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# taz.de -- Abzug internationaler Truppen in Afghanistan: Offizieller Optimismu…
> Die "Übergabe der Sicherheitsverantwortung" in Afghanistan soll beginnen.
> Das sorgt in der Bevölkerung für gemischte Gefühle. Und schon zu Beginn
> zeigen sich Unschärfen.
Bild: Der Schutz Afghanistans soll bald nicht mehr in Händen der international…
KABUL taz | Die kurze Autofahrt Richtung Mehtarlam, nachdem man von der
Hauptstraße aus Kabul Richtung Osten nach links abgebogen ist, führt durch
eine angenehme Landschaft. Während im Rest des Landes der allgegenwärtige
Staub und die sengende Sonne das Grün des Frühlings langsam zu Graugrün
oder Braun werden lassen, sprießt hier eine beinahe tropische Vegetation;
Tamarisken-Haine wechseln sich mit Zuckerrohrfeldern ab.
An den regulären Posten der afghanischen Nationalarmee wirken die Soldaten
relaxed, sind aber aufmerksam und gut bewaffnet. Patrouillen von
US-Soldaten, die im lokalen Provinzaufbauteam (PRT) stationiert sind, sind
kaum noch zu sehen. Die Abwesenheit der Amerikaner im Umfeld der Hauptstadt
der ostafghanischen Provinz Laghman ist ein erstes Omen für einen Prozess
mit dem sperrigen Namen "Übergabe der Sicherheitsverantwortung", der
zurzeit die politischen Diskussionen in den Hauptstädten der Nato-Länder
wie auch in Kabul bestimmt. Gemeint ist die Übergabe von den Isaf-Truppen
an die Regierung Präsident Hamid Karsais oder, wie es kurz im Nato-Sprech
heißt, die "Transition". Von Washington bis Berlin soll das signalisieren,
dass der Truppenabzug vom Hindukusch nun in Gang kommt.
Merkwürdig ist nur, dass sich der Beginn dieses Prozesses terminlich nicht
fassen lässt. Das Nato-Gipfeltreffen in Lissabon im vorigen November hatte
beschlossen, dass er im laufenden Monat starten soll. Aber wann genau?
Anfang Juli? Schon vorbei, nichts passiert. Mitte Juli? Keiner weiß etwas.
Offizielle Übergabezeremonien gibt es nicht.
Klar ist hingegen, wo die Transition beginnen soll. Karsai hatte in der
portugiesischen Hauptstadt sein Plazet gegeben und in seiner Rede zum
afghanischen Neujahr am 21. März verkündet, dass die afghanischen
Sicherheitskräfte zunächst sieben Gebiete unter ihre Regie nehmen werden,
drei Provinzen und vier Städte: Kabul, das aus dem Stadtgebiet sowie 14
Umlanddistrikten besteht, Pandschir und Bamian sowie Masar-i-Scharif - mit
dem Bundeswehr-geführten Isaf-Regionalkommando Nord vor den Toren der Stadt
-, Herat nahe der iranischen Grenze sowie Laschkargah und Mehtarlam, zwei
paschtunischen Provinznestern. Ende 2014 soll die Übergabe in ganz
Afghanistan abgeschlossen sein.
Aber selbst in Phase 1 gibt es ein paar Unschärfen: Das Kabuler Stadtgebiet
wurde schon 2008 übergeben, ebenfalls ganz ohne Militärgedröhn. Im Umland
bleibt nun der Distrikt Sarobi ausgeklammert, an dem sich zuerst die
Bundeswehr und später französische Truppen ihre Zähne ausbissen. Und
schließlich beginnt die Transition zwar irgendwann im Juli, kann sich aber
- "situationsabhängig", wie die Nato es nennt - ebenfalls bis 2014
hinziehen.
## Selbstbewusst in Laghman
In Laghman, einer paschtunischen Gegend mit signifikanter Aktivität der
Aufständischen, aber nicht auf dem Niveau Südafghanistans, gibt man sich
unterdessen eindeutig und selbstbewusst. "Mehtarlam ist faktisch schon
übergeben", sagt ein US-Offizier im PRT. Der Chef des Provinzrates Qari Mir
Hatem erklärt selbstbewusst: "Was die Leute hier wollen, ist einfach
Sicherheit, und Gott sei Dank sind wir in der Lage, das mit unseren eigenen
Sicherheitskräften zu erreichen".
Dabei hat man das Bild etwas aufgehübscht. Zuerst wurde der Stadtkreis
Mehtarlam geteilt. Übergeben wird nun nur die urbane Hälfte, während im
ländlichen, problematischen Umland - nun als neuer Distrikt Badpach - erst
mal alles beim Alten bleibt. Badpach war fast die ganzen letzten zehn
Jahre, nach dem Sturz des Taliban-Regimes, nicht unter Regierungskontrolle
und ein sicherer Hafen für die Aufständischen geblieben.
Gleichzeitig stellen die Amerikaner in Zusammenarbeit mit dem Kabuler
Innenministerium in Badpach Einheiten einer "Afghanischen Lokalpolizei"
(ALP) auf, einer unkonventionellen Parallelpolizei. Sie steht auch
übergelaufenen Aufständischen sowie lokalen Kommandeuren offen. Aber diese
Strategie ist riskant, vor allem langfristig. Sollten sich die
"reintegrierten" Kämpfer wieder eines anderen besinnen und ihre Anführer
Deals mit den Aufständischen eingehen, könnte das Gebiet der Regierung
rasch wieder entgleiten.
