# taz.de -- Tea-Party gewinnt Testwahl der Republikaner: Nein und Amen | |
> Michele Bachmann gewinnt die erste Testabstimmung unter den | |
> republikanischen Herausforderern von Obama. Viele ihrer Anhänger wären | |
> hier ein Fall für den Sektenbeauftragten. | |
Bild: Yay! Teaparty-Politikerin Michele Bachmann freut sich. | |
AMES (IOWA) taz | "Dies ist das größte Land auf Erden", tönt Duane Holt in | |
die Runde, "es ist bloß in den falschen Händen." Aus dem Unterkiefer des | |
69-Jährigen ragen zwei einsame Zähne. Für einen Arztbesuch reicht es nicht. | |
"Meine Rente ist seit zwei Jahren unverändert", erzählt er mit etwas | |
leiserer Stimme und fügt hinzu: "Ich bin keiner von denen, die der | |
Allgemeinheit zur Last fallen. Es geht auch ohne Zähne." | |
Ihm gegenüber am Campingtisch sitzt eine sorgfältig geschminkte Frau. Linda | |
Love trägt ein orangefarbenes T-Shirt ihrer Favoritin, hat am Handgelenk | |
das lila Bändchen jener, die bereits gewählt haben, und löffelt Essen aus | |
einem Plastikschälchen. Wie alle am Tisch hat sie für Michele Bachmann als | |
republikanische Präsidentschaftskandidatin gestimmt. Weil sie christlich | |
ist. Weil sie etwas von Finanzen versteht. Weil sie unbeirrt an ihrer | |
Meinung festhält. Und weil sie den Staat schrumpfen lassen will. "Man muss | |
mit dem haushalten, was man hat", sagt Linda Love. Die 70-Jährige lebt in | |
einem Trailer, einem Wohnwagen. Sie hat früher als Sekretärin gearbeitet | |
und dabei "gut auf das Geld aufgepasst". Aber für ein richtiges Haus hat es | |
trotzdem nicht gereicht. | |
Die beiden sehen sich nicht als Opfer. Vielmehr als Avantgarde des "echten | |
Amerika". Sie wollen, dass der Staat seine Ausgaben kürzt, freilich ohne | |
ihre Rente oder ihre Krankenversicherung ein weiteres Mal anzutasten. | |
Wie Tausende andere sind sie an diesem Samstag in das Provinznest Ames nach | |
Iowa gekommen. Der Bundesstaat im Mittleren Westen ist die Maiskammer der | |
USA. Was dort angebaut wird, ist zu mehr als 90 Prozent genmanipuliert. Und | |
zu 100 Prozent erfolgreich. Insbesondere in diesem Jahr, in dem die | |
Maispreise erstmals höher liegen als die Weizenpreise. | |
Zugleich ist Iowa die Wiege der Präsidentschaftswahlkämpfe. Fast alle | |
Präsidenten haben ihre Kampagnen dort begonnen, auch Barack Obama. Die | |
Bewohner Iowas legen Wert auf kleine Treffen mit kommenden Präsidenten. Und | |
sie erzählen noch ihren Enkeln, wem sie getraut haben und wem nicht. | |
## Bis zum Frühjahr galt sie als rechte Extremistin | |
Den Anfang machen auch dieses Mal wieder die Republikaner. Ihre "Straw | |
Poll" genannte Probeabstimmung in Ames ist die erste parteiinterne Wahl in | |
der langen Kampagne bis zum Präsidentschaftswahlkampf. Es gibt Gratisessen, | |
Gratis-T-Shirts. Und Gratiskonzerte. Den Kandidaten kostet der Tag ein | |
Vermögen. Wer beim Straw Poll siegt, wird zwar im folgenden Winter nicht | |
unbedingt offizieller Präsidentschaftskandidat der Republikaner, aber | |
Schlagzeilen für ein paar Tage sind ihm gewiss. | |
Michele Bachmann ist eindeutige Siegerin des Tages. Sie bekommt 28,6 | |
Prozent der Stimmen. Für eine Politikerin, die noch bis zu diesem Frühjahr | |
