# taz.de -- Wahlen in Japan nach der Katastrophe: Verschobene Abrechnung | |
> Nur ein kleiner Denkzettel: Bei den Kommunalwahlen verliert die Regierung | |
> von Premierminister Kan nur 69 ihrer 384 Sitze. Echter Wahlkampf hatte | |
> kaum stattgefunden. | |
Bild: Shintaro Ishihara bleibt Gouverneur in Tokio - obwohl er den Tsunami als … | |
TOKIO taz | Bei den ersten Wahlen seit dem Erdbeben haben die Japaner ihre | |
Enttäuschung und Wut über die Regierung in Tokio weitgehend kontrolliert. | |
Die regierende Demokratische Partei (DPJ) erhielt bei den Abstimmungen in | |
41 Präfekturen lediglich einen kleinen Denkzettel verpasst. Sie verlor 69 | |
ihrer 384 Sitzen. Doch das Ergebnis schwächt Premierminister Naoto Kan so, | |
dass die frühere Dauerregierungspartei LDP jetzt doch keine große Koalition | |
eingehen wird, sondern sich wieder Hoffnungen macht auf die | |
Regierungsübernahme. | |
Bei den Wahlen der Gouverneure von zwölf Großstädten gingen die Wähler kein | |
Risiko ein und bestätigten alle neun Amtsinhaber, die sich einer Wiederwahl | |
stellten. Drei DPJ-Kandidaten konnten sich nicht durchsetzen. Ein echter | |
Wahlkampf hatte unter dem Eindruck der Katastrophe kaum stattgefunden. | |
Lieber hatten prominente Politiker in den vergangenen Tagen vor der Wahl | |
die Tsunami-Gebiete im Nordosten besucht. Dort wurde die Wahl auf | |
unbestimmte Zeit verschoben. | |
In der Hauptstadt Tokio deklassierte der amtierende Gouverneur Shintaro | |
Ishihara mit einem Stimmenanteil von 44 Prozent seine Konkurrenten. | |
Ishihara trat als Unabhängiger an, wurde jedoch von den oppositionellen | |
Liberaldemokraten und der mit ihr verbündeten Neuen Komeito-Partei | |
unterstützt. Nach seinem Sieg kündigte der 78-jährige Politiker an, Tokio | |
während seiner vierten Amtszeit besser auf Katastrophen vorzubereiten. | |
## Rechter Sprücheklopfer | |
Seinem Ruf als rechter Sprücheklopfer blieb Ishihara treu. Japan werde nur | |
überleben, wenn die Japaner ihre Selbstsucht zähmten und demütiger lebten, | |
sagte der Politiker. Den Tsunami hatte er zunächst als göttliche Strafe für | |
Egoismus bezeichnet, sich dafür jedoch später entschuldigt. Ishihara | |
propagiert einen nationalen Rechtsruck, um Japans zwanzig Jahre währende | |
Dauerkrise zu überwinden. Auch für den Strommangel im Sommer hat der | |
frühere Schriftsteller eine Lösung parat. "Kein anderes Land als Japan | |
braucht jährlich fast 10.000 Megawatt Strom für Pachinko-Spielhallen und | |
Getränkeautomaten", sagte er. Diesen Lebensstil müsse das Land korrigieren. | |
In der Präfektur Fukui, als Standort von 14 Atomkraftwerken die Hochburg | |
der Nuklearwirtschaft, wurde Gouverneur Issei Nishikawa zum zweiten Mal in | |
Folge wiedergewählt. Der 66-Jährige hatte sich dafür eingesetzt, die AKWs | |
sicherer zu machen. Sein Gegenkandidat Kunihiro Uno von der Kommunistischen | |
Partei plädierte dagegen dafür, die Abhängigkeit von der Atomenergie zu | |
beenden. | |
Regierungschef Kan hatte bis zu dem Erdbeben kurz vor dem politischen Aus | |
gestanden. Sein Zustimmungswert in der Bevölkerung ist Umfragen zufolge | |
zuletzt auf bescheidene 30 Prozent gestiegen. Im Wissen um Kans Schwäche | |
lehnt die Opposition eine Koalition mit ihm ab. Weil sie sich jedoch einem | |
schnellen Wiederaufbau nicht in den Weg stellen kann, muss sie ihn | |
zähneknirschend unterstützen. Beobachter rechnen mit dem politischen | |
Erdbeben daher erst, wenn die Atomreaktoren von Fukushima wieder unter | |
Kontrolle sind. Seit zehn Jahren haben die Japaner nämlich unfähige | |
Regierungen konsequent abgewählt. | |
11 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
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