# taz.de -- Irakischer Schriftsteller Wali über 9/11: "Ich ein Schläfer? Zum … | |
> Der irakische Schriftsteller Najem Wali über die veränderte Welt nach | |
> 9/11, wahre Freunde, sein Rendezvous mit einer Autobombe und den | |
> arabischen Frühling. | |
Bild: "Als Gegner Saddams habe ich natürlich auf dem Sturz dieser Diktatur beh… | |
Eine kleine Wohnung in Berlin-Kreuzberg, Najem Walis Schreibstube. Ein | |
gerahmtes Foto an der Wand: Wali, der irakische Exilschriftsteller im | |
Gespräch mit Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa. Ein anderes Bild | |
zeigt ihn zusammen mit Günter Grass. Wali lebt seit seiner Flucht aus dem | |
Irak 1980 in Hamburg, seit 2004 in Berlin. Er ist Hanser-Autor, schreibt | |
auf Arabisch, spricht fließend Deutsch. | |
taz: Herr Wali, wenn Sie zurückschauen, was dachten Sie damals, als Sie die | |
Nachricht vom Angriff auf die Twin Towers und das Pentagon im September | |
2001 erreichten? | |
Najem Wali: Also zunächst konnte ich das kaum glauben. Ich lebte damals in | |
Hamburg. Ich ging durch die Eppendorfer Landstraße und wollte etwas kaufen. | |
Zwei Leute unterhielten sich in einem Laden. Einer fragte den anderen: Hast | |
du gesehen, wie die Flugzeuge in die Twin Towers hineingestürzt sind? Das | |
waren zwei Deutsche. Die taten ganz cool. | |
Was taten Sie dann? | |
Als ich kapierte, worum es ging, hab ich zu Hause meine Frau angerufen. Wir | |
lebten zusammen in Hamburg. Sie saß vor dem Fernseher und hat geweint. Sie | |
ist Irakerin. Sie war völlig außer sich, konnte es nicht fassen. Ich bin | |
sofort nach Hause. | |
Was dachten Sie, als Sie realisierten, was da in den USA geschehen war? | |
Die Nachrichten gingen rasch in Richtung al-Qaida. Die US-Polizei | |
verhaftete irgendwelche Leute, die in irgendwelchen Vorortzügen unterwegs | |
waren und die für sie arabisch oder muslimisch aussahen. Ein völliger Witz. | |
Das Land schien überrumpelt. | |
Sie lebten in Hamburg, der Stadt, in der sich ein Teil der Attentäter von | |
9/11 sammelten. Hatten Sie als exilierter Araber, als Iraker das Gefühl, | |
dass sich in der Folge auch Ihr Leben, die Wahrnehmung Ihrer Person in | |
Europa veränderte? | |
Einiges hat sich geändert. Mir waren solche Milieus wie um die | |
Al-Kuds-Moschee bekannt. Ich kannte diese Leute nicht persönlich, aber wir | |
kannten ihre Einstellungen. Ich war von November 1980 an in Hamburg. Habe | |
hier Germanistik studiert, als Kurier und Taxifahrer gearbeitet. Ich kenne | |
Hamburg-Harburg, die Technische Universität. Und ich kannte diese Sorte | |
Menschen und habe unter ihnen gelitten. | |
Was meinen Sie damit? | |
In Hamburg lebten einige, die gegen den Kommunismus in Afghanistan als | |
Mudschaheddin gekämpft haben. Mir war klar, was das für Typen waren. Und | |
umgekehrt wussten die, dass wir Linke und Liberale sind. Wir konnten uns | |
gegenseitig erkennen und nicht ausstehen. Aber die westlichen Behörden | |
sahen sie nicht als Gefahr und ignorierten das. Waren ja auch frühere | |
Verbündete. Oppositionelle Iraker hatten Riesenprobleme, Asyl zu bekommen, | |
bei den (Ex-)Mudschaheddin schien mir das nicht so. Die wurden | |
durchgewinkt. | |
Hatten Sie Zusammenstöße mit den Islamisten? | |
Nicht direkt, wir gingen uns aus dem Weg. Aber nach 2001 und 2003 wurde ich | |
von diesen Leuten auf offener Straße angepöbelt, da ich gegen sie in | |
Talkshows im Fernsehen sprach. Sie regten sich auch später sehr auf, weil | |
ich Saddam angriff. Und sie schimpften dauernd auf den Westen. | |