als rechte Extremistin galt, die allenfalls bei Demonstrationen der Tea | |
Party auftrat, ist das ein sensationeller Erfolg. Zugleich geht die | |
Parteirechte insgesamt gestärkt aus dem Treffen hervor. Denn hinter | |
Bachmann folgen noch drei weitere Kandidaten, die ebenfalls zum äußeren | |
rechten Rand gehören: Ron Paul mit 27,7 Prozent, Tim Pawlenty, der bereits | |
am Sonntag seine Kandidatur zurückzog, mit 13,6 Prozent und Rick Santorum | |
mit 9,8 Prozent. Sie alle sind wie Bachmann ostentativ religiös, lehnen | |
Abtreibungen ab und kämpfen gegen gleichgeschlechtliche Ehe. | |
Jene republikanischen Kandidaten, die in Washington als gemäßigt gelten, | |
landen hingegen bei dem Straw Poll in Iowa erst auf den Plätzen sechs und | |
sieben: Rick Perry mit 3,6 Pozent, Mitt Romney mit 3,4. | |
"Wir holen uns Amerika zurück", kommentiert Bachmann ihren Erfolg. Und alle | |
verstehen, dass damit nicht nur Präsident Obama gemeint ist, sondern auch | |
ihre eigene Partei. Beim Straw Poll in Ames fehlen jene Kandidaten der | |
Republikaner, die angesichts des Rechtsrucks der Partei nun plötzlich | |
moderat wirken - darunter Perry und Romney. Sie sind vorher nach Iowa | |
gefahren. Und sie werden hinterher durch den Bundesstaat touren. Doch die | |
Probeabstimmung in Ames überlassen sie ihren Parteirechten. Bachmann und | |
die anderen nutzen die Gelegenheit, um ihre Ambitionen zu untermauern. | |
Die aggressiven Parolen früherer Demonstrationen der Tea Party sind in Ames | |
nicht zu hören; es gibt auch keine Bilder von Obama, die diesen mit | |
Hitlerbärtchen oder im Stalin-Outfit zeigen. Die Anhänger der Tea Party | |
nennen sich jetzt "sozialkonservativ". Und Gott spielt eine zentrale Rolle. | |
## Sie gibt sich bescheiden | |
Direkt gefolgt von mehreren Lobbygruppen, die das Ereignis nicht nur | |
sponsern, sondern auch ihre Ideen eingeben. Ganz oben steht das | |
amerikanische Petroleum Institute. Es verlangt eine schnelle Genehmigung | |
von Off-Shore-Ölbohrungen und einer neuen Ölpipeline von Kanada quer durch | |
die USA. Für die Arbeitsplätze und die Energiesicherheit. Die Leute von der | |
"Nationalen Vereinigung für die Ehe", die mit einem "Wertebus" durch Iowa | |
touren, halten Reden gegen Abtreibungen. Die Schusswaffenlobby NRA | |
empfiehlt Bachmann und Ron Paul als "Pro Gun"-Kandidaten. Und die Gruppe | |
"Numbers" ist für Bachmann, weil diese für "sichere Grenzen" und eine harte | |
Verfolgung von "illegaler Immigration" eintrete. | |
Bachmann selbst gibt sich bescheiden. In zahlreichen kleinen Reden sagt sie | |
immer dasselbe. Und fast nichts Politisches: "Ich heiße Michele Bachmann. | |
Ich bin in Iowa geboren. Ich will Präsidentin werden." | |
Als Bilanz ihres politischen Tuns verweist sie auf ihre "Neins". Seit ihrem | |
Einzug in das Repräsentantenhaus im Jahr 2007 ist sie auf Ablehnung | |
spezialisiert. Auch dann, wenn der Rest ihrer Partei anders stimmt. Zuletzt | |
hat sie Anfang August die Erhöhung der Schuldendecke abgelehnt. Während die | |
Ratingagenturen die USA abgestraft haben, beharrt sie weiterhin darauf, | |
dass es richtig war, mit Zahlungsunfähigkeit zu drohen. | |
