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# taz.de -- Taz-Serie Schillerkiez: Die linke Opposition: Alles soll so bleiben…
> Von ihrem Hauptquartier aus, der "Lunte", dokumentiert eine linke
> Stadtteilinitiative jedes Anzeichen von Aufwertung im Schillerkiez. Im
> Visier haben sie nicht nur Investoren, sondern auch das
> Quartiersmanagement.
Bild: Auch da war die Stadtteilgruppe dabei: Protest gegen Tempelhofer Zaun 200…
Eine Viertelstunde redet Rechtsanwältin Ewa Gill nun schon, und immer noch
kommen Nachzügler in den kleinen Seitenraum der Genezarethkirche. Es ist
ein denkbar trockenes Thema, über das die Mietrechtsexpertin referiert:
Betriebskostenabrechnung. Doch ihre Zuhörer - Studierende, Arbeitslose,
viele Ältere - schreiben aufmerksam mit und grummeln so etwas wie
"Frechheit", wenn Gill vor "Kostenfallen" warnt.
Jochen Herberg, ein kleiner, grauhaariger Mittfünfziger, steht hinten im
Kirchenraum an einem Tisch. Er hat Flyer gegen Mietsteigerungen sowie die
linke Kiezpostille Randnotizen dort ausgelegt. Mit 20 Besuchern habe er an
diesem Mittwochabend gerechnet, flüstert Herberg erstaunt. Jetzt seien es
fast 70. Offensichtlich gebe es in der Nachbarschaft beim Thema Mieten
"reichlich Infobedarf". Und vom Bezirk sei ja keine kostenlose Beratung zu
haben.
Herberg, ein nüchterner Typ in schwarzem Anorak und Jeans, ist Mitglied der
Stadtteilinitiative Schillerkiez, die an diesem Abend zur Infoveranstaltung
geladen hat. Der Langzeitarbeitslose ist einer, der, selbst wenn er sich
aufregt, kaum eine Miene verzieht. Seit sieben Jahren wohnt er in dem
Neuköllner Viertel, gerade schleppt er sich durch einen 1-Euro-Job:
Beauftragter für Computertechnik an einer Schule. Jochen Herberg heißt
eigentlich anders, aber seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung
lesen. Denn nicht alle im Kiez sind gut zu sprechen auf die
Stadtteilgruppe.
Die Veranstaltung finde in der Genezarethkirche statt, weil es sonst im
Viertel kaum größere Räume gebe, berichtet Herberg. Und weil sich
vielleicht nicht jeder dorthin traue, wo sich die Gruppe sonst immer trifft
- im Stadtteilladen Lunte.
Die Lunte ist das Hauptquartier der Stadtteilinitiative. Ein über und über
mit Antifa-Plakaten zugehängter Infoladen in der Weisestraße, mit
abgewetzten Sofas und "anarchosyndikalistischem Tresen" am Montag. Einmal
die Woche sitzt hier die Gruppe zusammen, schreibt Flugblätter, plant
"Kiezspaziergänge gegen Aufwertung", dokumentiert jede Veränderung im
Viertel. Die Linken haben ein Ziel: den Schillerkiez vor der
Gentrifizierung retten.
Jochen Herberg würde das so nicht mehr sagen. Zu abgenutzt sei der Begriff
Gentrifizierung, eine Kampfvokabel inzwischen. "Wir wollen einfach
Mieterhöhungen und Verdrängung verhindern. Jeder, der hier wohnt, soll hier
wohnen bleiben dürfen." Die Strategie: Aufklärung der Anwohner über
Mieterrechte und Aufwertungsmechanismen. "Damit sich die Leute am Ende
zusammensetzen und wehren."
Es war die "Task Force Okerstraße", wegen der sich die Stadtteilinitiative
vor anderthalb Jahren gründete. Eine soziale Einsatzgruppe, ins Leben
gerufen vom Quartiersmanagement, die sich im Austausch mit Polizei und
Justiz um die als "Problembereich" markierte Okerstraße kümmern sollte.
