# taz.de -- Keine Pseudonyme bei Google+: Sag mir, wer Du bist | |
> Wer bei Facebook-Konkurrent Google+ eine falsche Identität angibt, | |
> riskiert die Sperrung seines Accounts. Die Kritik an dieser Reglung ist | |
> massiv und vielschichtig. | |
Bild: Google+: erst überschwänglich gefeiert, jetzt ist der Lack ab. | |
Lange dauerte es nicht, bis sich die einhellige Begeisterung über das neue | |
soziale Netzwerk Google+ gelegt hatte. Im Jubel über die innovativen | |
Gimmicks war zunächst untergegangen, dass das Unternehmen in den AGBs | |
seines Facebook-Konkurrenzprodukts eine Klarnamenpflicht für seine Nutzer | |
verankert hatte. Die Verwendung offensichtlicher Nicks (Spitznamen im | |
Internet) kann zur sofortigen Account-Sperrung führen. | |
Der bekannte Blogger Enno Park hatte sich angesichts der aufkommenden | |
Diskussion über das Recht auf Anonymität im Internet umbenannt und | |
firmierte fortan bei Google+ unter dem Namen "Die Ennomane". Allerdings nur | |
rund acht Stunden lang, dann war der Account auch schon gesperrt. "Das | |
äußerte sich zunächst darin, dass ich mich überhaupt nicht mehr auf meinen | |
Google-Account einloggen konnte. Egal ob E-Mail-Programm oder mit Google | |
gekoppelter Nebenkalender im iPhone – nichts ging mehr", berichtete er. | |
Um diese Dienste wieder freischalten zu lassen, musste er seine Handynummer | |
angeben; der Google+-Account wurde dagegen erst wieder entsperrt, als | |
Spiegel Online den Fall aufgriff. Während Park sein Pseudonym schließlich | |
behalten durfte, wurden andere User mit offensichtlich falschen Namen | |
jedoch weiterhin ausgeschlossen. | |
## Hausrecht des Unternehmens | |
Es folgte eine vehemente Diskussion über Anonymität und Pseudonymität. | |
Während die Befürworter von Klarnamen unter anderem auf das Hausrecht des | |
Unternehmens verwiesen, setzten die Verfechter des Rechts, im Internet | |
unter einer selbst gewählten Identität auftreten zu dürfen, gleich an | |
mehreren Punkten an: Google setze Standards, erklärte der Autor und | |
Netzaktivist Christian Heller in einem [1][Statement], daher handele es | |
sich um eine politische Frage. Andere User verwiesen darauf, dass Google | |
sich mit seinem Beharren auf Klarnamen zu einer No-go-Area für | |
oppositionelle Kräfte, beispielsweise im Iran, mache. | |
Über das Recht auf Anonymität im Internet wurde bereits gestritten, als es | |
das World Wide Web noch gar nicht gab. Dessen Vorläufer, das Usenet, ist | |
auch noch heute ein Forensystem, in dem Nachrichten ähnlich wie E-Mails | |
ausgetauscht werden können. Im Gegensatz zur E-Mail sind diese Nachrichten | |
jedoch nicht für einen einzelnen Empfänger bestimmt, sondern können von | |
jedem, der Zugriff auf einen Usenetserver hat, abgerufen werden. | |
Bereits 1995 veröffentlichte ein Intel-Mitarbeiter im Usenet ein | |
RFC-Dokument (Request For Comment/"Bitte um Diskussion"), in dem er | |
[2][Netiquette genannte Verhaltensregeln] für User zusammengestellt hatte. | |
Darin hieß es ausdrücklich, dass man den Wunsch nach Anonymität eines | |
Nutzers respektieren und auf keinen Fall ohne Erlaubnis die wahre Identität | |
dieser Person aufdecken solle. Bindenden Charakter hatten diese Netiquette | |
zwar nie. Wer sich jedoch im Usenet nicht an sie hielt, lief Gefahr, die | |
eigene Mailbox durch gezielte Überflutung mit Nachrichten lahmgelegt zu | |
bekommen ("flooding") oder sich massiver persönlicher Beleidigungen | |
ausgesetzt zu sehen ("flaming"). | |
## Netiquette und Recht auf Anonymität | |
In der am 5. 7. 1997 von Andreas M. Kirchwitz veröffentlichten deutschen | |
Version dieser Netiquette kommt das Recht auf Anonymität dagegen nicht vor: | |
Unter Punkt 14 wird gefordert, man solle im Usenet keine Pseudonyme oder | |
Nicknames verwenden. "Aufgrund der negativen Erfahrungen, die viele Leute | |
im Netz mit den Trägern solcher Pseudonyme gemacht haben, sollten Sie Ihre | |
Artikel mit Ihrem wirklichen Namen ("real name") versehen" heißt es dort. | |
Einzige Ausnahme seien Themen, in denen es um "sehr sensible Themen geht | |
(zum Beispiel sexuelle Gewohnheiten etc.)", in den entsprechenden dürfe | |
unter einem Pseudonym oder über einen sogenannten Anon-Server gepostet | |
wurden. | |
Als 2007 das deutsche Telemediengesetz (TMG) in Kraft trat, entbrannte eine | |
Diskussion, ob Punkt 14 nicht dringend entfernt werden sollte. Denn § 13, | |
Absatz 6 des TMG sagt klar aus, dass Anbieter die anonyme Nutzung ihrer | |
Dienste ermöglichen müssen, wenn dies – wie es fast immer der Fall ist - | |
technisch möglich und zumutbar ist. | |
Google scheint dies alles nur wenig zu beeindrucken, auch wenn sich die | |
Anzeichen mehren, dass Accountsperrungen automatisch vollzogen werden, weil | |
zum Beispiel viele User eine angebliche oder reale Fake-Identität gemeldet | |
haben, wird das Unternehmen bald reagieren müssen. Denn nachdem sich | |
Captain Kirk-Darsteller William Shatner via (verifizierten) | |
Twitter-Benutzerkontos über seine Sperrung bei Google+ beschwerte hatte, | |
gibt es beim Mikroblogging-Anbieter ein eigenes Hashtag ([3][#plusgate]), | |
unter dem über die Google´schen Verfehlungen diskutiert wird. Zu diesen | |
Verfehlungen gehört übrigens auch ein [4][Feature], das Belästigungen | |
begünstigen kann: Über die Suchmaschine ist es möglich, gezielt Profile von | |
Single-Frauen zu finden. | |
19 Jul 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.plomlompom.de/PlomWiki/plomwiki.php?title=PseudoFest | |
[2] http://www.ietf.org/rfc/rfc1855.txt | |
[3] http://twitter.com/#!/search/%23plusgate | |
[4] http://gplussearch.com/ | |
## AUTOREN | |
E. Wittich | |
B. Mayer | |
## TAGS | |
Klarnamen | |
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