# taz.de -- Weitere Entwicklung Dresdner Handyskandal: Nach Landessitte ausgesp… | |
> Bereits Mitte 2010 wertete die sächsische Polizei anlässlich einer | |
> Demonstration massenhaft Handydaten aus. Das belegen Ermittlungsakten, | |
> die der taz vorliegen. | |
Bild: Die Dresdner Polizei hat nicht nur einmal Handydaten ausgespäht. | |
BERLIN taz | Wegen der Erfassung von Handydaten am 13. und 19. Februar in | |
Dresden steht die sächsische Polizei seit Wochen [1][heftig in der Kritik]. | |
Doch dies war, wie aus der taz vorliegenden Dokumenten hervorgeht, nicht | |
das erste Mal, dass sächsische Behörden im Rahmen einer Demonstration eine | |
sogenannte [2][Funkzellenauswertung] durchführten. Bereits am 17. Juni 2010 | |
wurden in Dresden die Verbindungsdaten von Handynutzern gesammelt und | |
ausgewertet. Anlass war abermals eine Demonstration, die sich gegen einen | |
Aufmarsch von Neonazis richtete. | |
Dabei wurde unter anderem der Standort eines Tatverdächtigen festgestellt, | |
gegen den wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung | |
ermittelt wird. Am 17. Juni 2010 hatten in Dresden Neonazis unter dem Motto | |
"Damals wie heute - alle Macht geht vom Volke aus" demonstriert. Linke | |
hatten dazu aufgerufen, die Demonstration zu stören; am Rande der | |
Demonstrationen war es zu einem gewalttätigen Übergriff auf einen | |
rechtsextremen Szeneladen gekommen. | |
Ein weiteres Mal werteten die Behörden den Informationen der taz zufolge | |
Funkzellendaten aus, nachdem es Ende August in Dresden zu körperlichen | |
Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Kleingruppen gekommen war. | |
Mit diesen Erkenntnissen gewinnt die Dresdner Datenaffäre eine neue | |
Dimension. | |
## Kritik des Landesdatenschutzbeauftragten | |
Bei einer Funkzellenauswertung fordern Ermittlungsbehörden von | |
Telekommunikationsbetreibern sämtliche Verkehrsdaten an, die im Rahmen | |
eines bestimmten Zeitraums innerhalb einer oder mehrerer sogenannter | |
Funkzellen angefallen sind, und werten diese aus. Im Juni berichtete die | |
taz, dass am 19. Februar bei Demonstrationen gegen den Aufmarsch von | |
Neonazis über eine Million Handydaten von bis zu 330.000 Menschen erfasst | |
und systematisch ausgewertet worden waren. Aus zahlreichen anderen | |
Bundesländern hieß es damals, die flächendeckende Auswertung der Handydaten | |
von Demonstrationsteilnehmern sei ungewöhnlich weitreichend und unüblich. | |
Der sächsische Landesdatenschutzbeauftragte, Andreas Schurig, der erst | |
durch die taz von dieser Polizeimaßnahme erfuhr, kritisierte das Vorgehen | |
der Behörden scharf. Die Landesregierung sicherte ihm daraufhin zu, dass er | |
an der Aufarbeitung der Affäre mitwirken werde. | |
Doch auch von der Funkzellenauswertung vom Juni 2010 erfuhr Schurig erneut | |
erst durch die taz. Schurigs Sprecher Andreas Schneider reagierte empört: | |
"Die sächsischen Strafverfolgungsbehörden müssen nun endlich mit offenen | |
Karten spielen. Es müssen jetzt alle Fälle auf den Tisch, bei denen die | |
Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen so offensichtlich fragwürdig ist", sagte | |
er. | |
Sachsens Innenminister [3][Markus Ulbig] (CDU), der nach Bekanntwerden der | |
Massenausspähung unter starken Druck geraten war, wollte sich am Freitag | |
gegenüber der taz zu dem neuen Fall nicht äußern. Ein Sprecher des | |
sächsischen Justizministeriums sagte der taz nur, dass sein Ministerium | |
über die Polizeimaßnahme vom Juni 2010 keinerlei Kenntnis habe. | |
## Innenminister äußert sich nicht | |
Wie umfassend die Auswertung war und wie viele Verkehrsdaten dabei erhoben | |
wurden, bleibt damit vorerst unklar. Anzunehmen ist nur, dass es sich bei | |
der Massenerfassung um geringere Datenmengen handeln dürfte. | |
Bestritten hatte Innenminister Ulbig zunächst auch, dass Telefongespräche | |
inhaltlich ausgewertet wurden, musste dies auf öffentlichen Druck hin | |
allerdings einräumen. Ulbig zufolge handelte es sich dabei um die | |
Überwachung von zwei Telefonanschlüssen. Gegen die beiden Tatverdächtigen | |
sei wegen des Verdachts der Gründung einer kriminellen Vereinigung nach | |
Paragraf 129 ermittelt worden, sagte Ulbig seinerzeit. | |
Recherchen der taz bestätigen diese Darstellung nun. Demnach haben in | |
mindestens zwei Fällen präzise Inhalte aus Telefongesprächen sowie die | |
