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# taz.de -- Afghanische Politiker im Interview: "Auch die Taliban werden nicht …
> Vertrauen und Versöhnung werden dem Land Frieden bringen. Ein Gespräch
> zwischen dem früheren Taliban-Botschafter Zaeef und Karsai-Berater
> Stanekzai - als wäre der Krieg schon vorbei.
Bild: Beratung der Ältesten in einem südafghanischen Dorf (Provinz Helmand).
taz: Herr Stanekzai und Mullah Zaeef, warum sind Verhandlungen die einzige
Lösung des Afghanistan-Konflikts?
Mohammad Masoom Stanekzai: Wir müssen das Erbe von über 30 Jahren Konflikt,
Teilung und Leid überwinden. Alle Seiten in so einen Prozess einzubringen
und ein friedliches Zusammenleben zu erreichen geht nur mit Verhandlungen,
ganz egal, wer gerade in der Regierung oder im Widerstand ist.
Mullah Abdul Salam Zaeef: Keine Seite kann den Krieg gewinnen und ewig
fortführen. Trotzdem wird er leider noch eine Weile weitergehen, obwohl das
Leid schon lange anhält. Aber politische Verhandlungen sind der einzige
Weg, das Problem des Krieges zu lösen.
Auch die Taliban können nicht gewinnen?
Zaeef: Was sollen die Taliban denn bei einem Sieg machen? Afghanistan ist
ein Teil der Welt und mit der braucht es gute Beziehungen. Das muss
politisch organisiert werden und damit sollte lieber heute als morgen
angefangen werden.
Viele würden die Führer der Taliban lieber vor Gericht stellen als mit
ihnen verhandeln.
Zaeef: So funktioniert Afghanistan nicht. Wichtig ist, dass es erstmal
Frieden gibt. Nur einzelne Leute vor Gericht zu stellen und andere nicht
bringt keinen Frieden. Diese Einteilung in Gute und Böse ist die Propaganda
des bisherigen Krieges.
Stanekzai: Im Verlauf des Konfliktes gab es Opfer und Täter auf allen
Seiten. Deshalb kann nicht mit dem Finger nur auf eine Gruppe gezeigt
werden. Die Verbrechen müssen anerkannt, aber auch vergeben werden, sonst
kann es keinen Frieden geben. Nur so kann die Spirale der Gewalt beendet
werden. Dann kann Versöhnung kommen. Und dabei dürfen wir niemanden
ausschließen, sowohl bei der politischen wie der anschließenden
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung.
Wie verhindern Sie dann Straflosigkeit und eine Wiederholung der
Verbrechen?
Stanekzai: Solange der Krieg nicht beendet ist, kann auch Straflosigkeit
nicht verhindert werden. Krieg unterminiert auch die Schaffung des
Rechtsstaates, der Sicherheit und Gerechtigkeit. Der erste Schritt muss
deshalb sein, Gewalt und Leid zu verringern. Danach müssen wir eine
gemeinsame Vision aller Afghanen umsetzen. Dabei ist Vergeben und
Versöhnung der einzige Weg zu Stabilität.
Vergrößert die Tötung Osama bin Ladens die Aussichten für Verhandlungen?
Zaeef: Nein. Osamas Name wurde nur missbraucht. Er war eine machtlose und
wehrlose Person, die nichts mit dem Konflikt in Afghanistan zu tun hat.
Wenn die Amerikaner und Europäer das für Verhandlungen ausnutzen wollen,
dann können sie das tun. Aber für die andere Seite spielt das keine Rolle,
denn sie sind Afghanen und nicht al-Qaida und sie kämpfen in Afghanistan.
Stanekzai: Al Qaida hat eine globale Agenda, die sich von der nationalen
Agenda der Taliban unterscheidet. Deshalb hat der UN-Sicherheitsrat ja
jetzt auch die Sanktionsliste geteilt. Bin Ladens Tod ermöglicht jetzt
Pakistan eine Politik der Negation zu überwinden, denn Islamabad sagte ja
immer, er sei nicht im Land. Sein Tod wirkt sich aber nicht auf Afghanistan
aus, auch nicht auf Verhandlungen, denn das ist ein ganz eigener Prozess.
Präsident Karsai hat schon lange vorher eine Versöhnungspolitik verkündet,
die auch von der internationalen Gemeinschaft bei der Londoner
Afghanistan-Konferenz beschlossen wurde.
Mullah Zaeef, westliche Diplomaten, die mit den Taliban verhandeln wollen,
fragen Sie jetzt oft um Rat. Was raten Sie?
Zaeef: Erstens müssen die Taliban-Führer von der Schwarzen Liste genommen
werden, zweitens brauchen die Taliban eine anerkannte und geschützte
Adresse, über die sie kontaktiert werden können, zu der auch ihre Führer
kommen können, ohne Risiko der Festnahme oder Tötung. Ist auf sie weiterhin
ein Kopfgeld ausgesetzt, können sie dem Verhandlungsprozess nicht trauen.
