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# taz.de -- Urteil gegen Gäfgen: Gerecht, so gut es eben geht
> Weil dem Kindesmörder Magnus Gäfgen eine Entschädigung zugesprochen
> wurde, sind viele Menschen empört. Verständlich. Doch die Entscheidung
> ist keine Schande.
Bild: Wolfgang Daschner, ehemaliger Vizepräsident der Frankfurter Polizei, hat…
BERLIN taz | Ein hessischer Richter hat Magnus Gäfgen 3.000 Euro
Entschädigung zugesprochen, weil Polizeibeamte ihm Gewalt angedroht hatten.
Sie sahen darin die letzte Möglichkeit, das Leben des elfjährigen Jakob von
Metzler zu retten, der zu diesem Zeitpunkt bereits vier Tage verschwunden
war. Der Philosoph Slavoj Zizek hat einmal in Bezug auf Gewaltanwendung
oder ihre Androhung in einem solchen Fall sinngemäß gesagt: Es mag
notwendig sein, darf aber nur mit schlechtem Gewissen getan werden.
Die Beamten, die Gäfgen am 1. Oktober 2002 Gewalt androhten, wenn er das
Versteck seines Opfers nicht verrate, haben getan, was sie tun zu müssen
glaubten. Sie haben, pathetisch gesagt, die Verantwortung auf sich
genommen, als sie eines der wichtigsten rechtsstaatlichen Prinzipien
verletzten, um das Leben eines Kindes zu retten. Das Paradox: Die
Polizisten haben das vermutlich Richtige getan. Und sie sind zu Recht dafür
bestraft worden. Sie wurden 2004 zu Geldstrafen auf Bewährung verurteilt.
Nun hatte das Frankfurter Landgericht die schwierige Aufgabe, über Gäfgens
Klage zu entscheiden. Das Urteil, das es gefällt hat, ist mit Unverständnis
aufgenommen worden. "Herr Richter, warum geben Sie diesem Mörder auch noch
Geld?", fragt Bild. Die Antwort ist einfach, das Gericht hat sie gegeben,
Bild zitiert sie: "Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem
Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich auch in noch so schwerer
und unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen
haben." Das Wesen des Rechtsstaats selbst drückt sich in so einer
Begründung aus.
Die Emotionen des Publikums und die harsche Kritik von Opferverbänden und
Polizeigewerkschaft sind trotzdem verständlich. Gäfgen hat kaltblütig einen
kleinen Jungen ermordet, weil er gern den großen Mann spielt. Als er
verurteilt wird, geht er nicht etwa in sich. Dass er sich vor allem für
sich selbst interessiert, macht er deutlich, indem er ein Buch mit dem
eitlen Titel "Allein mit Gott. Der Weg zurück" schreibt. Man kann es bei
Amazon bestellen.
## Gäfgen stilisiert sich selbst zum Opfer
Gäfgen erklärt, eine "Stiftung für misshandelte Kinder und jugendliche
Opfer von Gewalttaten" gründen zu wollen. Und er strengt das Verfahren
gegen die Behörden an, weil er sich durch die Folterandrohung
"traumatisiert" fühle. Er habe Todesangst erlitten. Er fordert 10.000 Euro
Schmerzensgeld und Schadenersatz und stilisiert sich selbst zum Opfer.
Gäfgens Selbstinszenierung, sein Selbstmitleid, seine Egomanie sind schwer
erträglich. Dieser Mann bringt nicht einmal den Anstand auf, zu schweigen.
Aber ist das jetzige Urteil "eine unerträgliche Perversion des
Rechtsstaats", wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann meint? Hat das
Gericht ein "Schandurteil" gefällt? Hat es "den eiskalten Killer zum Opfer"
und sich die Anmaßungen von Gäfgen zu eigen gemacht, wie der Kommentator
von Bild suggeriert, der darüber hinaus Gäfgen Menschenwürde nur in
Anführungsstrichen zugestehen will, als könne er darüber entscheiden, wem
sie zukommt und wem nicht?
Gäfgen wurde nicht zum Opfer gemacht. Richter Christoph Hechter hat dessen
Klage auf Schadenersatz zurückgewiesen und ihm lediglich eine Entschädigung
zugesprochen. Er hat auch Gäfgens Behauptung nicht akzeptiert, durch die
Polizisten traumatisiert worden zu sein. Das Gericht stellt fest: Gäfgen
hat sich selbst traumatisiert, als er mordete. Sein Trauma besteht darin,
sein eigenes Selbstbild zerstört zu haben, das aus "Lügengeschichten"
bestanden hat.
Den Polizisten gesteht der Richter zu, dass ihre Nerven durch das
"provozierende und skrupellose Verhalten" Gäfgens "aufs Äußerste
strapaziert" gewesen seien. 3.000 Euro Entschädigung für Gäfgen sind zu
viel des Guten, ein symbolischer Betrag hätte es auch getan. "Pervers" aber
ist an diesem Urteil nichts. Es wird der Sache, so gut es eben geht,
gerecht.
5 Aug 2011
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Entschädigung
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