# taz.de -- Dresdner Datenskandal: "Es gibt einen Kopf der Gruppe" | |
> Die Dresdner Staatsanwaltschaft ist in Erklärungsnot. Sie ließ Namen von | |
> tausenden Demonstranten ermitteln. Im taz-Interview reagiert | |
> Oberstaatsanwalt Haase auf die Kritik. | |
Bild: "Es ist richtig: Die Taten beziehen sich nicht nur auf den 19. Februar", … | |
taz: Herr Haase, in Sachsen Polizist zu sein, ist bestimmt nett. Da darf | |
man alles, oder? | |
Lorenz Haase: Das ist mit Sicherheit nicht der Fall. Sächsische Polizisten | |
sind ebenso an Recht und Gesetz gebunden wie Staatsanwälte und Richter. | |
Dann erklären Sie doch mal, warum das sächsische LKA Namen, Adressen und | |
Geburtsdaten von 40.000 Menschen gesammelt hat, die im Februar im | |
Zusammenhang mit einer Großdemonstration telefoniert haben? | |
Die Staatsanwaltschaft Dresden führt ein Verfahren wegen der Bildung einer | |
kriminellen Vereinigung. Einige der Täter sind bereits bekannt. Die genauen | |
Strukturen gilt es noch aufzuklären. Die bisherigen Ermittlungen haben | |
ergeben, dass einzelne Tätergruppierungen an verschiedenen Tatorten massive | |
Straftaten begangen haben. | |
Beziehen sich diese Taten auf die Februar-Demonstrationen gegen Neonazis? | |
Oder auf einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren, wie es Dokumente | |
belegen, die der taz vorliegen? | |
Es ist richtig: Die Taten beziehen sich nicht nur auf den 19. Februar. Wir | |
vermuten, dass für diese Taten eine Organisation verantwortlich ist, dass | |
die handelnden Gruppen gelenkt worden sind. Und wir gehen davon aus, dass | |
es einen Kopf der Gruppe gibt. Dies gilt es so aufzuklären, dass wir es | |
nachweisen können. | |
Jeder, der sich mit der linksmilitanten Szene beschäftigt, weiß: | |
Organisationen und Führungskader liegen dieser Szene fern. Linksmilitanz | |
und eine große, organisierte Gruppe - ist das nicht ein Widerspruch? | |
Das muss kein Widerspruch sein. Wir ermitteln wegen begangener Straftaten. | |
Wenn wir dazu kommen, dass es sich um eine organisierte, strukturierte | |
Vereinigung von Straftätern handelt, dann ist dem so. | |
Sie ermitteln gegen zwei Dutzend Personen. Wozu brauchen Sie die Namen, | |
Adressen, Telefonnummern und Geburtsdaten von 40.000 Menschen, noch dazu | |
von Menschen, von denen die meisten in Dresden schlicht friedlich | |
demonstriert haben? | |
Mit diesen Daten ermitteln wir, wer von der Organisation am 19. Februar, | |
als es in Dresden ebenfalls zu Straftaten kam, Kontakt mit wem hatte. Wie | |
waren die Verbindungen der einzelnen Mitglieder der Gruppierung? Sind | |
gegebenenfalls weitere Personen beteiligt? | |
In Dresden haben im Februar nicht einmal so viele Menschen demonstriert. | |
Sie haben auch die Gesprächspartner der Demonstranten namentlich erfasst. | |
Glauben Sie, dass es in Sachsen eine linksextremistische Vereinigung gibt, | |
die aus 40.000 Personen besteht? | |
Natürlich glaube ich das nicht. Das ist auch nie behauptet worden. Wenn | |
unsere Ermittlungen ergeben, dass dort eine Privatperson einen Arzt | |
angerufen hat, dann interessieren uns diese Daten nicht. | |
Nochmal: Wozu die Namen? Warum haben Sie ausgerechnet 40.000 Personen | |
ausgewählt? | |
Die Kriterien für diese Auswahl betreffen konkrete Ermittlungsdetails, zu | |
denen ich mich nicht äußern kann. | |
Sie könnten auch von allen 330.000 Personen die Namen, Adressen und | |
Geburtsdaten erheben, deren Telefonnummern sie bei den | |
Februar-Demonstrationen ermittelt haben. | |
Auch zu künftigen möglichen Ermittlungsansätzen kann ich mich nicht äußern. | |
Viele Demonstranten, Anwohner und Politiker befürchten, dass Sie ein | |
konkretes Demonstrationsprofil erstellen wollten von Menschen, die in | |
Dresden gegen Neonazis demonstriert haben. Haben Sie Verständnis für diese | |
Frage? | |
Verständnis für die Frage habe ich. Verschiedene Personen und | |
Organisationen behaupten, durch nichts belegt, wir würden friedliche | |
Demonstranten kriminalisieren. Darum geht es uns nicht. Und das tun wir | |
auch nicht. | |
Polizeimaßnahmen im Zusammenhang mit Demonstrationen dürfen keine | |
abschreckende Wirkung auf die künftige Teilnahme an Demonstrationen haben. | |
Wie wollen Sie das bei Ihrer Massenerfassung ausschließen? | |
Dass ein solcher Abschreckungseffekt eintreten könnte, glaube ich nicht. | |
Derjenige, der friedlich demonstriert hat, hat nichts zu befürchten. Das | |
weiß auch jeder friedliche Demonstrant. | |
Sie haben wiederholt das Mafia-Argument angeführt: Wer in Palermo gegen die | |
Mafia ermitteln würde, brauche eben einen breiten Ermittlungsansatz. Wollen | |
Sie allen Ernstes behaupten, dass Sie es in Dresden mit einer linken Mafia | |
zu tun haben? | |
Der Vergleich hinkt natürlich. Ich wollte darauf hinweisen, dass wir nicht | |
nur gegen Einzeltäter ermitteln. Wir haben es in Sachsen nicht mit einer | |
linken Mafia zu tun, aber mit gut organisierten kriminellen Strukturen. | |
26 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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