# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Eine erste Bilanz: "Der Tempelhofer Park wa… | |
> Vor einem Jahr wurde das Flugfeld des ehemaligen Flughafens Tempelhof zum | |
> Park. Was hat sich dadurch im Neuköllner Schillerkiez verändert? | |
Bild: Proteste gegen den Zaun um den ehemaligen Flughafen vom Juni 2009 | |
Beate Hauke, Vorsitzende des Vereins Pro Schillerkiez | |
"Ich betrachte den Schillerkiez ja durch die Initiativen, in die ich hier | |
eingebunden bin. Die Wohnungsbörse ist aus der Not entstanden, weil es an | |
Mietern fehlte, die in den Schillerkiez ziehen wollten. Inzwischen wurde | |
der Schillerkiez durch das geöffnete Flugfeld so interessant, dass es mehr | |
Nachfragen als leere Wohnungen gibt. Allein für Hartz-IV-geeignete | |
Wohnungen habe ich 25 Interessenten auf der Warteliste. Aber auch für gut | |
Verdienende und Gewerbetreibende kann ich nicht mehr viel tun. Die meisten | |
Mietinteressenten nutzen andere Wege, um an eine Wohnung zu kommen, sie | |
bewerben sich direkt beim Vermieter. Zu Besichtigungsterminen erscheinen | |
häufig 20 bis 60 Personen. Ich glaube, die Börse wird nicht mehr | |
gebraucht." | |
Elisabeth Kruse, Pfarrerin der Genezareth-Kirche am Herrfurthplatz | |
"Es gibt deutlich mehr junge Leute, Familien und szenige Lokale hier als | |
noch vor einem Jahr. Am Ostermontag etwa war die Kirche voll, das habe ich | |
seit Jahren nicht erlebt - für mich ein sehr ermutigendes Erlebnis! | |
Ich selbst bin von der Schillerpromenade an die Oderstraße gezogen, mit | |
Blick auf den Park. Die Miete ist bezahlbar, und es ist ruhiger als | |
mittendrin. Besonders an sonnigen Tagen herrscht ein reger | |
Durchgangsverkehr, alles ist zugeparkt. Ich genieße diese Betriebsamkeit: | |
Es ist fast eine Urlaubsatmosphäre, die heilsam wirkt auf einen Alltag, der | |
vom engen, aggressiven Aufeinandersitzen geprägt ist. Der neue Freiraum tut | |
der Gegend gut, was aber nicht heißt, dass sich die Probleme in | |
Wohlgefallen aufgelöst hätten. Deshalb hoffe ich auch, dass der Zaun | |
bleibt: Der Park braucht nachts Ruhe und Schutz." | |
Felix Seeger, Künstler und Bewohner des Hauses Lichtenrader Straße 32 | |
"Ich wohne immer noch in der WG im zweiten Stock, in die wir vor neun | |
Jahren gezogen sind. Früher waren wir zehn Leute in vier Wohnungen. | |
Zusammen bildete das Hinterhaus ein künstlerisches Wohn- und | |
Arbeitskollektiv namens L32. Mittlerweile ist unsere Wohnung die einzige im | |
Haus, die noch nicht verkauft worden ist. Die anderen sind ausgezogen. | |
Hier im Haus herrscht Aufbruchstimmung. Die neuen Eigentümer renovieren | |
fleißig. Haben will man uns hier nicht mehr: Die neuen Eigentümer haben | |
Kameras am Eingang und in den Höfen installiert. Und im Gespräch mit | |
Kaufinteressenten war schon die Rede von den ,Hausbesetzern', dabei haben | |
wir immer Miete gezahlt. | |
Einfach so gehen wollen wir nicht. Wir warten den Ausgang des | |
Gerichtsverfahrens ab, das zwischen uns und der Hausverwaltung läuft. Es | |
wird wohl nicht gut für uns ausgehen. Wir rechnen mit August - dann müssen | |
wir wohl spätestens hier raus. Ich werde dann nach Kreuzberg ziehen. | |
Eigentlich schade, wo es hier gerade anfängt, nett zu werden." | |
Kerstin Schmiedeknecht, Quartiersmanagerin | |
"Stimmungsmäßig hat das Feld viel verbessert: Dieser hoch verdichtete Kiez | |
braucht eine Ausgleichsfläche. Die hat er jetzt. Ich selbst gehe zweimal | |
täglich dort spazieren und freue mich über das friedliche Zusammenleben, | |
die gelöste Atmosphäre. | |
Dass durch dieses Juwel sich das Leben verteuert - diese Sorge ist | |
verständlich. Es erreichen uns auch Hinweise auf Hausbesitzer, die jetzt | |
versuchen, große Gewinne zu machen. Gerüchte und Vermutungen helfen aber | |
nicht weiter, man braucht Zahlen, um die tatsächlichen Wohn- und | |
Eigentumsverhältnisse richtig einschätzen zu können. Der Senat hat dazu | |
eine Studie in Auftrag gegeben, auf die Ergebnisse bin ich sehr gespannt. " | |
Ingrid Brügge, Quartiersrätin, macht Stadtteilführungen mit ihrem Dackel | |
Dagmar | |
"Ich habe jetzt diesen wunderschönen Park vor meiner Tür! Fast jeden Tag | |
bin ich dort mit meinem Dackel. Es tut gut, diese Weite zu haben und die | |
frische Luft. Über die Bebauungspläne will ich nicht meckern, da lass ich | |
mich überraschen. Ich hoffe nur, dass am Ende genügend Freiflächen bleiben | |
und ein paar Bäume, weil es im Sommer dort wirklich sehr heiß ist. | |
Der Schillerkiez hat sich zuletzt schon verändert. Man merkt, dass eine | |
andere Klientel hergekommen ist: Besserverdienende und Studenten. Das hat | |