Feindschaften habe ich auch bei meiner kurzen Tätigkeit 2004 in der | |
Arabischen Abteilung der Deutschen Welle erfahren. Aber bei allem was wir | |
den Islamisten Furchtbares zutrauten, keiner von uns rechnete mit einer | |
Aktion wie 9/11. Obwohl es die beiden Al-Qaida-Attentate mit Hunderten von | |
Toten in Nairobi und Daressalam schon gab und auch in den 90ern den | |
Versuch, das World Trade Center in die Luft zu sprengen. So etwas wie 9/11 | |
konnten wir uns nicht vorstellen. | |
Und Ihre deutsche Umgebung: Wie reagierte die auf Sie, den exilierten | |
Araber, nach 9/11? | |
Ich erlebte auch Tragikomödien. Mit Leuten, die man für Freunde gehalten | |
hatte. Die Presse warnte ja vor den angeblich integrierten Muslimen, die | |
aber in Wirklichkeit "Schläfer" seien. Ich hatte einen kommunistischen | |
Freund, Peter. Der hatte auf einmal die fixe Idee, ich wäre ein Schläfer. | |
Das war zum Lachen. Er wollte wissen, ob ich auch von der Rasterfahndung | |
erfasst worden und überprüft worden sei. Nein, das war ich nicht. Und | |
daraus schloss er, dass etwas mit mir nicht in Ordnung wäre. Eine | |
Verschwörungstheorie, da kann man nichts machen. Wir kannten uns lange, | |
waren zusammen auf Demos. Oder jemand anders, der wollte mir einen | |
Autoparkplatz wegschnappen. Und der sagte, ich solle ruhig sein und mich | |
hier nicht breitmachen. Ich wisse schon, worum es gehe. Oder auf dem | |
Flughafen: Da guckten die Leute schon genau, welche Sprache ich spreche. | |
Das sind halt solche Reaktionen. Die Leute schauen genau, ob ich Alkohol | |
trinke oder Schweinefleisch esse. Beides tue ich und hab ich auch schon im | |
Irak getan. Aber die Dummheit hat lange Beine, auch wenn sich vieles | |
mittlerweile wieder etwas gelegt hat. Wir hatten ja auch bislang keinen | |
größeren Anschlag hier. | |
Glücklicherweise. | |
Ich glaube, das hat weniger mit Glück zu tun, als damit, dass viele dieser | |
Leute Sympathien für die deutsche Vergangenheit haben. Außerdem wollen sie | |
sich in Deutschland weiterhin ungestört bewegen können. | |
Sie halten Kontakt zu Ihrer Familie in Irak, was hat die damals zu 9/11 | |
gesagt? | |
Wir telefonierten, aber man konnte unter Saddam nicht frei sprechen. Saddam | |
feierte den Anschlag, und viele Iraker machten wie immer mit. Meine Eltern | |
gehörten nicht zum Regierungslager und hatten genug meinetwegen zu leiden, | |
was ich aber erst später erfuhr. | |
Nach Afghanistan folgte im März 2003 der Angriff auf das Regime Saddams im | |
Irak. Sie stammen aus Amara und waren 1980 den Schergen des Diktators nur | |
knapp entkommen. Was dachten Sie damals? | |
Das war ein sehr gemischtes Gefühl. Ich sprach darüber auch öffentlich. Als | |
Gegner Saddams habe ich natürlich auf dem Sturz dieser Diktatur beharrt. | |
Ich war nicht für den Krieg, aber ich habe auch nicht stark gegen ihn | |
agiert. | |
Ihr 2011 erschienener Roman "Engel des Südens" ist eine literarische | |
Hommage an die verfolgten Minderheiten und die Andersdenkenden im Irak. Was | |
für Nachrichten erhalten Sie heute von dort? | |
Viele schlechte. Aber bedenken Sie: Auch der arabische Frühling wird keine | |
reine Erfolgsgeschichte. Die arabischen Diktaturen ließen keinen Spielraum | |
für demokratische Entwicklungen. Sie haben die Menschen terrorisiert und | |
die sozialen Gruppen jahrzehntelang gegeneinander aufgehetzt. 2003 wurde | |
Frankenstein im Irak gestürzt, alles Böse kam aus dem Labor heraus und ans | |
Tageslicht. Das sollte eine Lehre sein: Nur wenn die Minderheiten gemeinsam | |
