# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Eltern werben für die Schulen im Kiez | |
> In Neukölln hat sich eine Elterninitiative gegründet. Ihr Ziel: eine | |
> Schillerkiez-Schule für alle. Die neue Bewegung ist ein Gradmesser für | |
> den sozialen Wandel. | |
Bild: Dicht? Ja, aber in Berlin sind damit nicht die Kneipen gemeint, sondern d… | |
Florians Sohn wird im Januar zwei, bis zum Schulalter ist es noch eine | |
Weile hin. Trotzdem sitzt Florian an einem Montagabend im November im | |
Gemeinderaum des Interkulturellen Zentrums Genezareth: Hier trifft sich die | |
Initiative "Kiezschule für alle". Während seine Frau daheim das Kind ins | |
Bett bringt, kümmert sich Florian um die Zukunft des Kleinen. "Vielleicht | |
noch etwas früh" gibt er zu. "Aber man kann sich ja schon mal umhören". Mal | |
umhören wollen sich auch zwei andere junge Väter von Krabbelkindern, die | |
zum Treffen erschienen sind. Die anderen zehn Eltern, in der Mehrzahl | |
Mütter, treibt ein akuteres Problem um: Sie haben Kinder, die demnächst | |
eingeschult werden sollen, und trauen den Schulen in der Nachbarschaft | |
nicht so recht. Andererseits: "Ich möchte nicht jeden Tag quer durch die | |
Stadt gurken", sagt eine Frau. "Woanders sind die Schulen doch auch nicht | |
besser, oder?" | |
In diesem Satz steckt die ganze Unsicherheit gebildeter | |
Mittelschichtseltern, die in den letzten Jahren den Schillerkiez als | |
innerstädtische Familienwohnlage für sich entdeckt haben. Und nun nicht | |
mehr wegwollen - auch wenn die Schulen in der Nachbarschaft als | |
inakzeptabel für bildungsbewusste Eltern gelten. | |
Dass es die 2010 gegründete Initiative überhaupt gibt, zeigt, wie sehr sich | |
der Kiez seit der Öffnung des Tempelhofer Felds im Mai 2010 gewandelt hat. | |
Hierher ziehen nicht mehr die, die sich woanders keine Wohnung leisten | |
können, sondern Angestellte und Akademiker, die den riesigen Park, die | |
zentrale Lage und das bodenständige Flair schätzen. | |
"Vor sechs Jahren waren die beherrschenden Themen in der Elternberatung | |
noch Bleiberecht und Deutschkurse, jetzt geht es darum, die Infrastruktur | |
für Anspruchsvollere zu verbessern", sagt Evi Lingott, die im Evangelischen | |
Kirchenkreis Neukölln die Elternarbeit leitet. Lingott ist seit sechs | |
Jahren im Schillerkiez und beobachtet, wie sich die Elternschaft langsam | |
verändert. "Hier wiederholt sich gerade die Entwicklung, die vor ein paar | |
Jahren in Kreuzberg stattfand", glaubt sie. | |
Dort haben sich in den vergangenen Jahren mehrere solcher Elterninitiativen | |
gegründet. Auch im Wedding gibt es seit letztem Jahr eine. Das Prinzip ist | |
einfach: Meist überdurchschnittlich gebildete deutsche Muttersprachler tun | |
sich zusammen, um ihre Kinder gemeinsam auf die Schulen der Umgebung zu | |
verteilen, damit sie in der Klasse und auf dem Pausenhof nicht in der | |
absoluten Minderheit sind. Für Schulen, die unter dem Stigma der Migranten- | |
oder Problemschule leiden, können solche Initiativen eine Chance sein, an | |
Profil zu gewinnen. Die Lenau-Schule in Kreuzberg etwa erlaubt seit 2010 | |
die Anmeldung von Kindern in Gruppen, um Eltern im Kiez zu halten. | |
Auch die Grundschulen im Schillerkiez sind bemüht, den Eltern | |
entgegenzukommen. An der Karl-Weise-Grundschule und der | |
Karlsgarten-Grundschule dürfen Kinder, die sich aus dem Kinderladen kennen, | |
