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# taz.de -- Debatte Barack Obama: Präsident im falschen Land
> Obama lässt nicht ab von seinem Run auf eine Mitte, die es nicht gibt.
> Die Vereinigten Staaten sind gespalten, vom Hass gequält - und nun ohne
> Hoffnungsträger.
Der Schriftsteller Norman Mailer sagte einmal sinngemäß: Der Charakter des
Präsidenten bestimmt die Kultur der Nation. Mailer wuchs unter Franklin
Roosevelt auf (und zog in den Krieg), unter Truman wurde er berühmt, war
eine Ikone der Eisenhower-Ära und die Kennedys mochten ihn sehr. Johnsons
Krieg in Vietnam lehnte Mailer ab; Nixon verabscheute er. All diese starken
Präsidenten spalteten die Nation - und keiner ihrer Nachfolger (Ford,
Carter, Reagan, Bush Senior, Clinton, Bush Junior) hatte je wieder ihren
Einfluss.
Obamas Chronisten hatten sich ausgemalt, dass er die Dynamik der starken
Präsidenten wieder ins Weiße Haus bringen würde. Seine multiethnische
Familie, seine Zeit in Indonesien und in Hawaii, sein Studium an der
Columbia und in Harward im intellektuellenNordosten, gefolgt von seiner
Arbeit als Anwalt für Bürgerrechte im turbulenten Chicago und als
Wahlkampfhelfer für Bill Clinton, all das ließ ihn auf einzigartige Weise
geeignet erscheinen, das Land aus dem brutalen, imperialen Zeitalter in
eine neue, multipolare Welt zu führen.
## Perfekt für die multipolare Welt
Es sollte nicht sein. Die Wählerallianz, die ihm seine cleveren Berater
zusammengeschmiedet hatten, bestand aus Afroamerikanern, Latinos,
asiatischen Immigranten, Frauen, Gewerkschaftern, der kritischen
Intelligenzia und ausreichend Weißen aus der Arbeiterklasse. Übrigens: Was
anderswo Arbeiterklasse heißt, bezeichnet man in den USA als Mittelschicht:
Jeder gehört zu ihr, der weder wie rund 45 Millionen Amerikaner auf
Lebensmittelmarken angewiesen ist noch Business-Klasse fliegt. Obamas
Wahlkampfmanager gaben dieser Mittelschicht das Gefühl, zu einer neuen und
aufregenden Bewegung zu gehören.
Leider brauchten die Demokraten anschließend eine Weile um fest zu stellen,
dass - was immer Obama auch sein mochte - die Definition vom starken
Präsidenten jedenfalls nicht zu ihm passte. In der Zwischenzeit wurden die
für die Wirtschaftskrise von 2008 verantwortlichen Banken gerettet. Ein
mittelgroßes Konjunkturpaket verhinderte den totalen ökonomischen Kollaps,
doch gleichzeitig verloren Bundesstaaten und Städte die Federal Funds und
konnten nun weder Dienste noch Arbeitsplätze anbieten. Die größeren Firmen
häuften Reserven an, doch die kleineren bekamen keine Kredite mehr, um zu
expandieren; der Wohnungsmarkt schrumpfte.
Und was machte Obama? Er konzentrierte sich auf die Gesundheitsreform. Die
ist auf die Privatversicherten angewiesen, um die Absicherung auf vierzig
Millionen zuvor ausgeschlossene US-Bürger auszuweiten. Der Plan wurde nur
von wenigen verstanden, und zusammen mit der milden Behandlung der Banken
entfachte er den Unmut einer Öffentlichkeit, die spürte, dass sie kaum ins
Gewicht fiel.
Gleichzeitig machten jene, die die Wahl eines Afroamerikaners zum
Präsidenten extrem unerfreulich fanden, sich die Lügen über seine
vermeintlich unrechtmäßige Staatsbürgerschaft, seine Zugehörigkeit zum
Islam und seinen "Sozialismus" zu eigen.
## Versöhnung ohne Grundlage
Angesichts von so viel Hass und Unwissenheit scharten sich Obamas
Unterstützer um ihn - und stellten schockiert fest, dass dieser die
imperialen Feldzüge in Afghanistan und im Irak fortsetzte genauso wie den
"Krieg gegen den Terror" mit seinen direkten Angriffen auf bürgerliche
Freiheiten in den USA. Bei den Wahlen 2010 gingen nur noch 40 Prozent der
Amerikaner wählen - im Unterschied zu 60 Prozent im Jahr 2008. Die
Obamaanhänger blieben zu Hause.
Die Antwort des Präsidenten? Anstatt zu versuchen, seine ehemaligen
Supporter erneut zu mobilisieren, bewegte er sich auf eine imaginäre
"Mitte" zu. Gegenüber den feindseligen und aggressiven Republikanern erging
er sich wiederholt in Gesten des Entgegenkommens, wenn nicht gar der
Kapitulation. Dabei besitzen die nur eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus,
nicht aber im Senat.
Zudem hat Obama die Schuldenbekämpfung zu seiner Priorität erklärt und
bietet substantielle Einschnitte bei Medicare, der Krankenversicherung für
Senioren und der Sozialversicherung (unser Pensionssystem) an. Dabei sind
die Umfragen eindeutig: eine Mehrheit der Amerikaner befürwortet Maßnahmen,
um die Beschäftigung auszuweiten und misst der Verringerung des Defizits
nur sekundäre Bedeutung bei. An der Schwelle zu den Präsidentschaftswahlen
2012 hat Obama also sich und die Demokraten ihres schlagkräftigsten
Arguments beraubt - nämlich, dass alleine die vollständige
Kommerzialisierung des Daseins verhindern können.
## Er hält sich für das kleinere Übel
Taumelnd akzeptierte eine demoralisierte demokratische Partei die
Einrichtung einer parteiübergreifenden Kommission von Kongress und Senat,
die sich auf Haushaltsreformen verständigen soll - ein offensichtlicher
Verlust gesetzgeberischer Souveränität. Es gibt keine demokratischen
Herausforderer für den Präsidenten, der offensichtlich glaubt, dass die
Republikaner jemanden nominieren werden, der entweder so unqualifiziert
oder so eng mit den räuberischsten Seiten des Kapitals verbunden ist, dass
seine eigene Wiederwahl als wesentlich kleineres Übel erscheint.
Die Stimmen kritischer Demokraten waren laut und wehmütig. Zu den Erben des
New Deal zählen rund 30 von 100 Senatoren und 85 von 435 Abgeordneten im
Kongress. Sie erkennen jetzt, dass sie nicht eine Schlacht, sondern einen
Bürgerkrieg verloren haben. Der neue Finanzkapitalismus (der Hedge Fonds,
Derivate und obskuren Transaktionen) hat den Industriekapitalismus ersetzt,
der uns einst eine prosperierende Arbeiterklasse gab. Weite Teile des
Landes sind heute ökonomisch und sozial verwüstet.
Obama hat sich im Wahlkampf als Reformer präsentiert, aber wirkt auf viele,
die besonders enthusiastisch waren, wie ein manipulativer Technokrat. Die
amerikanische Elite, die ihn ins Amt gebracht hat und immer noch
unterstützt, geht davon aus, dass die Art Proteste, die in London gewütet
haben, zwar auch in den USA möglich wären, aber (wie in der Vergangenheit)
erfolgreich eingedämmt werden könnten. Doch das könnte sich, wie so vieles
andere, als Irrtum erweisen. Was die Kultur des Landes betrifft, so ist es
zerrissen und gequält.
14 Aug 2011
## AUTOREN
Norman Birnbaum
## TAGS
Newtown
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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