besucher stehen und gucken nach, was genau dort wächst. Eine | |
junge Frau mit ihrem Kind steht an dem selbst gemalten Schild mit der | |
Aufschrift "Stadtteilgarten Schillerkiez" und liest die Infozettel. Dort | |
wird erklärt, dass der Stadtteilgarten eines der Pionierprojekte ist, die | |
sich erfolgreich für die Erstnutzung auf dem Feld beworben haben. | |
Vor dem Schild sitzen fünf der Kiezbewohner, die hier regelmäßig ihre | |
freien Tage und Feierabende verbringen. Sie lassen sich die Sonne auf den | |
Kopf knallen und witzeln miteinander. "Das Interesse ist so groß, dass man | |
das Schild auch dreimal so groß hätte machen können", sagt Christian und | |
lehnt sich auf seinen Holzstuhl zurück. Der 47-Jährige war einer der | |
Initiatoren, die den Stadtteilgarten ins Leben gerufen haben. "Ungefähr | |
zehn Leute aus dem Kiez haben hier Beete angelegt", erklärt er. Manche von | |
ihnen seien fast jeden Tag hier, es gebe aber auch welche, die nur ihre | |
Balkonpflanzen hinstellen, damit sie jemand gießt während des Urlaubs. | |
## "Schuss ins Blaue gewagt" | |
Einen echten Querschnitt der Kiezbevölkerung stellt die Gärtnergemeinschaft | |
nicht dar. Anders als bei dem fünfmal größeren Nachbarprojekt Allmende | |
Kontor, wo am Beet von Muzaffer aus Kreuzberg "Naturschutz geht vor" auf | |
Deutsch und Türkisch steht, ist kein einziger Migrant unter den | |
Beetbetreuern aus dem Schillerkiez. "Viele Leute aus dem Kiez kommen aber | |
einfach so hier vorbei, um zu entspannen und zu plaudern", sagt Christian. | |
Das Ansinnen hinter dem Stadtteilgarten sei ohnehin über das Gärtnern | |
hinausgegangen. Einen neuen Treffpunkt wollten sie hier schaffen. "Das | |
funktioniert auch gut. Oft kommt man mit Leuten aus dem Kiez ins Gespräch, | |
mit denen man sonst nichts zu tun hätte." | |
Mit Bekannten, die er vom Erwerbslosenfrühstück im Stadtteilladen Lunte her | |
kannte, hatte Christian die Idee, sich für die Pioniernutzung auf dem | |
Tempelhofer Feld zu bewerben. "Wir haben einfach den Schuss ins Blaue | |
gewagt", erzählt er. "Dabei hatten wir den Antrag gar nicht so ausführlich | |
aufgesetzt." Dennoch hatten sie Erfolg, und den Kiezbewohnern wurde eine | |
Fläche von 1.000 Quadratmetern für ihren Gemeinschaftsgarten zur Verfügung | |
gestellt. 1.000 Euro Nutzungsentgelt müssen sie jährlich dafür bezahlen und | |
sind deshalb auf der Suche nach Förderern. Der Vertrag solle jeweils für | |
ein Jahr verlängert werden, erklärt Christian. Das habe man ihnen für die | |
ersten drei Jahre zugesichert. Wie es danach weitergehen wird, weiß | |
niemand. Die Fläche, auf der sich momentan die Gemeinschaftsgärten | |
befinden, soll auf jeden Fall bebaut werden. Doch was genau hier entsteht | |
und auch wann, ist immer noch unklar. | |
Bei der Präsentation der Parkpläne im April hat die künftige Randbebauung | |
für großes Empören unter den Anwohnern gesorgt. Viele befürchten nicht nur, | |
dass der weite Blick, der das Feld so einzigartig macht, neuen Gebäuden | |
weichen muss, sondern auch die weitere Aufwertung der Mietpreise, die | |
unausweichlich ist, wenn Investoren in ein paar Jahren schicke Townhouses | |
neben dem Schillerkiez hochziehen. "Ich habe noch keinen gefunden, der | |
sagt, hier sollen solche Häuser gebaut werden", sagt Christian, "so was | |
hört man vielleicht in irgendwelchen Cafés in der Friedrichstraße." | |
Ein Mann um die 50, ausgewaschenes gelbes Hemd mit schwarzen Punkten, läuft | |
gemütlich durch die Reihen der Gemüsebeete, streicht hier und da zärtlich | |
über ein Blatt, spricht hier und da mit Bekannten. Es ist Ali aus dem | |
Schillerkiez, der alle paar Tage seine Runde dreht und Hände schüttelt. Ein | |
eigenes Beet hat er nicht, "Aber ich habe schon bei einigen Leuten | |
mitgeholfen. Dort hinten habe ich zum Beispiel die Kürbisse mit reingetan | |
und wenn ich sehe, dass etwas trocken ist, dann gieße ich auch mal." 1987 | |
ist Ali in den Kiez gezogen. Damals flogen noch täglich Flugzeuge über sein | |
Haus. "Wenn man einmal das Fenster länger offen gelassen hat, lag eine | |
schwarze Staubschicht auf den Möbeln." | |
## Einmaliger Weitblick und relative Ruhe | |
Hinter einer Baumreihe ragen die oberen Gebäudehälften der Oderstraße | |
hervor. Bis vor drei Jahren rauschten die startenden Maschinen dicht über | |
diese Häuser hinweg. Das Tempelhofer Feld brachte den Menschen in der | |
Oderstraße vor allem Lärm und wenig Entspannung. Seit der Flugbetrieb 2008 | |
eingestellt wurde, ist damit Schluss. Wer heute dort oben über den | |
Baumreihen wohnt, der genießt nicht nur einen Weitblick, der in Berlin | |
seinesgleichen sucht, sondern auch relative Ruhe. Viele Leute wären bereit, | |
dafür zu bezahlen. Und so ist das Feld für die Menschen aus dem | |
Schillerkiez Segen und Fluch zugleich. Jeder hier weiß, dass der ehemalige | |
Problembezirk dabei ist, sich in eine begehrte Adresse nicht nur für | |
Studenten zu verwandeln. | |
"Wenn man die Wohnungen jetzt teurer weitervermieten und verkaufen kann, | |
ist es einfach die logische Konsequenz, dass die Mieten steigen", sagt | |
Christian. Auch er hat Angst, dass er sich seine Wohnung bald nicht mehr | |
leisten kann. Deshalb möchte er genauso wenig wie Ali seinen vollen Namen | |
in der Zeitung lesen. Man müsse sein Glück ja nicht herausfordern, sagt er. | |
Immerhin weiß Christian auch einige Geschichten von Leuten aus dem | |
Schillerkiez zu erzählen, die die Gentrifizierung bereits getroffen hat. So | |
habe ihm eine Altenpflegerin von alteingesessenen Bewohnern der Oderstraße | |
erzählt, die "fadenscheinige Kündigungen" erhalten, aber erfolgreich | |
dagegen geklagt hätten. Andere Bewohner hätten grundlos überzogene | |
Betriebskostenabrechnungen erhalten. Wiederum andere hätten von ihrem | |
Vermieter einen Brief mit angekündigten Modernisierungsmaßnahmen erhalten. | |
"Da stand dann mehr oder weniger drauf, dass sich die Leute lieber etwas | |
anderes suchen sollten", so Christian. Ob er sich selbst vorstellen kann, | |
aus dem Schillerkiez wegzuziehen? "Irgendwann werde ich keine andere Wahl | |
haben. Ich gehe aber nur sehr ungern weg. Hier fühle ich mich wohl." | |
20 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Fischer | |
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