# taz.de -- Buchmessern (3): Papperlapapp, Ombre! | |
> Über das Kleine, die eigene Biografie, an das große Ganze herantreten: | |
> Mit dem Buchpreisträger Eugen Ruge kommt der Osten in Frankfurt an. | |
Bild: Große Umarmung eines bescheidenen Autors: Eugen Ruge. | |
FRANKFURT taz | Und was sagen Sie zu Eugen Ruge? Der Autor hat gerade mit | |
dem Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" den Deutschen Buchpreis | |
gewonnen, ein natürlich beherrschendes Thema auf der diesjährigen | |
Frankfurter Buchmesse. Wie halten wir es also mit Eugen Ruge? Ein | |
Spitzenbuch! | |
Ruge hat, wie er in vielen Gesprächen auf der Messe ausführt, seinen Roman | |
"sehr konsequent in erlebter Rede geschrieben", hat ihn aus seinen sechs | |
Hauptfiguren über drei Generationen hinweg gedacht und ihn in "formaler | |
Strenge" konstruiert. Nichts sei schwieriger, als etwas streng zu | |
komponieren, so Ruge, um es dann leicht und geschmeidig erscheinen zu | |
machen. Ruge erzählt in dem Buch "In Zeiten des abnehmenden Lichts" vom | |
Untergang einer Familie und eines Landes, von DDR und Kommunismus. Er macht | |
das ohne jeglichen Abrechnungsgestus. | |
Vor seinem biografischen Hintergrund erzählt er von den verblassenden | |
Linien der Utopie, vom Exil im Mexiko, dem Gulag in der Sowjetunion und | |
dem, woraus der Kleinbürgersozialismus der DDR errichtet wurde. Auch wenn | |
es hier jetzt etwas kryptisch klingen mag: Wenn man Ruges Geschichte von | |
Republikgründern und -flüchtlingen in einem Zitat zusammenfassen müsste, | |
dann genügten diese zwei Worte: Papperlapapp, Ombre! | |
Ruge arbeitet literarisch subtil, will als Autor bescheiden und im | |
Hintergrund bleiben. "Ich versuche", so sagt der 1954 in Soswa (je nach | |
Perspektive: vor oder hinter dem Ural) Geborene, "aus den Personen zu | |
sprechen, mich in sie hineinzuversetzen und nicht zu kommentieren." Das ist | |
ihm in seinem Debütroman tatsächlich außergewöhnlich gut gelungen, auch | |
dank eines Humors, mit dem einen dieser zunächst etwas spröde wirkenden | |
Autor überrascht. | |
Anders als Tellkamps 2008 ausgezeichneter DDR-Roman "Der Turm" verkörpert | |
Ruges Geschichte auch eine internationale Perspektive, die die Ereignisse | |
ja nun mal hatten und die sich nicht in einer deutsch-deutschen Geschichte | |
erschöpfend darstellen lässt. | |
Ruge tritt als Literat über das Kleine, die eigenen Biografie, an das große | |
Ganze heran, verbindet so die Einzelnen mit den politischen Zeitläufen. Ein | |
Historiker wie György Dalos geht den anderen Weg, muss über objektiv | |
festzuhaltende Schlüsselereignisse in Büchern wie "Lebt, wohl Genossen!" | |
den Untergang des sowjetischen Imperiums einzufangen versuchen. Diesen | |
Dezember jährt sich das Ende der UdSSR immerhin zum zwanzigsten Mal. Dalos | |
hat bereits im Frühjahr mit "Gorbatschow. Mensch und Macht" ein Buch über | |
den Chefauflöser des Ostblocks präsentiert. Auch Dalos war in Frankfurt | |
diskussionsfreudig dabei. | |
Für die älteren Figuren in Ruges Buch waren die "Tschows" (die | |
GorbaTSCHOWs, ChruschTSCHOWs) das Problem. Mit fortschreitender Senilität | |
hatten sie ihren Spezialcode entwickelt. Wie Ruge ist auch Dalos | |
östlich-antiautoritär geprägt und versucht, sich nicht in einer | |
verobjektivierten Sprache zu verlieren. Vielleicht sind seine Schriften | |
eine gute Ergänzung zu einem Roman wie "In Zeiten des abnehmenden Lichts", | |
wenn man sich mit dieser Geschichte weiterbeschäftigen will. | |
14 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
Andreas Fanizadeh | |
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Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024 | |
Romanverfilmung | |
deutsche Literatur | |
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