In Bachmanns Zelt lösen sich Pfadfinder in Uniform und Kirchenmusiker ab. | |
Es ist ein Wahlkampf mit Musik und Gebet. Eine Jugendband singt von Jesus | |
im Herzen und von Liebe zu Gott. Bachmann-Anhänger stehen mit entrücktem | |
Blick und gen Himmel gestreckten Armen davor, singen mit und wiegen sich im | |
Rhythmus. | |
In manchen anderen Ländern würden sich Sektenbeauftragte für das Geschehen | |
interessieren. Aber in Iowa, wo sich zahlreiche fundamentalistische Gruppen | |
tummeln, sagt ein Bachmann-Fan: "Das echte Christentum ist tolerant." Und | |
Duane Holt nuschelt zwischen seinen beiden letzten Zähnen: "Dies ist eben | |
eine christliche Nation." | |
## "Bachmann ist verrückt" | |
Kritische Diskussionen kommen so nicht auf. Außerhalb der Straw Poll sind | |
Bachmanns Auftritte spannender. Auf der Landwirtschaftsmesse von Iowa | |
springt ein junger Mann auf einen Strohballen, während Bachmann ihre | |
Standardrede hält. "Schäm dich!", ruft Gabe Aderhold von dem Strohballen | |
herunter. Er ist 17, trägt eine Zahnklammer und lässt die umstehenden Fans | |
wissen: "Für die Bachmanns sind Leute wie ich Barbaren." Mit diesem Wort | |
hat Bachmanns Mann Marcus, ein Familientherapeut, Schwule bezeichnet. In | |
seiner Klinik haben Behandlungen stattgefunden, um junge Männer von ihrer | |
Homosexualität zu "befreien". | |
Am Eingang zu Bachmanns Zelt kontrollieren Freiwillige jeden, der | |
hereinwill. Draußen schlendert ein junger Mann mit Adlertätowierung auf dem | |
linken Arm herum. "Bachmann ist verrückt", sagt Jason Arment, Religion und | |
Privatleben hätten in der Politik nichts verloren. | |
Der 26-Jährige steht kurz vor dem Ende seiner Dienstzeit bei den Marines | |
und hat im Irakkrieg gekämpft - "ein verlorenes Jahr", wie er sagt. Bei den | |
letzten Wahlen hat er für Obama gestimmt. Er kritisiert, dass Obama weiter | |
Krieg führt, und unterstützt darum nun den rechten Libertären Ron Paul, der | |
den Abzug aller US-Truppen propagiert. | |
Doch auf dem T-Shirt des jungen Mannes steht nicht der Name des Kandidaten, | |
sondern: "Freiheit für Julian Assange!" Jason Arment nennt den | |
WikiLeaks-Gründer einen "Helden". Auf der Straw Poll halten viele Obama für | |
einen Sozialisten; noch mehr bezweifeln, dass es einen Klimawandel gibt. | |
Aber für Assange interessiert sich sonst niemand. | |
Ein Thema, das noch bei der letzten Straw Poll vor vier Jahren zu den | |
wichtigsten gehörte, ist nahezu verschwunden: der Terrorismus. Umso mehr | |
geht es um wirtschaftliche Themen. Auch bei Linda Love, die zwar Wert auf | |
christliche Moral legt, vom nächsten Präsidenten aber neue Jobs erwartet. | |
Milchbauer Jerry Harvey mischt sich ein. Er hat 70 Kühe, Kinder in | |
kostenpflichtigen Ausbildungen und sitzt auf einem Schuldenberg von 320.000 | |
Dollar. Am liebsten würde er alles verkaufen. Aber wenn er es täte, würde | |
das Geld nicht einmal reichen, um die Schulden zu tilgen. Verantwortlich | |
für seine Misere macht er: "Die Steuern." Mit anderen Worten: den Staat. | |
14 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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