gemeinsam eine Klasse besuchen. Eltern, die sich über den Schulalltag | |
informieren wollen, dürfen bei laufendem Betrieb hospitieren. Das ergab ein | |
Fragebogen, den die Elterninitiative an den beiden Grundschulen im | |
Schillerkiez-Einzugsgebiet verteilt hat. | |
"Die Schulen reagierten prompt auf den Fragebogen und insgesamt sehr | |
aufgeschlossen auf uns", berichtet die Initiativen-Mitgründerin Susann | |
Worschech der Runde. Mutter Anja Röding kann das bestätigen. Sie hat eine | |
Woche an der Karlsgarten-Schule hospitiert. Ob sie ihren Sohn Lars 2012 | |
dort einschulen wird, weiß sie noch nicht. "Die geben sich große Mühe. Aber | |
es ist eben schon nicht ohne da", sagt sie nachdenklich. Nicht ohne heißt: | |
Gut 80 Prozent der Kinder sind nichtdeutsche Muttersprachler. Beide Schulen | |
erreichen zu Schuljahresbeginn nur knapp ihre Sollzahlen von rund 90 | |
Erstklässlern. | |
Die evangelische Schule Neukölln, die nur Platz hat für 52 Schulanfänger, | |
hat dieses Problem nicht. Die meisten Eltern, die am Montagabend in der | |
Runde sitzen, haben versucht, ihr Kind dort anzumelden, scheiterten aber an | |
den ellenlangen Wartelisten. | |
"Es muss doch auch so gehen", ist das gemeinsame Credo, das die Elternrunde | |
zusammenhält. "Ich will hier keine Elitenbildung betreiben, aber ich will | |
auch nicht, dass mein Kind leidet", sagt Corinna, deren Sohn seit drei | |
Jahren die Karl-Weise-Grundschule besucht. Ein paar mehr deutsche | |
Muttersprachler wären schon nett, findet sie. Aber die machten sich rar. | |
Schon vor Jahren versuchte die engagierte Mutter, gleichgesinnte Eltern aus | |
den Kinderläden der Umgebung zur Zusammenarbeit zu bewegen - mit wenig | |
Erfolg. Wer nach dem Ende der Kitazeit nicht wegzog, meldete die Kinder in | |
anderen Bezirken an oder drängte in die wenigen Schulen, die in Neukölln | |
als akzeptabel gelten. Etwa die Fritz-Karsen-Schule in Britz oder die | |
Peter-Petersen-Schule am Körnerpark. | |
Eltern wie Corinna oder Arne, dessen Sohn ebenfalls die Karl-Weise-Schule | |
besucht, ärgert das. "Ich musste mich rechtfertigen, warum ich meinem Kind | |
das antue - dabei ist bis jetzt alles super", sagt Arne. Die Initiative | |
will nun gezielt Eltern in Kinderläden und auf Spielplätzen ansprechen, sie | |
zu Schulhospitationen und Diskussionen einladen, um Ängste zu zerstreuen. | |
Zum Beispiel davor, dass die Kinder durch den täglichen Kontakt mit so | |
vielen Nichtmuttersprachlern ihr gutes Deutsch verlieren. "Na ja", sagt | |
Arne da zögerlich, "nach sechs Wochen Schule ist das Deutsch meines Sohnes | |
kontinuierlich schlechter geworden." Das gebe sich, beruhigt Corinna. "Mein | |
Sohn ist inzwischen fließend bilingual - und kann seinen Sprachgebrauch | |
blitzschnell zwischen Schulhof und Deutsch umschalten." | |
Eine kleine Unsicherheit nagte aber auch an ihr. In heimlichen Tests im | |
Bekanntenkreis überprüfte sie, ob gleichaltrige Kinder, die auf | |
"ordentliche Schulen" gehen, mehr wissen, schneller oder besser sind als | |
ihr Sohn. Das war nicht der Fall. Seitdem weiß Corinna, was die Eltern in | |
der Neuköllner Runde bisher nur glauben wollen: Es geht - wenn man sich | |
nicht verunsichern lässt. | |
21 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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