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# taz.de -- Ende des Zivildienstes: Die neuen Freiwilligen
> Er läuft besser an als gedacht – aber der Bundesfreiwilligendienst stellt
> die Einrichtungen vor Probleme. Ein Ersatz für die Zivis ist er nicht.
Bild: Soll durch Bundesfreiwillige ersetzt werden: Der Zivi.
BERLIN taz | In einem fensterlosen Raum mit Betonboden und Stahlregalen
schichtet eine Frau prall gefüllte Tüten von einem Berg auf den anderen.
Sie ist nicht mehr ganz jung. Aber sie arbeitet zügig. Sie trägt eine enge
Jeans, Trekkingjacke und einen sportlichen Stufenschnitt. Als sie ein paar
schwarze Pumps aus einem Müllsack kramt, verzieht sie das Gesicht. "Was
soll einer damit, im Winter auf der Straße", murmelt sie und schmeißt die
Schuhe auf den Haufen für den Verkauf. Dann findet sie einen dicken Anorak.
Der wandert ins Regal mit den Pullis, Schlafsäcken und festen Schuhen.
"Endlich mal wieder was für den Kältebus", sagt Renate Ranik zufrieden.
Renate Ranik ist 63 Jahre alt. Sie ist eine der ersten Bundesfreiwilligen
in der Landesstelle beim Deutschen Roten Kreuz im Berliner Stadtteil
Friedenau. Das heißt: Renate Ranik ist eine von jenen, die die
Zivildienstleistenden ersetzen sollen. Aber das Deutsche Rote Kreuz musste
die Stelle für Renate Ranik erst nach ihren Fähigkeiten zuschneiden. Denn
Renate Ranik kann und soll die Zivis nicht ersetzen.
Früher, zu DDR-Zeiten, war sie Köchin. Nach der Wende bereiste sie erstmal
die Welt. Sie zog ihren Enkel groß und arbeitete acht Jahre lang in der
Obdachlosenhilfe, am Berliner Ostbahnhof. Dann wurde die Station zugemacht.
Sie wurde arbeitslos. Renate Ranik hat das, was man eine Biografie nennt.
Jetzt sitzt sie an einem Tisch mit der Bundesfreiwilligen Gabriele
Petersen, die trotz ihrer 72 Jahre noch am Empfang des Deutschen Roten
Kreuzes arbeitet, und Rüdiger Kunz, dem Pressesprecher vom Deutschen Roten
Kreuz. Sie rutscht ein wenig auf ihrem Stuhl herum. Sie wirkt schüchterner
als vorhin. Dann erzählt sie, warum sie wieder mit Obdachlosen arbeiten
wollte. "Die haben ja nichts. Nicht mal Schuhe im Winter", sagt sie mit
leiser Stimme. "Am schlimmsten ist immer die Weihnachtszeit." Sie hält sich
angestrengt an ihrer Apfelschorle fest. "Da könnte ich gleich schon wieder
heulen", sagt sie.
Und dann bekommt Renate Ranik einen Hustenanfall und entschuldigt sich.
Rüdiger Kunz, ein Mann mit sehr freundlichen, runden Augen in einem sehr
freundlichen, runden Gesicht, lächelt verlegen. Er schaut auf seine
gefalteten Hände. Nach einer kleinen Pause findet er die richtigen Worte:
"Die Bundesfreiwilligen haben nicht so viel physische Kraft wie die Zivis",
sagt er. "Dafür haben sie mehr emotionale Kraft."
In dem Moment kommt Renate Ranik wieder rein. Rüdiger Kunz fragt sie, ob es
ihr besser gehe. Dann setzt er neu an: "Trotzdem. Der
Bundesfreiwilligendienst ist keine Totgeburt. Wenn man das sagen würde",
sagt er und atmet tief durch, "würde man ja den Leuten, die sich jetzt
engagieren, etwas wegnehmen."
## Eigentlich unbezahlbar
Renate Ranik arbeitet 30 Stunden die Woche und bekommt dafür 248 Euro im
Monat. Davon lässt ihr das Arbeitsamt 118 Euro, später vielleicht 175. Sie
ist eine qualifizierte, erfahrene Arbeitskraft, unbezahlbar als
Mitarbeiterin in einer Altkleiderkammer. Weil sie weiß, was Leute auf der
Straße brauchen. Unbezahlbar auch im Kältebus, in dem sie ab November eine
Nacht pro Woche mitfährt. Denn manchmal ist es nicht leicht, mit
Obdachlosen ins Gespräch zu kommen.
Vielleicht ist das der größte Haken am BFD: Leute wie Renate Ranik arbeiten
gut. Sie arbeiten engagiert. Sie kennen ihre Leute. Sie begegnen ihnen auf
Augenhöhe. Trotzdem langt es nicht für ihren Lebensunterhalt. Die
praktische Nebenwirkung für den Staat: Sie tauchen nicht mehr in den
Arbeitslosenstatistiken auf.
Das Problem sieht auch Iris Wiese im Personalbüro des
Paulinen-Krankenhauses im äußersten Westen Berlins. "Es gibt viele, die
sich gern engagieren würden", sagt sie. "Aber die müssen doch auch von
irgendwas existieren", schimpft sie. Es geht also um Stolz. Und um Würde.
