# taz.de -- Zu wenig Ausbildung: Jugend in der Warteschleife | |
> Nur die wenigsten Haupt- und Realschüler beginnen nach der Schule eine | |
> Lehre. Senat will ineffektive Übergangssysteme abschaffen. Doch das | |
> dauert seine Zeit. | |
Bild: Das Handwerk wirbt um Lehrlinge: Trotzdem bleiben viele ohne Ausbildung. | |
Es war ein Herzstück schwarz-grüner Schulpolitik und auch die SPD und die | |
Linke stimmten im Januar für die "Drucksache 19/ 8472", die den Übergang | |
von der Schule zum Beruf in Hamburg ganz neu gestalten und im Grunde jedem | |
Schulabgänger eine Berufsausbildung garantieren sollte. Das scheint auch | |
bitter nötig, wenn man sich eine Zahl des jüngsten Bildungsberichts vor | |
Augen führt. Hamburgs Nachwuchs ist im Durchschnitt 20,7 Jahre alt, wenn er | |
seine Ausbildung beginnt. | |
Offizielle Lehrstellenbilanzen zeigen meist ein verzerrtes Bild. All jene, | |
die nach dem Haupt- oder Realschulabschluss in beruflichen Warteschleifen | |
verweilen, gelten nicht als Sucher. Doch in diesem Jahr ist etwas anders. | |
Die Schulbehörde hat - unter anderem auf Druck der Linksfraktion - im Juli | |
eine Umfrage unter allen Schulabgängern gestartet, die auch dieses Phänomen | |
erfasst und einen anderen Blick ermöglicht. Fazit: Nur rund 15 Prozent der | |
Hauptschul- und 21 Prozent der Realschulabgänger hatten bei Schulende eine | |
Lehrstelle in der Tasche. | |
Es sei dennoch gelungen, nahezu allen Schülern eine "konkrete | |
Anschlussperspektive" zu bieten, sagt Behördensprecher Peter Albrecht. | |
Dafür habe man das zentrale Schülerregister genutzt und 2.700 Schulabgänger | |
extra nochmal angesprochen. | |
Untergebracht sind also alle Abgänger des Schuljahres 2011. Eine | |
Berufsausbildung haben sie damit noch nicht. Viele Realschüler wechseln in | |
eine Oberstufe. Über 4.000 Schüler kamen ins "Übergangssystem", das laut | |
Drucksache 19/ 8472 radikal umgebaut werden soll, weil es als ineffektiv | |
gilt. Dies ist zum Teil auch passiert. Das alte Berufsvorbereitungsjahr | |
(BVJ) für Schüler ohne Hauptschulabschluss und solche, die trotz Abschluss | |
als "nicht ausbildungsreif" gelten, heißt jetzt "Ausbildungsvorbereitung" | |
(AV-Dual). Die findet nur an drei Tagen in der Schule und an zwei Tagen in | |
Betrieben statt. | |
"Das Ziel ist, dass die Jugendlichen möglichst schnell ihre | |
Ausbildungsreife erlangen und in eine Ausbildung übergeleitet werden", sagt | |
Rainer Schulz, der Leiter des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung, | |
HIBB. Die Sache laufe gut an. 2.500 Betriebe beteiligten sich daran. | |
Etwas zögerlicher ist der Start des zweiten zentralen Elements der Reform. | |
Schulabgänger, die als ausbildungsfähig gelten, aber keine Lehre bekommen, | |
gehen bisher zumeist auf "teilqualifizierende Berufsfachschulen" (BFStq). | |
Weil diese zu keinem brauchbaren Abschluss führen, sollen sie ab 2011 | |
verkleinert und ab 2013 ganz durch das neue Modell der | |
"Berufsqualifizierung" ersetzt werden. Diese "BQ" verbindet die Drucksache | |
19/ 8472 mit einem tollen Versprechen: Jeder, der nach einem Jahr keine | |
Lehrstelle findet, wird überbetrieblich bei einem Träger ausgebildet. Im | |
vorigen Jahr wurde das Modell mit 30 Teilnehmern ausprobiert. Drei von vier | |
hätten bald eine Ausbildung im Betrieb gefunden, berichtet Rainer Schulz. | |
Das neue Modell wird schrittweise eingeführt. In diesem Jahr gibt es 200 | |
BQ-Plätze. In 2012 sollen es 500 sein, bis 2013 1.100. | |
Doch noch ist das Zukunftsmusik. In diesem Jahr landeten nur etwa 100 | |
Schulabgänger in einer BQ, 2.200 in BFStq. Schulz sagt, es sei mehr Werbung | |
für das Neue nötig. Die Linksfraktion ist indes skeptisch, ob die geplanten | |
Kapazitäten reichen. "1.100 BQ-Plätze sind wahrscheinlich zu wenig", sagt | |
die Schulpolitikerin Dora Heyenn. Wenn man die Warteschleifen ganz abbauen | |
wolle, wären 4.000 bis 5.000 zusätzliche Ausbildungsplätze nötig. "Da muss | |
mehr passieren." | |
Das HIBB geht davon aus, dass der Bewerberrückgang im Umland die Chancen | |
der Hamburger verbessern wird. Sollte die Zahl der BQ-Plätze nicht reichen, | |
so Schulz, "müssen wir diese ausweiten". | |
27 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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