# taz.de -- Taz-SERIE SCHILLERKIEZ: Wie gelernt wird: Schule hat ein Elternprob… | |
> In der öffentlichen Grundschule versuchen Sozialarbeiter, die Eltern zu | |
> erreichen. IIn der Privatschule in dem Neuköllner Viertel ist Engagement | |
> der Eltern hingegen Pflicht. Das hat jedoch seinen Preis. | |
Bild: Hausaufgaben gemacht? Schüler in Neukölln | |
Die Karl-Weise-Schule ist die einzige staatliche Grundschule im | |
Schillerkiez. Ein hoher Backsteinbau, der sich zwischen die vierstöckigen | |
Altbauten der Weisestraße drängt, die Gänge sauber, beige gestrichen, die | |
Türen leuchtend blau. Der Schulhof, eingefasst von Hausfassaden, wurde vor | |
einigen Jahren neu gestaltet, eine Gruppe Jungs spielt lärmend Basketball, | |
auf dem Spielfeld nebenan kicken fünf Mädchen. Im Schülercafé verkaufen | |
zwei ABM-Kräfte belegte Brötchen für 30 Cent, auf den Terrakottatöpfen | |
klebt noch das Preisetikett. | |
Von der Weisestraße, in der die Schule liegt, sind es nur zwei Ecken bis | |
zum ehemaligen Flugfeld Tempelhof. Seit der Flughafen 2008 geschlossen und | |
2010 als Park geöffnet wurde, hat im Kiez ein rasanter Wandel eingesetzt. | |
Längst gibt es kaum noch leerstehende Wohnungen, die Mieten steigen, | |
Studierende, Künstler und besser Verdienende ziehen her. An der | |
Weise-Schule ist davon nichts zu spüren. Sie kämpft mit denselben Problemen | |
wie viele Schulen in Neukölln generell: Im Kiez leben Menschen aus vielen | |
Ländern, für 77 Prozent der Schüler ist Deutsch nicht Muttersprache. Die | |
Anmeldezahlen sind laut Senatsverwaltung rückläufig: 2009 besuchten noch | |
368 Schüler die Weise-Schule, derzeit sind es 344, ab Herbst werden es 320 | |
sein. | |
Vielleicht ist das ein Grund, warum die Schulleitung keine Auskunft über | |
die Schule gibt - man habe schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht. | |
Auch Franziska Giffey, Bezirksstadträtin für Bildung und Schule in | |
Neukölln, erklärt nur vage: "Die Schulen im und um den Schillerkiez sind | |
gut aufgestellt." Dann verweist sie an Senat und Quartiersmanagement | |
Beate Stoffers, Sprecherin von Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD), zählt | |
eine ganze Reihe von Problemen auf, mit denen die Schulen im Schillerkiez | |
zu kämpfen hätten: mangelnde Beherrschung des Deutschen, Überforderung der | |
Eltern, die soziale Situation und kulturelle Abgrenzungen der Schüler | |
untereinander. "Die Schulen spiegeln natürlich die Anwohnerstruktur | |
wieder", sagt Victoria Casodino, zuständige Mitarbeiterin im QM, "und im | |
Schillerkiez hat nun einmal ein sehr großer Teil einen | |
Migrationshintergrund." Hinzu kämen soziale Probleme: Mehr als 40 Prozent | |
der Anwohner leben von Hartz IV. "Das schlägt sich im Verhalten und den | |
Schulleistungen der Kinder nieder", so Casodino. An der Karl-Weise-Schule | |
habe es "massive Probleme" gegeben: verhaltensauffällige und | |
"schuldistanzierte" Kinder, die den Unterricht störten, die zu spät oder | |
gar nicht zum Unterricht erschienen. 2008 hat das QM deshalb das Projekt | |
"Elternschule" ins Leben gerufen. Seither arbeiten mehrere Sozialarbeiter | |
an der Schule. Die Lehrer wenden sich bei Problemen an sie, die Mitarbeiter | |
der Elternschule laden die Eltern zum Gespräch oder besuchen diese zu | |
Hause. Bei Bedarf arbeitet die Elternschule auch mit dem Jugendamt oder | |
anderen offiziellen Stellen zusammen. | |
"Wir vermitteln die Eltern auch mal an die Arbeiterwohlfahrt oder die | |
Schuldnerberatung weiter", erklärt Gülsüm Gebesoy, Mitarbeiterin der | |
Elternschule. Das Projekt wurde bisher vom QM finanziert. In Zukunft trägt | |
das Jugendamt die Kosten. | |
Hat sich dadurch die Situation an der Schule verbessert? "Natürlich kann | |
man nie alle Eltern erreichen", sagt Gebesoy. Eine erste Evaluation habe | |
das Projekt jedoch positiv bewertet und die Fortsetzung empfohlen. "Die | |
Schulen gehen sehr kreativ mit der schwierigen Situation um", sagt | |
QM-Mitarbeiterin Casodino. Den "konstanten Geldmangel" an der Schule könne | |
das jedoch nicht ausgleichen. | |
Was ist mit den Kindern derjenigen, die in den letzten Jahren vermehrt in | |
den Kiez gezogen sind: Studierende, Künstler, besser Verdienende? Ziehen | |
sie weg, wenn ihre Kinder in die Schule kommen? QM-Mitarbeiterin Casodino | |
zögert mit einer Antwort. "Es ist schon so, dass man das öfter mitbekommt. | |
Aber es gibt auch immer wieder Fälle, dass sich Eltern zusammentun, ihre | |
Kinder hier auf die Schule schicken und sich sehr für eine Verbesserung der | |
Schulsituation engagieren." Einen Anstieg von Kindern aus bildungsnahen | |
Familien könne sie zumindest an der Weise-Schule nicht feststellen. | |
