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# taz.de -- Ist Guido Westerwelle am Ende?: Narziss am Abgrund
> Der Außenminister verweigert sich bei der Wertung des Libyen-Einsatzes
> jeder Selbstkritik. Fehler einzuräumen fällt ihm schwer. Es ist das Drama
> eines klugen Egozentrikers.
Bild: Selbstkritik ist schwer für den Autosuggestionspolitiker Westerwelle.
Die Zukunft war ein Versprechen. Alles schien möglich im Leben des alerten
Oppositionspolitikers Guido Westerwelle. Damals, 2006, übernahm der
FDP-Vorsitzende den wichtigen Posten des Fraktionschefs im Bundestag. Die
große Koalition amtierte, und die Bild erklärte Westerwelle zum
"Hoffnungsträger aller Deutschen, die sich wünschen, dass Schwarz-Rot in
Berlin nicht unkontrolliert regiert".
Damals hängte sich sich der 44-Jährige ein Gemälde des griechischstämmigen
Künstlers Dimitris Tzamouranis in seine Berliner Altbauwohnung, den
"Narziss". Westerwelle erklärte es sich und dem Bild-Reporter so: "Narziss
ist ein klassisches Motiv. Auf dem Bild blickt der Sohn des Künstlers als
Narziss in den See und erkennt als Spiegelbild das Bild seines Vaters -
nicht sein eigenes. Dieser Tiefsinn hat mir gut gefallen."
Erstaunlicherweise hat diese Anekdote nie Einzug gefunden in die Fülle der
Westerwelle-Berichterstattung. Erstaunlich deshalb, weil viele mediale
Beobachter sich mal mehr, mal weniger vulgärpsychologisch zu erklären
versuchen, was diesen Politiker antreibt. Von brennendem Ehrgeiz ist da
fast immer zu lesen und von radikaler Einseitigkeit. Oft geht es auch um
Westerwelles Weigerung, sich in Details zu vertiefen und auf Berater zu
hören.
Seit seinem Regierungsantritt kommt kaum ein Meinungsartikel über ihn aus
ohne Verweis auf Westerwelles ausbleibende Bitten um Entschuldigung. Das
Eingeständnis, geirrt zu haben, kommt keinem Politiker zögerlicher über die
Lippen als ihm. Die zähe Weigerung des Bundesaußenministers, die
Nato-Angriffe als entscheidend für den Sieg der Rebellen in Libyen zu
bezeichnen, ist dafür nur das jüngste Beispiel.
## Immer auf der Suche nach Bewunderung
Dies alles legt eine - zugegeben nur indizienhaft zu belegende - Deutung
nahe: Westerwelles Aufstieg und sein Fall lassen sich lesen als Drama eines
Narzissten. Natürlich lässt sich kein Mensch auf nur einen Wesenszug
reduzieren. Aber der Erfolg als Oppositionseinpeitscher und das Versagen
als Pseudostaatsmann sind, aus diesem Blickwinkel betrachtet, zumindest
kein Widerspruch. Sondern sie erscheinen als Ausdruck derselben
charakterlichen Prägung.
Das populäre Verständnis eines Narzissten führt in die Irre. Ein Mensch mit
einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung hat eben kein besonders
ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Er oder sie ist sich seines Wertes ganz und
gar unsicher. Eine solche Person trägt zwar ein besonders ausgeprägtes Ego
zur Schau. Dies ist jedoch vor allem ein Schutz vor dem permanent
befürchteten Angriff der Selbstzweifel.
Solche Menschen sind immer auf der Suche nach Bewunderung und Anerkennung.
Zugleich schenken sie ihrer Umgebung wenig echte Aufmerksamkeit, sondern
sie bewerten sie eher danach, ob sie ihnen nützen oder schaden könnten. Sie
nehmen für sich in Anspruch, eine Sonderstellung einzunehmen und zu
verdienen. Zugleich zeigen Narzissten eine auffällige Empfindlichkeit
gegenüber Kritik. Selbst leichte Anwürfe verstehen sie schnell als
grundsätzliche Ablehnung ihrer selbst. Wer sie kritisiert, stellt ihre
ganze Persönlichkeit infrage. Darauf folgt oft das Gefühl, gedemütigt zu
werden, und dann Wut oder Scham.
Dies klingt in weiten Teilen wie die Charakterskizze eines beliebigen
Spitzenpolitikers oder -managers. Solche Menschen brauchen das Gefühl der
Besonderheit. Dies hilft, auch durch Rückschläge nicht das Ziel aus den
Augen zu verlieren: Die anderen haben unrecht, ich habe recht. Ich werds
denen schon zeigen.
