Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Norwegen nach den Anschlägen: Trauerfahrt nach Utøya
> Vier Wochen nach dem Massaker wird Utøya zum Ort des Gedenkens.
> Angehörige der Opfer begeben sich auf die Insel, Überlebende kehren
> dorthin zurück.
Bild: "Es war gut, das zu sehen. Aber gleichzeitig hat es verdammt weh getan.“
STOCKHOLM taz | „Ich glaube es war gut. Wir haben gesehen, wo unsere Kinder
gefunden wurden und wie.“ Trond Henry Blattmanns siebzehnjähriger Sohn
Torjus war unter den Teilnehmern des Jungsozialisten-Sommerlagers auf der
Insel Utøya, die am 22. Juli erschossen worden waren. Am Wochenende hatten
die Angehörigen erstmals die Gelegenheit, sich auf die Insel zu begeben,
vor Ort Einzelheiten zu erfahren: „Wir wissen jetzt, dass Torjus zusammen
mit vier anderen gefunden wurde, mit denen er sich vermutlich versteckt
hatte. Es war gut das zu sehen. Aber gleichzeitig hat es verdammt weh
getan.“
Jeweils in kleinen Gruppen waren die Hinterbliebenen der 69 Opfer vier
Wochen nach dem Blutbad auf die Insel gebracht worden. Angehörige von
Polizei, Kriminalpolizei und Rettungsdiensten empfingen sie, führten sie
herum und beantworteten ihre Fragen. Sie konnten Blumen niederlegen und
Kerzen anzünden. „Die meisten trugen es mit Fassung, aber natürlich gab es
auch starke Gefühle“, berichtete der Psychiater Trond Heir, einer der
Mediziner, die zur Betreuung bereitstanden.
Es war ein Wochenende, an dem Norwegen ganz im Zeichen der Trauer stand.
Nach den Hinterbliebenen der Opfer hatten am Samstag die über 500
überlebenden TeilnehmerInnen des Sommerlagers die Möglichkeit, zusammen mit
ihren Angehörigen Utøya zu besuchen. Rund 1500 Personen nahmen diese
Gelegenheit wahr. Unter ihnen Ministerpräsident Jens Stoltenberg, der
versprach, es werde auch im kommenden Sommer das Utøya-Lager geben, und er
werde daran teilnehmen und in seinem Schlafsack dort übernachten.
Am Sonntag fand ab 15 Uhr in Oslo eine vom Fernsehen direkt übertragene
nationale Gedenkveranstaltung für die 77 Opfer von Utøya und des
Bombenanschlags im Regierungsviertel statt. Der Auftritt einer Reihe
bekannter skandinavischer KünstlerInnen sowie Ansprachen von König Harald
und Ministerpräsident Stoltenberg standen auf dem Pogramm. Eingeladen waren
neben in- und ausländischen Regierungsvertretern und Diplomaten auch alle
Hinterbliebenen der Opfer, die Überlebenden, Polizeibeamte und übrigen
Helfer, sowie die Campingplatz- und HoteltouristInnen, die den von Utøya
geflohenen Jugendlichen vor Ort als erste geholfen hatten.
## Kritik an Polizei wird wachsen
Wenn am Montag Norwegen zum Alltag zurückkehrt, ein neues Schuljahr und
auch der Wahlkampf zu den Komunalwahlen am 12. September beginnt, dürfte
auch die bislang eher verhaltene Kritik am Polizeieinsatz massiver werden.
Mehrere Hinterbliebene haben mittlerweile Rechtsanwälte eingeschaltet, die
vor allem Auskunft darüber begehren, warum soviel Zeit bis zum Beginn des
Polizeieinsatzes gegen Anders B. Breivik verstreichen musste. Alle
bisherigen Erklärungsversuche der Polizei haben nicht wirklich überzeugt.
Eine „Selektive Auswahl“ des veröffentlichten Materials wirft der
Angehörigenanwalt Sigurd Klomsæt der Polizei vor, mit der sie offenbar „vor
allem Kritik abwehren“ wolle: „Warum kann die Polizei nicht zugeben, dass
sie ihren Job nicht gemacht hat? Man will den Eindruck erwecken, dass alles
so unheimlich gefährlich für sie war, während doch gleichzeitig Freiwillige
einfach in ihre Boote sprangen und die Leute retteten.“ Und nicht nur
Klomsæt glaubt, dass womöglich in der letzten halben Stunde von Breiviks
Blutbad unnötig Menschen starben.