Zudem lassen jüngste Entwicklungen die Sicherheitssituation in Laghman
sowie den vier anderen Provinzen der afghanischen Ostregion weiter in
negativer Richtung ausschlagen: Nördlich von Laghman, in der äußerst
unzugänglichen Provinz Nuristan, ist ein ganz anderer Transitionsprozess in
Gange. Dort haben die US-Truppen die Rede Präsident Barack Obamas vom 23.
Juni über die erste Phase des Truppenrückzugs erst gar nicht abgewartet.
Schon ab 2009 gaben sie dort Vorposten auf, in denen die Zustände aus
"Apokalypse Now" makabre Urständ gefeiert hatten: Leben auf engstem Raum
unter ständigem Beschuss, umgeben von einer feindlichen, kampferfahrenen
Bevölkerung, geführt von jungen unerfahrenen Offizieren und weit entfernt
vom nächsten Stützpunkt, mit den entsprechenden psychologischen Folgen -
Klaustrophobie, Schlägereien, hasserfüllter Beschuss von Bergdörfern.
## Polizei zurückgedrängt
Nur zeigte sich die afghanische Armee unwillig, in die aufgegebenen
US-Stellungen nachzurücken. So drängen die Aufständischen die zahlenmäßig
unterlegene Polizei immer weiter zurück. Die Taliban nahmen die
Distriktzentren Barg-i-Matal und Waygal ein, ohne - wie sonst üblich -
durch einen sofortigen Gegenangriff zurückgeschlagen zu werden. Im Juni
konnte die Polizei einen wütenden Angriff auf die Provinzhauptstadt Parun
gerade noch zurückschlagen. Aber die Aufständischen kontrollieren alle
Zugänge, errichteten eine strikte Blockade und lassen weder Lebensmittel
noch Medikamente durch.
Ein ähnlicher "taktischer Rückzug" wie in Nuristan, motiviert durch hohe
US-Verluste über Jahre hinweg, vollzieht sich in der nordöstlich
angrenzenden Provinz Kunar. Dort weigerten sich schon im Jahr 2003 die
örtlichen US-Truppen, ihr PRT zu Patrouillen zu verlassen, da sie sicher
sein konnten, dass ihnen die Aufständischen spätestens auf dem Heimweg
auflauerten. Das war keine Kunst: Kunar hat nur eine asphaltierte Straße
entlang des gleichnamigen Flusses, und wer sie hinunterfährt, kommt
irgendwann den gleichen Weg wieder hinauf.
Diese Art von Rückzug wird damit begründet, dass man sich auf die
bevölkerungsreichen, strategisch wichtigen Gebiete entlang der Ringstraße
Kabul-Kandahar-Herat-Masar-i-Scharif konzentrieren wolle. Doch wenn die
Kabuler Regierung die Kontrolle über Kunar, Nuristan und selbst Teile
Laghmans aufgibt, können die Taliban und andere Aufständische von dort aus
Druck auf die urbanen Transitionsinseln aufbauen. Im Gegensatz zu den
westlichen Soldaten sind sie es gewohnt, in den "staubigen Distrikten" zu
überleben.
Im Resultat kontrollieren die Taliban in Ostafghanistan fast ungestört
einen Korridor, der von der Grenze Pakistans nicht nur bis nach Mehtarlam
reicht, sondern auch der Hauptstadt Kabul gefährlich nahe kommt. Die
Richtlinien für die Transition, auf die sich die afghanische Regierung und
ihre allmählich abziehenden Nato-Verbündeten geeinigt haben, sehen aber
vor, dass dieser Prozess irreversibel sein soll: direkte Rückkehr
ausländischer Truppen ausgeschlossen.
## Berechtigte Furcht
##
Wie das ins Auge gehen kann, beweist Nuristan mit seiner inoffiziellen
Transition. In einem übereilten Versuch Ende Mai, den Fall eines weiteren
Distriktzentrums - Du-Ab - an die Taliban zu verhindern, flogen
US-Kampfflugzeuge eine Serie von Luftangriffen. Dabei töteten sie eine
unbekannte, auf jeden Fall aber große Anzahl von Menschen, Aufständische,
afghanische Polizisten und Zivilisten. Die Lehre: Wenn man einen Ort erst
mal verlassen hat, wird es schwieriger und verlustreicher, Probleme dort
von außen zu lösen. Und was im Kleinen für Nuristan gilt, wird im Großen
auch für ganz Afghanistan gelten, ab 2014.
Hinter einer Fassade offiziellen Optimismus verbirgt sich denn auch eine
Atmosphäre des Zweifels und der Angst in der Bevölkerung. Wie berechtigt
die Furcht ist, zeigte der Angriff eines Taliban-Kommandos auf das
eigentlich gut geschützte Kabuler Intercontinental-Hotel am 28. Juni, bei
dem 14 Polizisten und Gäste umkamen. Als Nachhall jagten die Taliban am
Sonntag einen Sprengsatz an einer belebten Kabuler Straßenkreuzung in die
Luft und verletzten vier Polizisten. "Wenn die westlichen Truppen abziehen
und die Soldzahlungen ausbleiben", so Muhammad Sarif Naseri, Vorsitzender
einer kleinen, aber traditionsreichen prodemokratischen Partei, "wird es im
nächsten Moment keine afghanische Armee oder Polizei mehr geben."
Thomas Ruttig ist Kodirektor und Fabrizio Foschini Junior Analyst des
Afghanistan Analysts Network (AAN) in Kabul.
10 Jul 2011
## AUTOREN
F. Foschini
T. Ruttig
## TAGS
Taliban
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