## Opposition kann komfortabel sein
Westerwelle war auch deshalb der perfekte Oppositionspolitiker. Nie um eine
scharfe, oft bis zur Unterstellung zugespitzte Formulierung verlegen,
verschaffte er der behäbigen Honoratiorenpartei FDP Öffentlichkeit und neue
Mitglieder. Westerwelle musste nicht nachweisen, dass es mehr ist als der
Lärm, den er machte. Opposition ist nicht nur Mist. Sie kann auch
komfortabel sein.
Damals pflegte der gelernte Rechtsanwalt den Gestus des Strafverteidigers
oder Staatsanwalts: Sein Job war die radikal einseitige Parteinahme für
seinen Mandanten. Dieser Mandant war ein vages Verständnis von
Marktwirtschaft, das Westerwelle nie genau erläutert hat. Für solche
Details waren seine Mitarbeiter und die fachpolitischen Sprecher zuständig.
Es scheint unglaublich, aber obwohl der Mann aus Bonn seit seinen
Jugendtagen nichts anderes getan hat, als für seine Partei zu werben, weiß
er bis heute wenig über deren Programm. Mit Inhalten kann man nicht
öffentlich glänzen. Mit Reden und Auftritten hingegen schon.
Öffentlich Selbstkritik zu äußern kommt da einem Martyrium gleich. Die
meisten Politiker meiden solche Worte. Sie wissen, dass ihr Publikum diese
selten hören will. Wähler schätzen Einigkeit und Stärke - oder zumindest
die sichtbare Bemühung darum. Westerwelle hat sich daran gehalten. Insoweit
handelt er, wie jeder Grüne, Unionist, SPDler oder Linke es auch täte. Nur
hat sich im Regierungsamt seine Unfähigkeit gezeigt, sich aus taktischen
Erwägungen im richtigen Moment reumütig zu geben.
Gerhard Schröder erklärte nach der krachend verlorenen Europawahl 1999, nur
ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt: "Wir haben verstanden." Das war
selbstverständlich Machtkalkül. Aber der Instinktpolitiker Schröder
erspürte im richtigen Moment, wie sich die Stimmung in der Bevölkerung
drehte. Ein "Weiter so" hätte dem damaligen Bundeskanzler niemand
abgenommen, und er wusste das. Westerwelle hat dieses Gespür nicht.
## Keine Einfühlung ins Gegenüber
Die Einfühlung ins Gegenüber ist ihm fremd. Nach mehr als drei Jahrzehnten
im Scheinwerferlicht ist bei jedem öffentlichen Auftritt die Anstrengung
sichtbar, die es ihn kostet, seine gewünschte Rolle einzunehmen. Den Part
des Staatsmanns hat er versucht sich zu eigen zu machen. Er hat es nicht
geschafft. Genauso wenig, wie er den Wechsel vom bellenden Chef einer
Oppositionspartei zum Regierenden meisterte. Nun scheint Westerwelle
ratlos. Sein Erfolgsrezept ist zum Fluch geworden.
Das muss umso irritierender sein, als unsere Gesellschaft narzisstisches
Verhalten begünstigt. Obwohl wir wissen, wie widersprüchlich und komplex
die Anforderungen an uns sind, sehnen wir uns nach Personen, die bruchlos
scheinen; die ihre Haltung vertreten und dazu stehen. Auch und gerade, wenn
wir selbst es nicht tun.
Dies zeigt auch die Geschichte der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats für
einen Militäreinsatz über Libyen. Die deutschen Politiker wanden sich bei
der schwierigen Frage, ob Deutschland dem Angriff vor allem westlicher
Staaten auf ein muslimisch geprägtes Land zustimmen sollte. Die Freude
jener, die nichts beschließen mussten, war groß. Auch eine
Bevölkerungsmehrheit war gegen eine deutsche Beteiligung. Heute aber haben
sie einen Sündenbock gefunden: Guido Westerwelle.
Berater Angela Merkels streuten das Gerücht, nur das beherzte Eingreifen
der Kanzlerin habe ein Nein Deutschlands im UN-Sicherheitsrat verhindert
und zur Enthaltung abgemildert. Dabei hat die Bundeskanzlerin es vermocht,
in Vergessenheit geraten zu lassen, dass letztlich ihr die
Richtlinienkompetenz obliegt. Und nicht ihrem glücklosen und überfordert
wirkenden Außenminister.
Westerwelles Unfähigkeit, Fehler und Niederlagen einzugestehen, macht ihn
erneut zum willkommenen Watschenmann. Andere Politiker gingen in Deckung.
Westerwelle kann das nicht. Dies würde das Anerkennen seiner Niederlage
bedeuten.
So endet womöglich die Karriere eines der opportunistischsten Politiker
Deutschlands ironischerweise daran, dass er im entscheidenden Moment nicht
opportunistisch genug war.
29 Aug 2011
## AUTOREN
Matthias Lohre
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