Eine von einem [1][Utøya-Überlebenden gegründete Facebook-Gruppe] gegen
diese „Hexenjagd auf die Polizei“ hat mittlerweile über 33.000 Mitglieder.
„Auch falls Emil einer der letzten war, die ermordet worden sind, werde ich
hoffentlich nie vergessen, welche Ideologie und welcher Mensch allein für
unseren Schmerz verantwortlich ist“, erklärte der Vater des 15-jährigen
Emil Okkenhaug gegenüber der Tageszeitung Aftenposten zu allen solchen
Spekulationen. Der Terrorist Breivik sei einzig und allein schuldig, meint
auch Trond Henry Blattmann. Doch Fragen um den Polizeieinsatz dürften ihn
auch ihn Zukunft verfolgen. Er leitet eine Selbsthilfegruppe von
Hinterbliebenen: „Ich glaube, Torjus hätte gewollt, dass ich mich da
engagiere. Und es ist wohl meine Form des Trauerns. Wenn nur nicht alles so
fürchterlich sinnlos wäre.“
21 Aug 2011
## LINKS
[1] http://www.facebook.com/profile.php?id=603105078#!/event.php?eid=1782873289…
## AUTOREN
Reinhard Wolff
Reinhard Wolff
## TAGS
Rechtsextremismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
10 Jahre nach dem Attentat von Utøya: „Sie hat gelernt, damit zu leben“
Jede Person muss Verantwortung übernehmen, um Hass entgegenzutreten, sagt
Laila Gustavsen. Ihre Tochter überlebte das Utøya-Attentat schwer verletzt.
Terror in Norwegen: Breivik ist unzurechnungsfähig
Der Attentäter, der am 22. Juli dieses Jahres 77 Menschen in Oslo und auf
der Insel Utøya tötete, ist laut einem psychiatrischen Gutachten nicht
schuldfähig.
Norwegischer Attentäter: Breivik für unzurechnungsfähig erklärt
Zwei Rechtspsychiater haben den norwegischen Attentäter Breivik für nicht
schuldfähig erklärt. Die Gutachter führten 13 Gespräche mit Breivik, der in
Oslo und Utøya 77 Menschen tötete.
100 Tage nach dem Massaker von Utöya: Keine Terror-Klage gegen Breivik
Immer wieder neue Ungereimtheiten: Der Attentäter von Norwegen kann nicht
wegen terroristischer Taten angeklagt werden, weil das Gesetz noch gar
nicht in Kraft ist.
Weitere acht Wochen U-Haft für Attentäter: Kontaktsperre für Breivik
Der norwegische Attentäter Breivik wollte bei einem Haftprüfungstermin eine
vorbereitete Rede halten. Das verhinderte die Richterin, die eine komplette
Nachrichtensperre verfügte.
Wahl in Norwegen: Vorteil für Konservative
Bei den Kommunalwahlen in Norwegen erleidet die rechtspopulistische
Fortschrittspartei den erwarteten Rückschlag. Davon profitieren die
Konservativen.
Regionalwahlen in Norwegen: Das Lächeln des Premiers
Ein klares Votum gegen die rassistischen Thesen des Attentäters Anders
Behring Breivik: Die norwegischen Rechtspopulisten haben die ersten Wahlen
nach dem Massaker klar verloren.
Kommunalwahlen in Norwegen: Das Bedürfnis, sich zu engagieren
Am Montag finden die ersten Kommunalwahlen nach den Attentaten in Norwegen
statt. Das politische Interesse der Jugendlichen ist stark gestiegen.
Attentäter von Oslo: Breivik bleibt in Isolationshaft
Weitere vier Wochen bleibt der Attentäter von Oslo isoliert und ohne Zugang
zu Internet oder Fernsehen. Die Angehörigen der Opfer gedenken der Toten
auf der Insel Utøya.
Norwegens Ministerpräsident: Beliebter als der König
Drei Wochen nach den Attentaten kehrt langsam der Alltag in Oslo zurück. Im
September stehen Wahlen an und Ministerpräsident Stoltenberg steht gut da.
Attentat auf Utøya: Polizeipannen ohne Ende
Beim Einsatz der Polizei gegen den Attentäter Breivik ist einiges schief
gelaufen. Die "Delta"-Spezialeinheit hätte statt in 90 in 22 Minuten auf
der Insel Utøya sein können.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.