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# taz.de -- Islamismus in Deutschland: Ein Attentat und viele offene Fragen
> Arid U. hat im März am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschossen.
> Ab Mittwoch muss er sich dafür vor Gericht verantworten.
Bild: Tödliche Schüsse: Arid U. tötete zwei US-Soldaten.
FRANKFURT/MAIN taz | Seit dem Attentat ihres früheren Mitarbeiters sind sie
beim Grünen Halbmond in Frankfurt immer wieder zusammengesessen und haben
sich gefragt: Hätten wir etwas merken können? Vielleicht sogar müssen?
Doch auch gut fünf Monate nach der Bluttat kommt Margit Kablan, die bei dem
islamischen Sozialdienst für die Pflege zuständig ist, zur selben Antwort:
Sie wüsste nicht, wie. "Er war ein lieber, zurückhaltender, ruhiger Junge",
sagt Kablan. In dem halben Jahr, in dem er bei ihnen jobbte, fiel er nie
durch radikale Ansichten auf. Er machte einen tadellosen Job, pflegte einen
älteren Marokkaner, spritzte ihm Insulin, duschte ihn, wechselte seine
Windeln. "Wir dachten, das ist eine Verwechslung."
Am 2. März hat Arid U. am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten mit
Schüssen in den Kopf getötet, als diese mit einem Bus nach Ramstein fahren
wollten - von dort wäre es weiter nach Afghanistan in den Krieg gegangen.
Von kommenden Mittwoch an muss sich der 21-Jährige dafür vor dem
Frankfurter Oberlandesgericht verantworten. Der Vorwurf: zweifacher Mord,
dreifacher versuchter Mord.
Die Tat gilt als erstes islamistisch motiviertes Attentat in Deutschland.
Arid U. war nach Erkenntnissen der Ermittler nicht in eine Gruppe oder gar
Terrororganisation eingebunden. Er hat sich vielmehr über das Internet
radikalisiert, alleine, zu Hause. Wie aus der Anklageschrift hervorgeht,
die der taz vorliegt, fanden sich auf seinem Laptop, seinem Handy und
seinem iPod hunderte dschihadistische Texte, Videos und Lieder - darunter
ein Buch des einstigen Bin-Laden-Mentors Abdallah Azzam und elf
englischsprachige Vorträge des berüchtigten Predigers Anwar al-Awlaki,
eines der wichtigsten Ideologen des Al-Qaida-Ablegers im Jemen.
## "Er war ein ganz normaler Typ"
Schon vor dem Sommer 2007 soll sich Arid U. laut Anklage im inzwischen
gelöschten Forum der "Globalen Islamischen Medienfront" angemeldet haben,
die eine Zeit lang als wichtigster Verbreiter dschihadistischer Propaganda
im deutschsprachigen Raum galt. Seinem Umfeld scheint all das nicht
aufgefallen zu sein. Er habe als sozial integriert, höflich und
introvertiert gegolten, heißt es in der Anklageschrift. "Er war ein ganz
normaler Typ", sagt einer seiner früheren Kumpels, mit dem er Basketball
spielte und Ballerspiele zockte.
In den letzten Monaten vor der Tat hat Arid U. dann aber den Kontakt zu
seinen alten Freunden - unter ihnen auch ein Deutsch-Amerikaner - nach und
nach abgebrochen. Immer tiefer tauchte er in die Welt der islamistischen
Internetpropaganda ab. Wenige Tage vor dem Attentat änderte er im sozialen
Netzwerk Facebook seinen Namen zu "Abu Reyyan"und postete einen Link zu
einer Dschihad-Hymne, in der es heißt: "Meine Waffe ist jederzeit bereit."
Vielleicht hat die Internetpropaganda bei Arid U. aber auch erst deshalb
fruchten können, weil er zuletzt in mehrere Krisen geriet. In der Schule
war es erst gut gelaufen für den jungen Mann, der als Kleinkind aus dem
kosovarischen Mitrovica nach Hessen gekommen war. Nach einem
Realschulabschluss mit 2,1 wechselte er auf das Gymnasium. Doch dann soll
er eine depressive Phase durchlitten haben, fehlte immer häufiger und ging
schließlich im Sommer 2010 ohne Abitur ab. Seinen Eltern soll Arid U. davon
nichts erzählt haben. Sie dachten noch am Tag der Tat, dass ihr Sohn das
Abitur bestanden hat, gerade seinen Sozialdienst leistet und dann studieren
will.
Wie man aus der Forschung weiß, sind es oft solche Brüche und Krisen, die
empfänglich machen für radikale Propaganda. Aber kann das ein Attentat
erklären?
## "Er wollte Vergeltung"
Am Abend vor der Tat schaute sich Arid U. im Internet wieder einmal
dschihadistische Videos an. Gegen 23 Uhr sah er bei "YouTube" einen Clip,
in dem neben Ausschnitten aus Terrorvideos die Vergewaltigung einer
Muslimin durch US-Soldaten gezeigt wird. Es ist eine Szene aus dem Kinofilm
"Redacted" von Brian De Palma. Arid U. hielt die Vergewaltigung für echt,
wie er in Vernehmungen sagte. Er müsse "irgendetwas machen", habe er sich
am nächsten Morgen gedacht - und das tat er dann auch.
Er holt sich aus dem Kleiderschrank eine 9-Millimeter-Pistole, die
vermutlich seinem Bruder gehört, fährt mit 22 Patronen raus zum Frankfurter
Flughafen. Bis kurz vor der Tat hört er laut Anklage über seinen iPod
Dschihadlieder, darunter auch das eines im afghanisch-pakistanische
Grenzgebiet aktiven Bonner Dschihadisten: "Mutter bleibe standhaft, dein
Sohn ist im Dschihad." Wenig später schießt Arid U. los. "Er wollte
Vergeltung", sagt die Bundesanwaltschaft. Ein Urteil wird für Januar
erwartet.
27 Aug 2011
## AUTOREN
Wolf Schmidt
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