aus den Schatten der Diktaturen treten, kann es zum Beispiel jetzt in | |
Syrien gelingen, eine Entwicklung wie in Irak zu vermeiden. | |
Nach Ihrer letzten Reise in den Irak veröffentlichten Sie im Frühjahr einen | |
Zeitungsbeitrag mit der Überschrift: "Rendez-vous mit einer Autobombe". | |
Wenn man heute durch den Irak fährt, ist das wie russisches Roulette. Man | |
sitzt im Auto, im Stau, es gibt immer Stau in Bagdad, weil es zig | |
Checkpoints gibt - die unnötig sind, es geht nur um Korruption -, und man | |
weiß nie, was passiert. Seit den letzten Wahlen sind die drei für | |
Sicherheit verantwortlichen Ministerposten unbesetzt geblieben. Nuri | |
al-Maliki kontrolliert alles. Ich traf mich mit alten Freunden am | |
Nationaltheater in Bagdad, man könnte meinen, einem ungefährlichen | |
kulturellen Ort. Kaum dass wir da waren, wurde alles evakuiert: | |
Autobombenalarm. An dem Tag passierte nichts. Doch als ich wieder in | |
Deutschland war, einen Tag bevor mein Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung | |
erschien, explodierte dort tatsächlich eine Autobombe. Gott sei Dank, ging | |
es glimpflich aus, es gab nur Verletzte. | |
Wirkt sich der arabische Frühling nicht positiv auf die Situation im Irak | |
aus, was hören Sie? | |
Natürlich. Die irakischen Bewegungen haben ja Erfahrungen mit Aufständen im | |
Frühling, auch schon gegen das Saddam-Regime. Die Ereignisse in Tunesien | |
und Ägypten färben ab. In Bagdad ist jetzt jeden Freitag eine Demonstration | |
auf dem dortigen Tahrirplatz. Aber auf der anderen Seite gibt es Leute wie | |
Maliki. Vor Kurzem beschuldigte er noch Syrien, den Irak zu | |
destabilisieren. Jetzt äußert er Verständnis für das Assad-Regime und | |
behauptet, der arabische Frühling diene vor allem Israel und dem | |
internationalen Zionismus. Wenn ein Politiker in der arabischen Welt die | |
alte antiisraelische Keule wieder hervorholt, dann hat er nicht mehr alle | |
Tassen im Schrank und ist untragbar. Die neuen Machthaber im Irak sind zum | |
größten Teil gegen die Revolution in Syrien eingestellt, aber für die | |
Opposition in Bahrain. Dort passt sie aus religiösen (schiitischen) Gründen | |
ins Konzept und weil es gegen das (tatsächlich schreckliche) saudische | |
Regime geht. So bestätigt Maliki die Vorurteile, hinter ihm stünden längst | |
die Iraner. | |
Im von den USA angeführten "Krieg gegen Terror" wurden Fehler und | |
Menschenrechtsverbrechen begangen. Können die jetzigen arabischen | |
Bewegungen sich dennoch vom antiwestlichen Primat der Politik | |
verabschieden, werden sich Laizisten und Demokraten im arabischen Frühling | |
durchsetzen? | |
Wenn es nach der Mehrheit der Jüngeren geht, schon. Aber es gibt viele | |
Akteure, mit unterschiedlichen Interessen. Vom Westen sollte man verlangen, | |
dass er nur demokratische Kräfte unterstützt. Man sollte aus | |
machttaktischen Gründen nicht jetzt auch noch die Muslimbrüder zur | |
gemäßigten Kraft erklären. Und außenpolitisch setzt die Nato nach wie vor | |
auf die saudi-arabische Karte. Doch ich glaube nicht, dass sich die neuen, | |
jungen Demokratiebewegungen jetzt einfach wieder von den alten despotischen | |
Kräften überlagern lassen. Ansonsten gibt es gleich die nächste Revolution. | |
Spinner wie die Attentäter von 9/11 gibt es auch heute. Aber sie sind heute | |
ideologisch viel stärker isoliert und marginalisiert. | |
11 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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