die Bildungsfernen etwas zurückgedrängt aus dem öffentlichen Bild. Wenn es | |
so bleibt wie gerade, wäre das schön. Mehr Alteingesessene sollten aber | |
nicht weggehen, sonst steigen die Mieten sicher noch mehr." | |
Marina Kremlevskaja, Wirtin der Kneipe "Bechereck" | |
"Gerade sind wieder drei meiner Stammgäste weggezogen, weil die Mieten zu | |
hoch sind. Wenn noch mehr Gäste wegziehen, wird es für mich schwer. Aber | |
ich ziehe mein Konzept durch, ich denke positiv. Von der Parkeröffnung habe | |
ich noch nicht profitiert. Es waren schon mal Studierende da zum | |
Billardspielen, ansonsten will höchstens mal einer die Toilette benutzen. | |
Meine Gäste sind viel auf dem Feld, ich auch. Gestern habe ich mir ein | |
Skateboard von einem Gast ausgeborgt und damit fahren gelernt. Es ist gut, | |
die ganzen Familien und anständigen Leute auf dem Feld zu sehen. Früher war | |
es voll hier von Asozialen, heute gibt es viele Studenten. Es ist auch | |
sauberer geworden, das hat was. Ich sag immer, bald ist das hier Prenzlauer | |
Berg!" | |
Nana Appia-Kubi, Sekretärin der "Precious Blood of Jesus | |
christ"-Pfingstgemeinde | |
"Ich wohne nicht mehr im Schillerkiez, sondern in Charlottenburg. Nicht | |
wegen der Mieten, sondern wegen der Schule für meinen Sohn. Die Neuköllner | |
Schulen waren mir zu chaotisch. Viele Kinder sprechen da ja leider kaum | |
deutsch zu Hause. In Charlottenburg ist das etwas anspruchsvoller, da | |
nehmen die Schüler das Lernen ernster. | |
Die meiste Zeit verbringe ich noch in Neukölln. Hier ist das Leben | |
lockerer. Mein Freundeskreis lebt hier. Hier ist meine Gemeinde. Und hier | |
gibt es meine Afro-Shops. Der Tempelhofer Park war die beste Idee! Alle | |
Menschen machen dort einen glücklichen Eindruck. Die Gestaltungsidee mit | |
dem Berg und den Wassergräben finde ich gut. Auf keinen Fall sollten dort | |
Häuser gebaut werden. Der Park muss ein Treffpunkt für alle bleiben!" | |
Jochen Herberg, Hartz-IV-Bezieher und Aktivist in der Stadtteilinitiative | |
Schillerkiez | |
"Dass das Tempelhofer Feld vor einem Jahr eröffnet wurde, hat erst den | |
Protest verschiedenster Menschen und Gruppen ermöglicht. Die Menschen haben | |
das Feld angenommen. Die Mehrheit findet es gut so, wie es ist. Die Weite, | |
seine Einzigartigkeit, seine Rauheit. Es fehlen höchstens Sitzmöglichkeiten | |
und einige Bäume für mehr Schatten. | |
Allerdings hat die Öffnung des Feldes auch die Aufwertung des | |
Schillerkiezes beschleunigt. Die Mieten steigen rapide, für Menschen mit | |
wenig Geld findet sich kaum noch was. In der Schillerpromenade wird eine | |
Wohnung für eine Kaltmiete von 9,68 Euro pro Quadratmeter angeboten! Und | |
zuletzt haben drei Bars geöffnet, in denen sich überwiegend die Generation | |
Laptop tummelt. Mittlerweile ist mehr Englisch auf den Straßen zu hören als | |
Türkisch oder Arabisch. | |
Der Senat macht jetzt wieder viel Getöse um seine Planung für die | |
Parklandschaft Tempelhof. 61 Millionen sollen für einen Park verschleudert | |
werden, den keiner so braucht! Bei dem Geplane geht es doch nur darum, die | |
Randbebauung des Feldes für Investoren attraktiv zu machen. Dass diese | |
Bebauung durchgezogen werden soll, obwohl sich niemand dafür begeistern | |
kann, sollten wir verhindern." | |
Irmgard Rakowsky, Hauswartin an der Schillerpromenade | |
"Sauberer ist es im letzten Jahr geworden - auf der Schillerpromenade, auf | |
den Spielplätzen. Es wird jetzt viel öfter Müll beseitigt, auch Hundehaufen | |
gibt es weniger. Und ruhiger ist es. Autos dürfen jetzt nur noch 10 | |
Stundenkilometer auf der Promenade fahren, viele Alkoholiker sind | |
verschwunden. | |
Ich hab mich hier schon immer wohl gefühlt, aber jetzt ist es noch etwas | |
angenehmer. In unseren beiden Häusern hat sich wenig geändert. Wir haben | |
fast nur angestammte Mieter, die nicht wegziehen. In meinem Haus leben zwei | |
neue junge Familien, in der Kienitzer fast nur Studenten. Die Anfragen sind | |
enorm: Ich könnte fünf Wohnungen und drei Läden füllen! | |
Unsere Mieten haben wir nicht erhöht. Nur da, wo jemand auszieht und wir | |
sanieren, erhöhen wir geringfügig. Seit den 20 Jahren, die ich jetzt hier | |
Hauswartin bin, machen wir das so. Aber drum herum müssen wir jetzt | |
wahnsinnig aufpassen, dass wir nicht überteuerte Mieten bekommen. | |
Vielleicht sollten sich die privaten Hauswirte hier im Schillerkiez mal | |
zusammensetzen und sich was überlegen." | |
PROTOKOLLE: NINA APIN, KONRAD LITSCHKO | |
5 May 2011 | |
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