"Nachbarschaftskonflikte, vernachlässigte Kinder aus Roma-Familien,
Vermüllung" werden in einem Strategiepapier genannt.
Eine Kriegserklärung
Die Linken indes werteten das als Gipfel einer forcierten Aufwertung des
Viertels und sprachen von einer "Kriegserklärung". Schwachen werde mit
Repression gedroht, Probleme würden ethnisiert. In der Folge trafen sich
Protestierer zu "Drink-ins" vorm Quartiersmanagements, mit Transparenten
zog eine Demo bis vor die Tür: "Packt eure Task Force ein, keine
Ausgrenzung und Verdrängung." Noch heute ziert ein Graffiti die Jalousie
des Büros: "QM einebnen".
Drinnen will man zu den Linken wenig mehr sagen. Nur so viel: Es sei
schwierig, mit "Akteuren im Dunkeln" zu kommunizieren, die sich in
"pauschaler Kritik" ergingen. Das Quartiersmanagement widme sich sozialen
Problemen, zu deren Lösung es keine Alternative gebe. Für Herberg ist es
schlicht überflüssig. "Sozialarbeit ist nicht Aufgabe eines
Privatunternehmens, sondern des Sozialstaats, eine Selbstverständlichkeit."
Die "Akteure im Dunkeln" sind ein knappes Dutzend Linker aus dem Viertel.
Nicht nur junge Studenten, sondern auch Ältere, Berufstätige wie
Arbeitslose. Meist Leute, die sich Wissen über Stadtentwicklung angelesen
haben und auf die große Kapitalismuskritik zielen. "Von 25 bis 60 Jahre,
alles dabei", sagt Herberg. Die meisten würden schon viele Jahre vor Ort
leben. Einfach Schillerkiezler, die nicht gewillt seien, sich vertreiben zu
lassen.
Die Handschrift der Gruppe findet sich überall im Kiez, rote Schriftzügen
an Häuserwänden. "Wohnraum für alle statt Edelkiez" steht dort, oder
"Integrier dich, Yuppie". Immer wieder auch das plakatierte Konterfei von
Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD): "Ich weiß, wo du
nächsten Sommer nicht mehr wohnen wirst."
Bis zu 50 Anwohner kommen, wenn die Linken alle paar Monate zu
"unabhängigen Stadtteilversammlungen" in die Eckkneipe Lange Nacht laden -
"von Nachbarn für Nachbarn". Dort kann es schon mal schroff werden. Dann
wird Kritikern das Rederecht entzogen oder sich mit Kiezkünstlern
gestritten, ob diese nun Förderer oder Hinderer der lokalen Aufwertung
seien. "Schwierig, schwierig" sei der Kontakt zu den Linken, sagt Reinhard
Lange, Galerist, Mitglied im Quartiersbeirat und seit fünf Jahren
Schillerkiezler. Die Stadtteilgruppe neige zur Ausgrenzung anderer Gruppen,
auch des Quartiersrats. Ihr fehle bisweilen das "Hinterfragen der eigenen
linken Gebetsfloskeln". Etwa über die Task Force, die sich real für
Menschen einsetze, die lange vernachlässigt wurden. "Aber das passt denen
nicht ins Bild." Jedes Fensterputzen, sagt Lange, löse dort gleich
Gentrifizierungspanik aus. Dabei gebe es ja "diese Gefahr", werde der
Schillerkiez durch die Flughafenschließung für Investoren interessant,
betont der Quartiersrat. "Wer das nicht sieht, ist ein Narr." Aber dagegen
müsse man zusammen aktiv werden, an einem Strang ziehen. "Der Schillerkiez
ist zu klein, um hier noch falsche Fronten aufzubauen."
Jochen Herberg spricht lieber von Eigenständigkeit. Man wolle unabhängig
agieren, ohne Verbandelung mit Parteien oder Institutionen. Das hat im
Schillerkiez Tradition. Schon 1989 demonstrierten hier Linke "gegen
Mietausbeutung, Spekulantentum und Stadtteilzerstörung". Seit gut 25 Jahren
existiert der Stadtteilladen Lunte als linkes Epizentrum.
