# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: SPD verliert: "Die Bevölkerung hier hat si… | |
> Bei der Wahl haben die Grünen die SPD-Hochburg errungen. Der scheidende | |
> SPD-Abgeordnete Fritz Felgentreu erklärt, warum | |
Bild: War für die Menschen im Schillerkiez nicht mehr so attraktiv: die SPD, h… | |
taz: Herr Felgentreu, Ihre SPD hat am Sonntag den Schillerkiez-Wahlkreis an | |
die Grünen verloren und ist von 40 auf 25 Prozent gestürzt. Was ist da los? | |
Fritz Felgentreu: Das ist richtig schmerzlich, gar keine Frage. Ich glaube, | |
es hat viel damit zu tun, wie sich die Bevölkerung hier verändert hat. Man | |
muss nur gucken, wo die Grünen in Berlin zugelegt haben: in den | |
Außenbezirken kaum, in den Innenbezirken deutlich. Das schlägt sich jetzt | |
auch in Nordneukölln nieder, wo viel studentische Klientel hingezogen ist. | |
Aber SPD-Bürgermeister Buschkowsky hat im Bezirk um 8 Prozentpunkte | |
zugelegt. | |
Offenbar haben die Neuköllner genau differenziert, indem sie die | |
SPD-Politik im Bezirk unterstützt haben und auf Landesebene zu einem | |
anderen Ergebnis gekommen sind. | |
Ihr Verband gilt als rechter Flügel der SPD. | |
Wir haben seit zehn Jahren ein klares Profil. Buschkowsky ist das Gesicht, | |
aber dahinter stehen strategische Entscheidungen der Neuköllner SPD. Und | |
die unterscheiden sich in vielen Punkten von der Landespolitik. | |
Stichwort Veränderung: Waren Sie mal im "Neu Deli" nebenan? | |
Nein, das hat sich noch nicht ergeben. Aber der Laden ist mir auch gleich | |
aufgefallen. | |
Dort werden "fränkische Würste" und "feine Weine" angeboten. Können Sie | |
verstehen, dass einige Anwohner besorgt sind, was nach einem | |
Delikatessenladen als Nächstes kommt? | |
Kann ich. Die Leute merken, dass hier etwas in Bewegung gekommen ist, und | |
fragen sich zu Recht, was das für sie bedeutet. Aber denen sage ich auch: | |
Wir haben hier bestimmt 15 bis 20 Jahre gerungen, einen sozial | |
durchmischten Kiez zu bekommen. Das nämlich hatten wir nicht. Sondern eine | |
sehr von Armut geprägte Monokultur. Es kommt Leben in den Kiez. Es gibt | |
neue Angebote, neue Grünflächen und Spielplätze. Ist doch herrlich. | |
Und die Mieten steigen. | |
Man merkt, dass die Leute genau diese Sorge haben. Das muss man absolut | |
ernst nehmen. Aber auch hier gilt: Vor fünf Jahren hatten wir hier noch | |
viel Leerstand, heute gibt es so etwas wie einen Hype. Bei Neuvermietungen | |
haben wir prozentual mit die höchsten Mietsteigerungen in Berlin. Vom | |
Mietpreisniveau aber bewegen wir uns immer noch im unteren Viertel aller | |
Bezirke, weil wir von so weit unten kommen. In der Einstufung dieser Region | |
als einfache Wohnlage wird sich absehbar nichts ändern. Zur Panik besteht | |
also bisher kein Anlass. | |
Als der Flughafen Tempelhof vor zwei Jahren geschlossen wurde, haben Sie | |
gesagt: Der Schillerkiez wird nicht teurer, sondern schöner. Zu voreilig? | |
Wer damals Sorge um seine Wohnung hatte, der dürfte jetzt merken: Er wohnt | |
noch immer dort und dürfte nicht sonderlich mehr zahlen. Aber klar: Teurer | |
ist es für die geworden, die neu hieherkommen und in eine leere Wohnung | |
ziehen. | |
Sie sehen keine Verdrängung von Einkommensschwachen? | |
Sie müssen gucken, welche Kinder hier zum Schulanfang angemeldet werden. Da | |
zeigt sich, dass der Zuzug noch ein Oberflächenphänomen ist. Im Kern melden | |
immer noch die gleichen Leute wie vor fünf Jahren ihre Kinder an. Und die | |
neuen, jungen Leute gehen wieder, sobald sie eine Familie gründen. | |
