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# taz.de -- Solinger Salafisten: Mein Sohn, der Terrorverdächtige
> Ein 23-jähriger Konvertit aus Solingen sitzt in London in einem Gefängnis
> – unter Terrorverdacht. Die Mutter begreift das nicht. Die Geschichte
> einer Radikalisierung.
Bild: Im Februar 2012 soll Robert B. im Strafgericht "Old Bailey" in London der…
SOLINGEN taz | Marlis B. sitzt auf dem Sofa in ihrer Wohnung in einem
Mehrfamilienhaus in Solingen. Sie braucht jetzt erst Mal eine Zigarette.
Die Nachrichten, die sie aus London bekommen hat, klingen nicht gut. Die
Briten haben nun Anklage erhoben gegen ihren Sohn Robert, der seit dem
Frühsommer im berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Süd-London
sitzt – wegen Terrorverdachts.
Der 23-jährige Robert B. war am 15. Juli zusammen mit dem fünf Jahre
älteren Christian E. am Fährhafen in Dover von einer Sondereinheit der
britischen Polizei festgenommen worden. Im Gepäck der beiden Konvertiten
aus Solingen fanden die Beamten dschihadistische Propaganda, darunter auch
Sprengstoffbauanleitungen aus einer Terrorpostille der Al-Qaida: "Make a
bomb in the kitchen of your mom". Bombenbau in Muttis Küche.
In Deutschland wäre der bloße Besitz solcher Texte noch nicht strafbar,
doch wegen der strengen Anti-Terror-Gesetze der Briten drohen den beiden
jungen Männern dort langjährige Haftstrafen. Was die beiden überhaupt in
England wollten, ist unklar.
Marlis B. hat sich dafür entschieden, mit der Geschichte ihres Sohnes
offensiv umzugehen. Sie will um ihn kämpfen – und gegen die radikalen
Salafisten, die ihm eine Gehirnwäsche verpasst haben müssen, wie sie es
formuliert. "Ich weiß nicht, was mit dem Jungen los ist", sagt Marlis B.
"Ich begreife das einfach nicht."
Marlis B. ist es gewohnt zu kämpfen. In der DDR hat die Stasi versucht, ihr
das Leben zur Hölle zu machen. Wegen eines Fluchtversuchs wirft man sie ins
Gefängnis, 1985 wird sie von der Bundesrepublik freigekauft und kommt nach
Solingen. Dort heiratet sie, im Herbst 1987 kommt ihr Sohn Robert zur Welt.
Der hatte sich den letzten beiden Jahren mehr und mehr verändert, bis seine
Mutter gar nicht mehr zu ihm durchdringen konnte. Anfang 2009 konvertiert
Robert B. zum Islam und fängt irgendwann an, lange Gewänder und Häkelmütze
zu tragen, wie es die ultrafrommen Salafisten tun. In Solingen-Schlagbaum
besucht Robert B. eine Hinterhofmoschee, die in einem Flachbau unweit des
Rathauses untergebracht ist – und im Visier des Verfassungsschutzes steht.
## Sinnsuche bei den Salafisten
Es gibt ein Video aus der Moschee vom März 2010, als dort die
Salafistengruppe "Die Wahre Religion" zu Gast war. Deren Vertreter sind in
ihrer Hetze gegen die "Ungläubigen" in den vergangenen Jahren immer
radikaler geworden – und propagieren mitunter offen den Dschihad. Zu Beginn
des Videos schwenkt die Kamera einmal durchs Publikum. Auf dem Teppich
kniet Robert B., ein Strahlen im Gesicht. "Er war scheinbar auf der Suche",
sagt die Mutter, "und hat sich dann von denen blenden lassen".
Robert B. wird immer verbohrter, will dass auch seine Mutter zum Islam
konvertiert – weil sie sonst doch in die Hölle komme. Sogar die Muslime aus
der Nachbarschaft sagen: Der ist fanatisch. Marlis B. macht sich Sorgen,
dass ihr Sohn auf ganz dumme Ideen kommt, doch der habe nur gesagt: "Mutti,
du brauchst keine Angst haben, ich will nur meinen Glauben leben." Immerhin
macht Robert B. seine Lehre zum Fachlageristen in einer Solinger
Messerfabrik fertig, auf seinem Zeugnis steht die Gesamtnote "gut". Danach
ist er arbeitslos.
