# taz.de -- EU-Gipfel zum Euro-Rettungsschirm: Die große Zitterpartie | |
> Schuldenschnitt und "Hebeltrick": Was sind die offenen Fragen, lassen sie | |
> sich lösen, und werden weitere Gipfeltreffen nötig? Ein | |
> Unsicherheitsfaktor bleibt: Berlusconi. | |
Bild: "Merkozy" bei der Arbeit: Na? Welche Länderchefinnen und -chef haben wir… | |
BRÜSSEL taz | Nichts ist geregelt, solange nicht alles geregelt ist. Das | |
ist die Grundregel bei EU-Gipfeln, und deshalb mischt sich kurz vor dem | |
Treffen am Mittwochabend in Brüssel eine gehörige Portion Skepsis in den | |
offiziell zur Schau getragenen Optimismus. Während die Märkte ungewöhnlich | |
zuversichtlich sind, wächst bei den EU-Politikern die Nervosität. | |
Werden die Banken beim geplanten radikalen Schuldenschnitt in Griechenland | |
mitspielen? Wird Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi die von Berlin | |
und Paris geforderten Reformen auf den Weg bringen? Und: Werden es | |
Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy | |
schaffen, ihren Streit über den Rettungsschirm EFSF auszuräumen? | |
Das sind die ungelösten Fragen. Gestern wollte in der EU-Kapitale niemand | |
darauf wetten, dass der Gipfelmarathon wie geplant am Mittwochabend zu Ende | |
gehen wird. | |
Fest steht, dass der erste Teil der Rettungsaktion am Sonntag alles andere | |
als harmonisch war. Sarkozy und Merkel setzten Berlusconi unter Druck, dann | |
gab es ein Wortgefecht mit dem britischen Premier David Cameron: Er solle | |
einfach mal die Klappe halten, raunzte ihn ein sichtlich genervter Sarkozy | |
an. Derweil setzte sich Merkel in fast allen zentralen Punkten durch. | |
Dennoch sind immer noch einige wichtige Punkte offen. | |
## Deutschland: 60, Frankreich: 40 | |
Stichwort Schuldenschnitt: Deutschland strebt einen Abschlag von 60, | |
Frankreich von 40 Prozent auf die griechischen Staatsschulden an. Der | |
wahrscheinliche Kompromiss liegt bei rund 50 Prozent. Doch niemand weiß, ob | |
die Banken bereit sind, sich auf diese Zahl einzulassen und die Hälfte | |
ihrer Forderungen abzuschreiben. Sollten die Institute nicht "freiwillig" | |
mitmachen und es zu einem erzwungenen Schnitt kommen, könnte dies an den | |
Märkten als Zahlungsausfall gewertet werden - mit unabsehbaren Folgen für | |
den Euro. | |
Stichwort Rekapitalisierung der Banken: Offiziell sind die Eurochefs in | |
dieser Frage einig: Der Bedarf liege bei etwas über 100 Milliarden Euro und | |
könne im Wesentlichen über den Kapitalmarkt oder durch nationalstaatliche | |
Hilfe gedeckt werden. Experten zweifeln jedoch, dass 100 Milliarden | |
ausreichen. Der IWF hatten den Bedarf auf rund 200 Milliarden geschätzt. | |
Zudem ist unklar, ob die Banken in der Lage sein werden, das frische | |
Kapital am Markt einzuwerben. Vor allem in Frankreich und Italien gibt es | |
Zweifel. | |
Stichwort EFSF: Der Hauptstreitpunkt ist ausgeräumt, die Europäische | |
Zentralbank (EZB) wird nicht zur "Hebelung" des Rettungsschirms | |
herangezogen. Das hatte Sarkozy gefordert, konnte sich aber nicht gegen | |
Merkel durchsetzen. Nun geht es nur noch um die Entscheidung zwischen zwei | |
Modellen: Entweder sollen Staatsanleihen aus Krisenländern durch eine Art | |
Teilkaskoversicherung attraktiver gemacht werden, wobei der EFSF einen Teil | |
des Risikos absichert. Oder man gründet eine Zweckgesellschaft, über die | |
zusätzliche Mittel für den EFSF eingeworben werden, etwa von Staatsfonds | |
aus China. | |
## Kleiner Sieg für Sarkozy | |
Der geplante "Hebeltrick" für den Euro-Rettungsschirm ist auf jeden Fall so | |
kompliziert, dass der Gipfel wohl keine endgültigen Ergebnisse liefern | |
wird. Die Endsumme werde offen bleiben, hieß es gestern in Brüssel. Bisher | |
bürgt Deutschland für 211 Milliarden Euro. Angestrebt wird aber eine | |
Ausleihkapazität von mehr als einer Billion. | |
Doch selbst diese fantastische Summe könnte nicht ausreichen, um | |
Spekulanten von Wetten gegen Italien oder Spanien abzuhalten. Offenbar | |
dämmert dies auch bereits den Eurochefs: Wie erst gestern bekannt wurde, | |
einigten sie sich bereits am Sonntag darauf, dass auch künftig die EZB | |
Staatsanleihen aus Krisenländern ankaufen wird. Bisher hatte es immer | |
geheißen, der EFSF solle die EZB ablösen. Doch in dieser Frage setzte sich | |
nun Sarkozy gegen Merkel durch - ein kleiner Sieg für den französischen | |
Staatschef. | |
Mehr Punkte wird Sarozy aber kaum noch machen können. Denn wenn Merkel | |
heute im Bundestag eine Mehrheit erhält, wird sie die EFSF-Pläne nicht mehr | |
ändern wollen und können. Dann bliebe nur noch ein Unsicherheitsfaktor: | |
Silvio Berlusconi. Zwar ist der in Brüssel nicht besonders beliebt. Doch | |
ohne Berlusconi wird es beim Krisengipfel nicht gehen - schließlich gilt | |
Italien als nächster Wackelkandidat, gleich nach Griechenland. | |
26 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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