Sie haben eine vierjährige Tochter. Würden Sie sie im Schillerkiez zur | |
Schule schicken? | |
Spontan würde ich sagen, eher nicht. Aber ich würde mir die beiden | |
Grundschulen hier sehr genau angucken. Käme ich zum Ergebnis, dass meine | |
Tochter hier optimal gefördert wird, würde ich sie auch hinschicken. Ich | |
kann aber alle Eltern verstehen, die sagen: In Klassen, wo 20 Prozent der | |
Kinder kein Deutsch sprechen und weitere 40 Prozent nur gebrochen, sehe ich | |
keine optimale Förderung. Man macht mit Kindern keine Experimente. | |
Wie kann Politik den Wandel eines Kiezes steuern? | |
Im Schillerkiez ist das schwierig, weil er so kleinteilig ist. Hier hat | |
fast jedes Haus einen anderen Eigentümer. Wichtig wäre Schützenhilfe vom | |
Bund. Die SPD hat dort ja vorgeschlagen, dass Modernisierungskosten zu | |
einem geringeren Teil und nur noch zeitlich begrenzt auf Mieten umgelegt | |
werden können. Und im Bezirk gibt es das Instrument des Milieuschutzes. | |
Dafür wäre jetzt im Schillerkiez der falsche Zeitpunkt, aber man sollte | |
nicht vergessen, dass es dieses Mittel gibt. | |
Linke Kiezgruppen fordern den offensiven "Kampf" gegen die Gentrifizierung. | |
Tja. Ich glaube, das sind Leute, die die Realität durch die Brille einer | |
vorgefassten Meinung wahrnehmen und nicht akzeptieren, dass zum Leben auch | |
Veränderung gehört. Das Stichwort Gentrifizierung nutzen sie auch, um gegen | |
Frauen mit Kinderwagen zu kämpfen. Das halte ich für abwegig, falsch und | |
sogar böse. Jeder sollte hier eine Wohnung finden können - dazu gehören | |
Menschen mit geringem Einkommen, aber genauso auch die Familie mit höherem | |
Erwerb. | |
Was hat Sie 1989 in den Kiez verschlagen? | |
Ich kam als Student nach Berlin, kannte mich nicht aus und hab hier eine | |
Wohnung gefunden, in der ich acht Jahre gelebt habe. Studenten gabs hier ja | |
schon immer. Mit dem Unterschied, dass der Kiez damals noch nicht angesagt | |
war. Ich fand ihn dennoch liebenswert. Neben vielen Migranten lebte damals | |
noch mehr die alte Neuköllner Bevölkerung hier. Sehr normale, sehr | |
zugängliche Leute. | |
Sie haben lange für die Schließung des Flughafens Tempelhof gekämpft. Wo | |
sehen Sie die Zukunft des Feldes? | |
In der Mitte brauchen wir den Park. Hinter der Oderstraße aber, denke ich, | |
könnte man noch einen Straßenzug bauen. Man müsste einen architektonischen | |
Übergang zum Kiez finden, nicht einfach die Blockbauten fortsetzen. Als | |
Zielgruppe könnte ich mir Leute vorstellen, die die soziale Durchmischung | |
noch etwas vorantreiben können. | |
Das wäre das Ende der Gemeinschaftsgärten. | |
Sicher. Man muss aber sehen: Der Boden des Feldes stellt einen erheblichen | |
Sachwert dar. Das ist Vermögen des Landes, also der Berliner. Das darf man | |
nicht einfach verschenken. | |
Bagger gegen Blumen: Gäbe das nicht einen Mordsaufruhr? | |
Na garantiert. Nichts ist in Berlin dauerhafter als Provisorien. Ich glaube | |
aber, man sollte als Politiker nicht das Signal geben, dass solche Projekte | |
an dieser Stelle auf Dauer existieren können. | |
Sie verabschieden sich jetzt aus dem Abgeordnetenhaus. Was geben Sie Ihrer | |
grünen Nachfolgerin mit auf den Weg? | |
Moment, Erol Özkaraca wurde ja auch gewählt, über unsere SPD-Liste. Beiden | |
wünsche ich, dass sie sich einen unverstellten Blick auf die wirklichen | |
Probleme der Menschen erhalten. | |
23 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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