Drittens sollten die Taliban nicht verbal verdammt werden, denn sie sind
eine politische und keine kriminelle Bewegung. Die 6.000 bis 7.000
gefangenen Taliban in den zahlreichen afghanischen wie amerikanischen
Gefängnissen von Bagram bis Guantánamo sollten besser behandelt werden.
Gefangene aus Guantánamo sollten nach Afghanistan gebracht oder
freigelassen werden. Werden all diese vertrauensbildenden Maßnahmen
umgesetzt, sehen die Taliban, dass Verhandlungen ernst gemeint sind.
Herr Stanekzai, was halten Sie von diesen Empfehlungen und welches sind
Ihre?
Stanekzai: Mein Rat ist erstmal, dass nicht jedes Land seine eigene
Verhandlungspolitik durchführt, sondern die internationale Gemeinschaft
gemeinsam handelt und die Afghanen in dem Prozess unterstützt. Sonst sendet
jedes Land eigenen Signale aus, was nur Verwirrung stiftet. Mein zweiter
Rat im Hinblick auf vertrauensbildende Maßnahmen ist die Einrichtung eines
Büros der Taliban, bevorzugt in Afghanistan, aber notfalls auch außerhalb,
wozu sich mehrere Länder bereit erklärt haben. Dazu braucht es dann
Garantien für sicheres Reisen. Dem stimmen wir völlig zu. Auch sollten wir
öffentlich einen versöhnlichen Ton einschlagen und die Sprache des Krieges
hinter uns lassen. Im Hohen Friedensrat haben wir ein Komitee eingerichtet,
dass sich der Gefangenenfrage annimmt, um so wirklich Raum für Vertrauen zu
schaffen. Das sollten alle Ländern unterstützen.
Sie stimmen mit Mullah Zaeef also weitgehend überein?
Stanekzai: Ja, wir haben uns bereits auf vieles geeinigt und schon
Fortschritte erzielt.
Warum sollten denn die Taliban überhaupt ernsthaft verhandeln, wenn die
internationalen Kampftruppen bis Ende 2014 ohnehin abgezogen werden sollen?
Da können die Taliban doch auf Zeit spielen.
Zaeef: In Paschto gibt es das Sprichwort, wenn du etwas mit den Händen
öffnen kannst, brauchst Du es nicht mit den Zähnen zu tun: Will die
Internationale Gemeinschaft wirklich mit den Taliban sprechen, sind die
Taliban dazu immer bereit. Wir sind doch ein Teil der Welt, mit der stehen
wir in Verbindung, und das ist wichtig. Die Frage für uns ist, ob die
Weltgemeinschaft wirklich verhandlungsbereit ist.
Stanekzai: Die Verhandlungen sollten unbedingt stattfinden, weil alle
Afghanen kriegsmüde sind. Alle Seiten stehen in der Verantwortung den Krieg
zu beenden. Zweitens wird das Jahr 2014 keine Datum sein, ab dem alles ganz
anders wird. Vielmehr bietet 2014 eine Chance, dass wir das Töten beenden
können, wenn alle wirklich gesprächsbereit sind, Und es gibt es einen
wachsenden Druck sowohl in Afghanistan wie außerhalb wirklich eine
politische Lösung zu finden. Zu denken, wenn die US-Truppen 2014 gehen,
werden die Taliban gewinnen, ist falsch. Es wird schlicht keinen
militärischen Sieger geben.
Es hat schon Gespräche gegeben, die Taliban leugnen aber ihre Teilnahme
daran, obwohl sie ja angeblich gesprächsbereit sind, wie Sie sagen, Mullah
Zaeef. Warum?
Zaeef: Die Situation ist noch nicht reif. Teilnehmer sind anschließend
verschwunden. Es gibt Sicherheitsprobleme. Geben die Amerikaner Garantien,
können die Taliban Gespräche bestätigen. Stanekzai: Es gibt verschiedene
Verhandlungsphasen. Wir sind noch bei Kontaktaufbau und Vertrauensbildung,
weshalb wir noch nicht wirklich an die Öffentlichkeit treten können. Die
Zeit ist noch nicht reif. Aus Sicherheitsgründen müssen die Taliban sehr
vorsichtig sein.
Es gibt sowohl Gespräche Kabuls wie Washingtons mit den Taliban. Warum
nicht gemeinsam?
Stanekzai: Das hat mit Vertrauensbildung zu tun. Viele bezweifeln, ob die
USA wirklich hinter Verhandlungen stehen. Bisher sind das noch keine
Friedensgespräche, sondern nur erste Kontakte zur Vertrauensbildung. Das
Ziel sind Gespräche der afghanischen Konfliktparteien mit Hilfe der
internationalen Gemeinschaft, sonst führen sie zu nichts.
Zaeef: Es gibt zwei Arten von Problemen: National und international.
Erstere müssen die Afghanen selbst lösen, ohne Intervention von außen. Doch
zunächst müssen die internationalen Probleme gelöst werden, also warum die
Amerikaner und Ausländer überhaupt bei uns im Land sind. Das ist die
Ursache des Problems, ohne dessen Lösung die nationalen Probleme nicht
geregelt werden können.
