# taz.de -- Japans Premier Naoto Kan soll weg: Das Fukushima-Gesetz | |
> Japans Parlament ist sich einig über ein Erneuerbare-Energie-Gesetz. | |
> Ironie der Geschichte: Es wurde am 11. März, dem Tag der Katastrophe, auf | |
> den Weg gebracht. | |
Bild: Kans Bedingung für seinen Rücktritt: Die Zustimmung zum Gesetz. | |
TOKIO taz | Fünf Monate nach der Atomkatastrophe von Fukushima zeichnet | |
sich in Japan eine vorsichtige Wende zu Ökostrom ab. Regierung und | |
Opposition verständigten sich auf ein Fördergesetz für alternative | |
Energien. Das Parlament will es noch im August verabschieden. | |
Nach deutschem und spanischem Vorbild verpflichtet es die Energieversorger | |
ab Juli 2012 dazu, allen erzeugten Strom aus alternativen Quellen wie | |
Sonne, Wind und Erdwärme aufzukaufen. Die Einspeise-Tarife werden staatlich | |
festgelegt und die Kosten auf die Verbraucher umgelegt. Großabnehmer wie | |
die Stahlindustrie erhalten Nachlässe. | |
Das Gesetz dürfte einen Boom von kommerziellen Solar- und Windkraftwerken | |
auslösen. "Dies ist ein Schritt vorwärts", lobte der Präsident von Japans | |
größtem Windkraft-Unternehmen Eurus Energy, Tetsuro Nagata. Die Firma West | |
Holdings plant in den nächsten drei Jahren den Bau von zehn | |
Solarkraftwerken. "Wir werden diese neue Geschäftschance nutzen", freute | |
sich Manager Naoto Ikeda. Derzeit errichtet das Unternehmen auf der | |
Hauptinsel Kyushu ein Sonnenkraftwerk mit 1,5 MW Leistung. | |
## Gesetz, um Naoto Kan loszuwerden | |
Die Verabschiedung des Gesetzes ist jedoch nicht Ausdruck eines | |
prinzipiellen Umdenkens. Vielmehr wollen die regierenden Demokraten und | |
oppositionellen Liberaldemokraten damit den unbeliebten Premierminister | |
Naoto Kan loswerden. Kan hatte die Zustimmung zum Fördergesetz zur | |
Bedingung für seinen Rücktritt gemacht. Ebenso versuchte er durch | |
atomkritische Äußerungen, sein schlechtes Krisenmanagement zu überdecken. | |
Zuletzt forderte er einen langfristigen Ausstieg. Sein aussichtsreichster | |
Nachfolger, Finanzminister Yoshihiko Noda, bezeichnete Kans Vorhaben jedoch | |
als "Traum einer Einzelperson". Der Minister für Nationalstrategie, | |
Koichiro Gemba, sprach sich für die Weiterentwicklung und den Einsatz von | |
Mikro-Atomreaktoren ein. | |
Der einzige konkrete Erfolg von Kan besteht darin, dass die Atomaufsicht | |
unabhängiger wird. Die Agentur für nukleare und industrielle Sicherheit | |
(Nisa) und die Nukleare Sicherheitskommission werden zusammengelegt und | |
kommen unter das Dach des Umweltministeriums. Bisher war Nisa beim | |
mächtigen Handels- und Wirtschaftsministerium METI angesiedelt. METI | |
versteht sich als Förderer der Atomindustrie und ist daher an einer starken | |
Aufsicht nicht interessiert. Auch die drei höchsten Beamten für | |
Nuklearpolitik, darunter METI-Staatssekretär Kazuo Matsunaga sowie | |
Nisa-Chef Nobuaki Terasaka, sollen ihre Posten aufgeben. Doch ihre | |
Nachfolger werden den alten Pro-AKW-Kurs weiterverfolgen, solange die | |
Regierung die ehrgeizigen Atomziele nicht offiziell aufgibt. | |
## Am Morgen der Katastrophe auf den Weg gebracht | |
Das Fördergesetz für alternative Energien wurde ironischerweise am Morgen | |
des 11. März vom Kabinett auf den Weg gebracht – ursprünglich mit dem Ziel, | |
die japanische Klimabilanz zu verbessern. Wenige Stunden später brachten | |
das Erdbeben und der Tsunami drei Reaktorkerne im Atomkomplex Fukushima zum | |
Schmelzen. Bisher wurde die Einspeisung von Ökostrom in Japan nur in | |
geringem Maß gefördert: 2009 lag die Kapazität von förderungswürdigen | |
Anlagen bei 14,7 Megawatt. Diese Menge wird sich durch die Einspeisetarife | |
nach einer METI-Schätzung bis 2022 um bis zu 35 Megawatt erhöhen. Experten | |
halten diese Prognose allerdings für konservativ. Bisher stammt nur 1 | |
Prozent des Stroms aus alternativen Quellen, mit Wasserkraft sind es 8 | |
Prozent. | |
Nun bietet das Gesetz Japan die Chance, diesen Anteil schnell zu steigern. | |
Zugleich würde die vermehrt dezentrale Stromerzeugung das bisherige Monopol | |
der Stromversorger brechen. Jedoch setzt die oppositionelle LDP gerade | |
einige Änderungen durch, die das Potenzial des Gesetzes verringern. Das | |
Förderangebot wird wohl zunächst nur für Anlagen gelten, die in den | |
nächsten drei Jahren errichtet werden, und die Abnahmetarife sollen | |
jährlich sinken, damit Anlagenbetreiber rasch investieren. | |
Die LDP hatte Japan über 50 Jahre lang regiert. 2009 stammten 70 Prozent | |
ihrer Spendeneinnahmen aus der Atomindustrie. Umstritten ist zudem, wer die | |
Tarife festlegt: Eine unabhängige Behörde oder das atomfreundliche METI. Im | |
Gespräch sind umgerechnet 37 Cent je Kilowattstunde für kommerzielle Solar- | |
und 14 bis 18 Cent für Windanlagen. Das ist zwar mehr als in Deutschland, | |
ergäbe aber angesichts höherer Landkosten und einer vermutlich kürzeren | |
Vergütungsphase ersten Schätzungen zufolge dennoch nur geringe Renditen für | |
die Betreiber. | |
12 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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