Probleme wie fehlende Unterstützung durch die Eltern oder sinkende | |
Anmeldezahlen kennt man zwei Straßen weiter, in der Mahlower Straße 28, | |
nicht. Dort hat im Hinterhaus eines frisch sanierten Gewerbehofes die | |
private Johann-Georg-Elser-Schule ihren Sitz. 1989 hat Gisela Klatt mit | |
ihrem Mann einen Kinderladen gegründet, daraus entstand die Idee einer | |
privaten Grundschule, 2003 startete mit zwölf Schülern der erste Jahrgang. | |
Heute hat die Schule 110 Kinder, gerade ist die erste Realschulklasse | |
gestartet. Das Konzept: "eine vollkommene Individualisierung". Die Kinder | |
sollen selbstbestimmt, nach ihrem Tempo lernen, Frontalunterricht gibt es | |
nicht. | |
Gisela Klatt sitzt in ihrem schmalen Büro, eine zierliche Frau im weißen | |
Pullover, die schnell und entschieden spricht. Lange Zeit, sagt sie, sei es | |
ein Tabu gewesen zu sagen, dass viele Schüler riesige Defizite mitbrächten. | |
Heute dürfe man das zum Glück wieder offen aussprechen. "Die Eltern vieler | |
migrantischer Kinder haben wenig Bildung, sie kennen das Schulsystem | |
nicht", sagt Klatt. "Aber sie wollen hier in Deutschland ankommen. Sie | |
wollen, dass ihre Kinder hier ankommen. Dabei helfen wir ihnen." | |
An der Elser-Schule haben 80 Prozent der Schüler einen | |
Migrationshintergrund. Die meisten Schüler haben zuvor bereits den | |
zugehörigen Kindergarten besucht. Ab zwei Jahren gibt es Sprachförderung | |
mit einem selbst entwickelten Sprachlernprogramm, ab vier Jahren Vorschule. | |
"Die Eltern müssen das Konzept mittragen", sagt Klatt. Ihre Unterstützung | |
ist ein Aufnahmekriterium für die Schule, das andere | |
"Sozialverträglichkeit". Leistung spiele für die Aufnahme keine Rolle, | |
auffälliges Verhalten hingegen werde nicht toleriert. Bei Verstößen gegen | |
die Schulordnung, rüden Ausdrücken oder Handgreiflichkeiten gibt es Tadel, | |
zweimal schon mussten Schüler gehen. | |
Der Andrang ist groß - trotz der 180 Euro, die die Schule im Monat kostet. | |
Ausnahmen für Eltern mit geringem Einkommen gibt es nicht. Dennoch, | |
behauptet Gisela Klatt, seien auch Hartz-IV-Empfänger unter den Eltern. Sie | |
würden das Geld an anderer Stelle einsparen: "Die Eltern wissen, worauf es | |
ankommt." | |
Es gibt noch eine dritte Schule im Schillerkiez, auch wenn es genau | |
genommen keine Schule ist, sondern nur ein Teil davon. Im Gemeindehaus der | |
Genezareth-Gemeinde an der Schillerpromenade hat die gymnasiale Oberstufe | |
der Evangelischen Schule Neukölln ihre Räume, die zugehörige Grundschule | |
hat ihren Sitz in der Mainzer Straße nahe dem Hermannplatz. Die | |
Klassenräume sind frisch saniert, die Wände rosa oder hellgrün gestrichen, | |
im Untergeschoss gibt es ein Bistro mit Sofas und Spielen. | |
Die Klassen der Evangelischen Schule haben in der Grundschule im Schnitt | |
26, in der Mittelstufe 23 Schüler. Englischunterricht gibt es ab Klasse 3, | |
als AGs werden Sport, Kunst, Musik und Latein angeboten. Anders als an den | |
Schulen ringsum ist der Anteil migrantischer Schüler gering - die Pflicht, | |
den evangelischen Religionsunterricht, Andachten und Gottesdienste zu | |
besuchen, schließt muslimische Kinder in den meisten Fällen aus, ebenso die | |
bevorzugte Aufnahme der Kindern von Eltern, die in einer Gemeinde aktiv | |
sind. Zwischen 45 und 315 Euro kostet der Besuch im Monat, | |
geringverdienenden Familien kann er ermäßigt oder erlassen werden, hinzu | |
kommen die Kosten für den Hort. Auch hier ist der Andrang groß, die Schule | |
kann längst nicht alle Interessenten aufnehmen. | |
Wie viele Kinder aus dem Schillerkiez die Schule besuchen, kann man im | |
Sekretariat der Schule nicht sagen: "Darüber führen wir keine Statistik. | |
Aber sicher kommen Schüler dorther." Es gebe eine erhebliche Fluktuation | |
der Schüler in den Schulen im Schillerkiez, heißt es von Seiten des | |
Bezirksamtes. Dies sei jedoch auch an anderen Stellen Neuköllns, etwa im | |
Reuterkiez, der Fall. Dort ist der einstige Problemfall Rütlischule zum | |
Vorzeigeprojekt herausgeputzt worden. Im Schillerkiez hingegen kämpfen die | |
öffentlichen Schulen weiterhin mit knappen Mitteln gegen die Folgen der | |
sozialen Probleme und die Gefahr, dass die wachsende Spaltung des Kiezes | |
auch die Kinder trifft. Wer kann, weicht auf Privatschulen aus - die | |
gebildete Mittelschicht, die in den letzten Jahren in den Schillerkiez | |
zieht, ebenso wie migrantische Eltern, die ihren Kindern eine möglichst | |
gute Zukunft bieten wollen. Zu Lasten derer, denen dazu der Ehrgeiz oder | |
das nötige Geld fehlt. | |
23 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Juliane Schumacher | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin | |
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