Die Taliban fordern vor Gesprächen den Abzug aller ausländischen Militärs.
Zaeef: Das ist das Ziel, keine Vorbedingung. Kein Afghane will, dass fremde
Mächte im Land bleiben. Erreichen die Taliban den Abzug ausländischer
Truppen mit Verhandlungen ist das doch besser als durch Krieg.
Stanekzai: Das Ziel ist Frieden und Stabilität in Afghanistan. Ziehen die
ausländischen Truppen vorher ab, wiederholen sich unsere Erfahrungen nach
dem Abzug der Sowjets. Der Frieden blieb aus. Jetzt gibt es einen
Terminplan für einen Abzug, der in diesem Monat beginnt. Das zeigt, dass
weder die internationale Gemeinschaft noch die Afghanen das Land unter
fremder Herrschaft sehen wollen. Afghanistan wird seine volle Souveränität
erlangen in enger Partnerschaft mit dem Rest der Welt. Darum geht es. Die
Forderung der Taliban ist verhandelbar. Aber erstmal müssen wir Vertrauen
aufbauen und zu ernsthaften Verhandlungen kommen.
Die internationale Gemeinschaft nennt drei "rote Linien" für Verhandlungen
mit den Taliban: Beendigung der Kooperation mit al Qaida, Gewaltverzicht
und Anerkennung des Verfassungsrahmens.
Stanekzai: Beide Seiten sind jetzt an dem Punkt, wo Forderungen keine
Vorbedingungen mehr sind, sondern zu berücksichtigende Themen.
Verhandlungen sind ein Prozess. Die Bedingungen in Afghanistan können nicht
mit denen in westlichen Ländern verglichen werden, unsere Kultur und
Traditionen müssen berücksichtigt werden. Aber das heisst nicht, dass wir
die Rechte von Frauen, Kindern oder Minderheiten unterminieren.
Sind die Rechte von Frauen verhandelbar?
Stanekzai: Das zählt zu den Fragen, welche die Afghanen innerhalb des
Verfassungsrahmens selbst klären müssen. Das können Regierung und Taliban
nicht allein in einem Deal entscheiden. Wir müssen die Nation hier
einbeziehen und das respektieren. Bei allem was wir machen, müssen wir den
legalen und verfassungsmäßigen Weg einhalten. Nur so kann es Fortschritte
geben. Frauen und die Zivilgesellschaft sind hier sehr aktiv.
Zaeef: "Rote Linien" gibt es in jeder Gesellschaft, aber bei Verhandlungen
sollte es keine Vorbedingungen geben. Die torpedieren eine
Vertrauensbildung. Die Afghanen müssen als Volk entscheiden, was für ein
Land und eine Zukunft sie wollen.
Warum sollten Frauen, die unter dem Taliban-Regime sehr litten, jetzt
Vertrauen haben?
Zaeef: Sie sollten sich an die Zeit erinnern, bevor die Taliban an die
Macht kamen. Es gab für Frauen keine Sicherheit, keine Bildung und keine
Würde. Die Taliban brachten Sicherheit und Würde. Bildung war kein Problem
der Taliban, sondern eine Folge wirtschaftlicher Probleme. Die Taliban
konnten auch keine Bildung für Männer bereitstellen. Der gesamte
Staatshaushalt betrug nur 80 Millionen Dollar im Jahr. Das war nichts. Wir
baten die internationale Gemeinschaft um Hilfe, aber sie wollte sich bei
uns immer einmischen, was wir nicht zugelassen haben. Wir wollten ein
Bildungssystem, das den Afghanen entspricht und nicht den Fremden. Doch
diese hatten kein Interesse zu helfen.
Herr Stanekzai, sehen Sie die Vergangenheit auch so?
Stanekzai: Es war damals eine Mischung aus den Umständen, der Politik der
Taliban und den zur Verfügung stehenden Ressourcen. Das Taliban-Regime war
wirklich sehr isoliert.
Das Interview wurde am Rande der 59. Pugwash-Konferenz in Berlin geführt.
Der Verhandlungsprozess: Auf der internationalen Afghanistan-Konferenz in
London im Januar 2010 wurde nach mehreren geheimen und informellen
Vortreffen zwischen Vertretern der afghanischen Regierung und aus dem
Umfeld der Taliban beschlossen, Verhandlungen mit den Aufständischen
aufzunehmen. Gleichzeitig verstärkten die USA ihrer Truppen am Hindukusch,
die sie jetzt wieder reduzieren. Laut dem Taliban-Experten Ahmed Rashid gab
es bisher drei Geheimtreffen von Vertretern der USA wie der Taliban: Das
erste fand unter Vermittlung Deutschlands und Katars im November 2010 bei
München stattt, das zweite war in Doha (Katar) am 15. Februar 2011, das
dritte am 7. und 8. Mai wieder bei München. Am 17. Juni beschloss der
UN-Sicherheitsrat auf Antrag der USA, al Qaida und die Taliban bei der
Terrorbekämpfung künftig differenziert zu behandeln.
8 Jul 2011
## AUTOREN
Sven Hansen
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
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