Aufenthaltsdaten von zwei Tatverdächtigen Eingang in Ermittlungsakten | |
gefunden. Ermittlungsdokumente belegen zudem, dass auch im unmittelbaren | |
Vorfeld der Februardemonstrationen die Anschlüsse zahlreicher weiterer | |
mutmaßlich linker Tatverdächtiger ermittelt wurden, denen die Polizei die | |
Bildung einer kriminellen Vereinigung vorwirft. So wurden am Vorabend der | |
Dresdner Neonazidemonstrationen vom 13. Februar Telefonate einzelner | |
Tatverdächtiger protokolliert und inhaltlich ausgewertet. | |
Die Dokumente geben Einblick in das laufende Ermittlungsverfahren wegen des | |
Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung, mit dem die | |
Staatsanwaltschaft Dresden die Funkzellenauswertungen im Februar sowie die | |
Stürmung eines Hauses am 19. Februar begründet hatte. Dabei hatte ein | |
Sondereinsatzkommando des sächsischen Landeskriminalamts nicht nur Räume | |
des Jugendprojekts Roter Baum gestürmt und durchsucht, sondern war zudem | |
gewaltsam in die Büros der Dresdner Linkspartei sowie eines Rechtsanwaltes | |
eingedrungen. Die Rechtmäßigkeit dieser Durchsuchung wird derzeit | |
gerichtlich geprüft. | |
## 20 Wohnungen durchsucht | |
Im Zuge dieser Ermittlungen durchsuchte die Polizei zudem im April 2011 in | |
Dresden, Leipzig, Grimma und Senftenberg 20 Wohnungen und Geschäftsräume | |
von 17 Personen, die sie verdächtigte, seit Mai 2009 an Übergriffen auf | |
Rechtsextremisten beteiligt gewesen zu sein. | |
Die richterlichen Beschlüsse, die diesen Hausdurchsuchungen zugrunde lagen, | |
belegen allerdings, wie breit und teils unspezifisch die Ermittlungen der | |
Dresdner Staatsanwaltschaft dabei angelegt waren: In den Beschlüssen wird | |
auf neun Ermittlungsverfahren verwiesen, zu denen jeweils einzelne | |
Beschuldigte in einem Zusammenhang stehen könnten. Bei diesen Delikten | |
handelt es sich um Taten wie Landfriedensbruch, gefährliche | |
Körperverletzung oder Sachbeschädigung. | |
Allen Taten ist gemein, dass die Angriffe sich gegen Angehörige oder | |
Einrichtungen der rechten Szene richteten. Die Behörden vermuten, dass sich | |
hinter diesen Angriffen eine organisierte Gruppe verbirgt. Ein konkretes | |
Verdachtsmoment zum Zusammenwirken aller Tatverdächtiger ergibt sich aus | |
den Durchsuchungsbeschlüssen jedoch nicht. | |
Laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes muss es sich bei einer | |
"Vereinigung" um einen "auf Dauer angelegten freiwilligen organisatorischen | |
Zusammenschluss von mindestens drei Personen handeln", die "gemeinsame | |
Zwecke verfolgen und sich als einheitlicher Verband fühlen". Ob sich dies | |
im Falle der laufenden Ermittlungen noch konstruieren lässt, ist zumindest | |
fraglich. Somit wird interessant sein, wann und ob es in der Sache zu einem | |
gerichtlichen Verfahren kommen wird. | |
## Schnüffelparagraf | |
Ermittlungen auf Grundlage des Paragrafen 129 waren in der Vergangenheit | |
immer wieder in die Kritik geraten, weil sie Fahndern weitreichende | |
Ermittlungsbefugnisse einräumen, es aber nur selten zur Einleitung | |
gerichtlicher Verfahren kommt. So darf die Polizei allein wegen des | |
Verdachts auf Körperverletzung oder Landfriedensbruch keine Telefone | |
abhören oder E-Mails ausforschen. Das dürfen Ermittler jedoch, wenn wegen | |
des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird. | |
Dabei erfahren die Tatverdächtigten häufig erst spät oder gar nicht, dass | |
gegen sie auf so umfassende Weise ermittelt wurde. Kritikern gilt der | |
Paragraf 129 als Schnüffelparagraf. | |
Auch im aktuellen Fall von Dresden erfuhr nach Informationen der taz ein | |
Tatverdächtiger, gegen den im April keine Hausdurchsuchung angeordnet | |
worden war, nur durch Zufall davon, dass gegen ihn nach Paragraf 129 | |
ermittelt wird. In einem Schreiben wird er aufgefordert, Stellung dazu zu | |
beziehen, ob er einen Richter für befangen hält, der die Rechtmäßigkeit der | |
gegen ihn durchgeführten Ermittlungen prüfen soll - weder vom Richter noch | |
von der Existenz eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn hat der | |
Tatverdächtige nach eigenem Bekunden zuvor etwas gewusst. | |
22 Jul 2011 | |
## LINKS | |
[1] /Dresdner-berwachungsskandal/!74864/ | |
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## AUTOREN | |
J. Stange | |
M. Kaul | |
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