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# taz.de -- Ikonographie des Terrors: Stakkato, omnipräsent
> Die Ausstellung "unheimlich vertraut. Bilder vom Terror" in der Galerie
> "c/o Berlin" durchkämmt den Informationsgehalt auf Fotografien von
> Terroranschlägen.
Bild: Und ein Mann sagt: "Holy shit!". "Es war ein Anschlag auf unser gesamtes …
Ein Flugzeug fliegt in den Turm eines Hochhauses hinein. Ein Aufprall; eine
Explosion; Wolken aus Staub. Kurze Zeit später ein zweites Flugzeug; ein
zweiter Einschlag. Es ist der 11. September 2001; der Tag, an dem den USA
ein Stück Himmelsleiter wegbricht. Das Land, das es in den sechziger Jahren
bis auf den Mond geschafft hatte, ist herabgesunken auf Ground Zero - den
Nullpunkt der Träume. Kein Ereignis davor oder danach ist derart medial
präsent gewesen. Der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September
2001 hat Bildgeschichte geschrieben.
Immer und immer wieder zerfallen seither die Türme in einer Art
telemedialem Dauerloop. Mit fotografischen Nachhallerinnerungen und
filmisch verstümmelten Flashbacks hangelt sich die Welt bis heute durch
eines ihrer größten Traumata. "Diplopien" hat der Fotohistoriker Clément
Chéroux zehn Jahre nach 9/11 diese ikonografischen Wiedergänger in einem
gleichnamigen Buch genannt. Für Chéroux sind die Katastrophenaufnahmen des
11. Septembers Doppelbilder, Déjà-vus - eine optische Wahrnehmungsstörung
der Weltöffentlichkeit.
Nach seiner Zählung seien es gerade einmal sechs Bildtypen, beruhend auf 30
verschiedenen Fotografien gewesen, die in den Tagen nach 9/11 auf den
Titelseiten der großen US-Zeitungen erschienen seien. Mediale Phrasen,
dauerpräsent bis zu ihrer totalen Verwaschung. Das Ereignis, das wie kaum
eines zuvor die Welt verändert hat, erscheint als visuelles Phänomen
merkwürdig monoperspektivisch und uniform.
Clément Chéroux war auch im Beirat einer Ausstellung, die derzeit im
Berliner Postfuhramt zu sehen ist. "c/o Berlin", das Forum für visuelle
Kommunikation, zeigt hier unter dem Titel "unheimlich vertraut", wie
omnipräsente Terrorbilder Stück für Stück in unser Denken und Erinnern
eindringen. Denn 9/11 - das war schon kurz nach dem Einsturz der Twin
Towers klar - war nicht nur ein Anschlag auf die Realität; es war ein
Anschlag auf unser gesamtes Wahrnehmungssystem.
Wie genau dieses von den Bildern des Terrors infiltriert worden ist, das
belegt Ausstellungskurator Felix Hoffmann in einem fein gewobenen Parcours.
In ihm untersucht er nicht nur das Fortleben der Bilder von New York, er
beschäftigt sich mit der Ikonografie von nahezu jedem optischen
Ausnahmezustand im Zeitraum der letzten 40 Jahre. Beginnend bei den
Attentaten auf die israelische Olympiamannschaft während der Olympiade in
München im September 1972 nutzt Hoffmann Dokumentarmaterial, Archivbilder
und künstlerische Weiterverarbeitungen, um sie auf ihren tatsächlichen
Informationsgehalt hin abzuklopfen.
## Geheimnisvoller Nebel medialen Rauschens
Unter Rückgriff auf Fotografen wie Thomas Ruff, Thomas Hoepker oder Michael
Schirner nimmt er Täter und Tatorte ins Visier, untersucht Echtzeitbilder
und Nachhallphänomene. So gräbt er sich Stück für Stück hinein in den
geheimnisvollen Nebel des medialen Rauschens. Was genau eigentlich haben
wir gesehen? Mit dieser Frage beschäftigen sich die meisten Arbeiten von
"unheimlich vertraut".
Natalie Czech etwa, eine junge polnische Fotokünstlerin, scheint der
Meinung zu sein, dass wir von jedem Terrorakt der Vergangenheit eigentlich
nichts gesehen haben. Ihre Arbeit "Keep Out" zeigt eine Collage aus
rot-weißen Absperrbändern, die sich über den gesamten Bildraum hinweg
ziehen. Das Geschehen dahinter bleibt Geheimnis; ist immer nur
Spekulationsraum. Denn Bilder legen nicht nur Realitäten frei; sie codieren
sie auch fortwährend um. Gerade die Bilder des Terrors scheinen ihren
wahren Spuk immer erst im Gehirn der Betrachter loszutreten. Hier verweben
sie sich mit "Vor-Bildern", Urängsten und kollektiven Imaginationen.
Diese kaum zu durchdringende Gemengelage beschäftigt sowohl den
libanesische Künstler Walid Raad auf einer Fotofolge von ausgebrannten
Autowracks, ist aber auch Thema von Thomas Ruffs berühmter Siebdruck-Serie
"Anderes Porträt". Jedes Bild, so machen diese Arbeiten deutlich, kann
unter Terrorverdacht geraten, wird demontiert und abgescannt nach
Gewaltmomenten. Ob indes solch Bildbearbeitung bereits auch
Realitätsverarbeitung sein kann oder ob sie uns nicht abermals nur neu
überflutet, diese Frage bleibt bei "unheimlich vertraut" offen.
Die Besucher werden angehalten, eine eigene Anschauung zu gewinnen. Eine
weitere. Eine, geformt aus dem schier unendlichen Stakkato der Bilder.
9 Sep 2011
## AUTOREN
Ralf Hanselle
## TAGS
Schwerpunkt 9/11
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