Nur wenige Hausnummern weiter hat sich das "Syndikat" einquartiert: ein
autonomes Kneipenkollektiv, ebenso alt wie die Lunte. "Wenn man so will",
sagt Herberg, "sind das hier die ältesten Institutionen im Kiez." Deren
aktuellstes Projekt: eine Pionierfläche auf dem Tempelhofer Feld, 1.000
Quadratmeter groß. 19 Parzellen hatte der Senat auf dem ehemaligen
Flughafengelände zur Zwischennutzung für die nächsten Jahre ausgeschrieben,
eine ging an die Stadtteilgruppe. Einen Garten als Treffpunkt planen die
Linken. Eine "offene Feldstruktur" mit Erwerbslosenfrühstück und
Infoabenden.
Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft lobt das Engagement.
Eine Aufwertung im Schillerkiez sei nicht zu leugnen. "Es ist das Verdienst
der Stadtteilgruppe, auf die damit einhergehenden Probleme früh aufmerksam
gemacht zu haben." Und wo Mieter über ihre Rechte aufklärt würden, seien
Mieterhöhungen nicht ganz so leicht möglich. Dank der Linken gebe es dafür
heute wieder ein Bewusstsein und "etwas Widerborstigkeit" im Quartier.
Es ist ein akribisch geführter Kampf, den die linken Schillerkiezbewahrer
führen. Es wird dokumentiert, Fragebögen auswertet, Beratungen angeboten.
Nicht das große, bunte Bündnis wird gesucht, wie etwa die Mediaspree-Gegner
im Friedrichshain, sondern der Bund mit den Anwohnern von nebenan. Ihre
Verunsicherung über die Zukunft des Schillerkiezes ist greifbar, nicht nur
in der Genezarethkirche. Noch aber bleibt sie oft folgenlos. Die meisten im
Stadtteil, sagt Herberg, seien mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. "Da
bleibt Politik als Erstes auf der Strecke." Und die Mittel der
Stadtteilgruppe sind begrenzt. Ein bisschen Aufklärung, ein bisschen
Hartz-IV-Beratung - während nebenan in der Lichtenrader Straße die ersten
Lofts zum Kauf feilgeboten werden. 382.000 Euro im "Grundpreis", gleich
neben "Europas größtem innerstädtischem Park".
Die Erfolge der Linken
Dennoch betont Herberg die eigenen Erfolge. Das Quartiersmanagement habe
sich geändert, sei selbstkritischer und offener geworden. Der Quartiersrat
tage öffentlich. "Mit der Geheimpolitik ists vorbei." Dass das
Quartiersmanagement für 2011 "Partizipation" zum Schwerpunkt gemacht und
ein "Jahr des Dialogs und Miteinanders" ausgerufen habe, sei auch dem Druck
von links geschuldet.
Aber kann nicht auch hippe Alternativ-Infrastruktur zum
Attraktivierungsfaktor werden? Herberg überlegt kurz, schüttelt dann den
Kopf. Man sehe es an dem Haus mit dem Treffpunkt Lunte: seit Jahren selbst
verwaltet, Mietwucher gebe es nicht. Aber man müsse aufpassen.
Wie etwa im letzten August. Die Gruppe lud zu ihrem "unabhängigen
Stadtteilfest" mitten auf der Weisestraße. Hunderte kamen, flanierten
zwischen Volxküche-Zelten, Second-Hand-Tischen und der punkbespielten
Bühne, plauderten an Bierbänken. Abends aber waren statt der Anwohner fast
nur noch Alternative da, viele auch aus anderen Ecken Neuköllns und
Kreuzberg. Da sei das Fest "eigentlich schon zu groß" geworden, sagt Jochen
Herberg heute. Man wolle ja schließlich nicht noch Leute zum Feiern in den
Schillerkiez locken.
19 Jan 2011
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
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