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# taz.de -- Attentat auf Utøya: Polizeipannen ohne Ende
> Beim Einsatz der Polizei gegen den Attentäter Breivik ist einiges schief
> gelaufen. Die "Delta"-Spezialeinheit hätte statt in 90 in 22 Minuten auf
> der Insel Utøya sein können.
Bild: Muss sich verteidigen: Johan Fredriksen, Stabschef der Osloer Polizei.
STOCKHOLM taz | Ein rotes Schlauchboot, das mit 10 Polizisten und deren
Ausrüstung so gefährlich überladen ist, dass es voll Wasser läuft, fast
sinkt und dann unterwegs noch einen Motorschaden erleidet: Diese peinliche
Sequenz dokumentiert eine Videoaufnahme vom Polizeieinsatz auf der Insel
Utøya am 22. Juli 2011. Nur zwei schnellere und tragfähigere Boote von
Touristen ermöglichen es den Beamten, überhaupt auf die Insel Utøya zu
gelangen.
Dass die Spezialeinheit das Massaker des Anders Behring Breivik auf Utøya
erst nach 90 Minuten beenden konnte, ist hinlänglich bekannt. Wegen
Urlaubszeit und Sparmaßnahmen fehlte schlicht ein einsatzbereiter
Polizeihubschrauber. Nicht wirklich beantwortet ist nach wie vor die Frage,
warum - auch ohne Hubschrauber - bei einem Landweg von 40 Kilometern so
viel Zeit verstreichen musste, bis die Beamten Utøya erreichten.
Nach jüngsten Meldungen norwegischer Medien hätte es nicht 90 Minuten
dauern müssen, um Breivik außer Gefecht zu setzen. Dies hätte schon nach 22
Minuten geschehen können. Die Medien berufen sich bei diesen Angaben auf
Quellen aus den Reihen der Polizei selbst - die gleichzeitig beklagen, die
Polizeiführung versuche ihnen einen Maulkorb zu verpassen. Wie man einen
bewaffneten Attentäter ausschaltet, wurde bei den auch in Norwegen
regelmäßig veranstalteten Antiterrorübungen gründlich trainiert.
Scharfschützen standen in Oslo bereit und hätten mit einem auf dem Osloer
Flughafen zur fraglichen Zeit auch einsatzbereiten Rettungshubschrauber des
Militärs binnen 22 Minuten über Utøya sein können. Diese Maschine vom Typ
"Sea-King" kann nach Auskunft des Militärs bis zu zehn Beamte samt
Ausrüstung transportieren. Die entsprechende Zusammenarbeit mit dem Militär
war Bestandteil der jährlichen Antiterrorübungen gewesen.
## Man musste improvisieren
Warum diese Alternative nicht einmal erwogen wurde, konnte ein
Polizeisprecher nicht sagen. Das werde ebenso Gegenstand der Arbeit einer
Untersuchungskommission sein wie die Frage, warum die mühsam auf dem
Landweg angereiste "Delta"-Spezialeinheit vom Ufer aus eine 3,6 Kilometer
lange Seeroute nach Utøya wählte und nicht den kürzestmöglichen direkten
Weg von 670 Metern. Die örtliche Polizei habe das so entschieden, lautet
die bisherige Begründung.
Man habe improvisieren müssen, erklärte Johan Fredriksen, Stabschef der
Osloer Polizei, zu den neuen Kritikpunkten gegenüber dem TV-Sender NRK.
Schließlich könne die Polizei nicht an jedem See - der Tyrifjord, in dem
Utøya liegt, ist Norwegens fünftgrößter Binnensee - ein geeignetes Boot
liegen haben. Die Frage, ob der Einsatz eines Hubschraubers mit
Scharfschützen an Bord Menschenleben hätte retten können, bezeichnete er
als "Spekulation".
Oslos Polizeidirektor Øystein Mæland ergänzte, man sei "stolz" auf den
geleisteten Einsatz, aber natürlich könne man immer was lernen. Arne
Johannessen, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft Politiets Fellesforbund,
ist sich sicher, dass "vieles an dem Tag hätte besser laufen können", warnt
aber vor voreiligen Schlüssen: "Erst müssen alle Fakten auf den Tisch."
Es gab weitere Pannen: So stellt sich nun heraus, dass man erst eine Stunde
nach dem Bombenschlag auf das Regierungsviertel auf den Gedanken gekommen
war, das Parlamentsgebäude zu sichern. Außerdem konnte eine auf
Terrorattacken speziell trainierte Polizeieinheit - die Utrykningsenheten -
überhaupt nicht alarmiert werden, weil polizeiliche Telefon- und
Alarmsysteme wegen starker Belastung zusammenbrachen. Das Gleiche war schon
bei einer Antiterrorübung 2006 passiert.
10 Aug 2011
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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