Als er dann im Herbst 2010 nach Ägypten reist, weil er angeblich in einer
Sprachschule Arabisch lernen will, ruft die Mutter beim Staatsschutz an und
bittet um Rat. Die Beamten beruhigen sie erst mal. Doch als Robert B. vier
Monate später wieder zurück kommt, erkennt die Mutter ihn nicht wieder.
"Ich bin nicht mehr an ihn herangekommen."
Wann ist Robert B.s Leben aus dem Ruder geraten? Marlis B. glaubt, dass ihr
Sohn nie über den frühen Verlust des Vaters hinweggekommen ist. Der starb
drei Tage vor Roberts 13. Geburtstag an Lungenkrebs. In der Schule sei ihr
Sohn dann von anderen Mitschülern immer wieder gemobbt worden, so die
Mutter, mal nahmen sie ihm das Essen weg, mal jagten sie ihn über den
Schulhof. Freunde habe er nur schwer gefunden, mehrere Male wechselt er die
Schule. Robert, so erzählt es seine Mutter, sei schon immer einer gewesen,
der anderen nachgelaufen sei. Keiner, der stark ist wie sie, sondern
schwach, beeinflussbar.
Sie holt Fotos aus seiner Kindheit hervor. Robert mit Schalke-Fahne. Robert
mit dem Malteserhund "Strolch". Robert im Urlaub in London vor dem Big Ben.
Man sieht einen schüchtern dreinblickenden Jungen mit blonden Locken und
einer runden Brille.
## Erst rechts, dann Islamist
Nach der Hauptschule leistet Robert B. mit 17 seinen Wehrdienst, will sich
danach verpflichten – und in den Afghanistan-Einsatz ziehen, zum
Unverständnis seiner Mutter. Doch aus der Bundeswehrkarriere wird nichts.
Man habe ihn damals verdächtigt, im Internet rechte Propaganda zu
verbreiten, sagt die Mutter, eine Zeit lang habe in seinem Zimmer sogar ein
Bild von Hitler an der Wand gehangen. Aber das sei nur eine Phase gewesen.
Vom Rechten zum Salafisten. Von einem Extrem ins andere.
Es hört sich tatsächlich so an, als ob Robert B. ein ziemlich verlorener
Sohn gewesen sein muss. Zuletzt habe er gar nicht mehr in seiner eigenen
Wohnung gelebt, sondern nur noch in der Salafistenmoschee am Schlagbaum
übernachtet, sagt die Mutter. Bis er dann im Sommer 2011 auf einmal
verschwunden ist. Als dann auch noch die SMS der Mutter an ihren Sohn
fehlschlagen, will Marlis B. wissen, was los ist. Sie hat eine Vollmacht
für Roberts Konto und lässt sich bei der Sparkasse einen Auszug ausdrucken.
Darauf entdeckt sie eine TUI-Reisebuchung über 447,98 Euro.
Sie wendet sich wieder an den Staatsschutz - dieses Mal ist es ernst. Von
den Polizisten erfährt sie, dass Robert B. in England zusammen mit
Christian E. festgenommen worden ist und im Hochsicherheitsgefängnis
Belmarsh sitzt - unter Terrorverdacht. Im Februar 2012 soll denn beiden nun
im Zentralen Strafgericht "Old Bailey" in London der Prozess gemacht
werden. Bis dahin, so hat eine Anhörung am Montag ergeben, bleiben sie in
Untersuchungshaft. "Robert hat sich die nächsten Jahre seines Lebens
versaut", sagt Mutter Marlis B. "Aber ich lasse ihn nicht fallen."
27 Sep 2011
## AUTOREN
Wolf Schmidt
## TAGS
Schwerpunkt 9/11
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