Iris Wiese fragt sich: Wo bleibt erst die Würde, wenn sich die Menschen gar
kein soziales Engagement mehr leisten können? Wenn sie sich aus
finanzieller Not für den BFD bewerben? Im Moment schiebt die kleine,
resolute Frau im Lederblazer den Papierkram, der am BFD hängt, noch vor
sich her. Lieber erzählt sie von der Service-Gesellschaft, die vor kurzem
in ihrem Krankenhaus gegründet wurde. "Hier werden Leute eingestellt, die
nicht so großartig ausgebildet sind", sagt sie. Die neuen Angestellten
übernehmen vieles, was früher die Zivis gemacht haben. Sie verdienen nicht
viel. Aber sie verdienen angemessen. Und sie sind nicht mehr arbeitslos.
Aber das alles sind nicht die einzigen Probleme, die es mit dem BFD gibt.
Denn in manchen Krankenhäusern bewerben sich gar keine älteren Menschen. In
manchen bewerben sich fast ausschließlich junge Leute, direkt von der
Schule. Viele von diesen begreifen den BFD nicht als Auszeit, in der man
mal was anderes macht - um nicht gleich in die Verwertungsmühlen der Unis
und der Berufsausbildung zu geraten. Sie sind keineswegs unbeliebt in den
Krankenhäusern und in den Senioreneinrichtungen, das nicht. Trotzdem wird
der Zivi vermisst. Manchmal wird er sogar verklärt.
"Wir hatten hier sogar mal einen türkischen Jungen", schwärmt etwa Sigrid
Seeliger vom Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge im
Berliner Stadtteil Lichtenberg. "Der saß am Anfang auf der Treppe und hat
nur geweint. Er konnte es nicht mit seiner Männerehre vereinbaren,
Behinderten beim Toilettengang zu helfen. Jetzt arbeitet er als
Krankenpfleger hier", erzählt sie.
Dann eilt Sigrid Seeliger durch die lichten Räume der ehrwürdigen
Backsteinbauten aus dem 19. Jahrhundert, auf dem Weg von einem
Bundesfreiwilligen zur anderen. Auch wenn ihr die Zivis fehlen: Sie freut
sich, dass die Nachfrage in ihrem Krankenhaus so hoch ist. Die
Bundesfreiwilligen hier sind jung und zielbewusst, hübsch und "Everybody's
Darling" auf der Station. Sie sind meist weiblich und wohnen oft noch bei
den Eltern. Sie sind engagiert, funktionieren wie kleine Zahnrädchen. Eine
überbrückt die Zeit bis zur Ausbildung, eine andere muss aufs
Medizinstudium warten, weil die Noten zu schlecht waren. Sie sind wirklich
freundlich. Wirklich hilfsbereit.
Aber würden sie auch mal einem Sterbenden Rotwein in die Schnabeltasse
schmuggeln? Mal mit einem Patienten nach Feierabend eine Runde Poker
spielen? So, wie das mancher Zivi machte?
## Zum Glück gezwungen
Bernt Regeler ist ein großer Mann. Ein Pulli mit dickem Zopfmuster würde
ihm besser stehen als das feine Jackett, das er trägt. Er war gerade
frühstücken. Jetzt wartet er auf den Aufzug der Zweigstelle Mitte von
Mosaik-Werkstätten, einer Einrichtung, wo Menschen mit Behinderung arbeiten
und lernen können. Eine junge Frau im Blaukittel ruft ihm zu: "Hey, Bernt,
haste dir aber schick gemacht heute!". Bernt Regeler tritt von einem Bein
aufs andere. Schon im Aufzug kann er nicht mehr an sich halten: "Ich
vermisse meine Zivis!", ruft er sehnsüchtig und lacht.
Schnellen Schrittes geht es vorbei an einer Wäscherei, vorbei an einem Raum
mit Computerarbeitsplätzen. Überall, wo er auftaucht, wird er mit großem
Hallo begrüßt. Bernt Regeler bleibt kurz stehen und sieht aus dem Fenster.
"Am meisten mochte ich die, wo man am Anfang dachte: auweia." Es ist, als
ob Regeler sie vor sich sieht. "Die mit den Rastas und den Piercings. Die
Weltverbesserer. Aber auch mancher Macho", sagt er. Und meint die jungen
Männer, die heute, wo es keinen Zivildienst mehr gibt, wohl lieber ein Jahr
durch die Welt reisen als in die Pflege gehen.
Die Zivis waren junge Männer, die zu ihrem Glück gezwungen wurden. Sie
haben die Pflege in Deutschland aber auch ein kleines Stück interessanter
und geschlechtergerechter gemacht.
Und wie steht es mit den anderen, den älteren Bundesfreiwilligen bei
Mosaik? Bislang gibt es noch keine, sagt Bernt Regeler. Ein
Verlagsangestellter in den Sechzigern, der etwas Neues sucht, weil er mehr
Marathons laufen will, ist wieder abgesprungen. Vielleicht klappt es ja mit
einem Gärtner in den Fünfzigern, der demnächst vorsprechen wird, erzählt
Bernt Regeler. Als er das sagt, klingt das ehrfürchtig: "Das sind schon
gestandene Arbeitskräfte".
Was Bernt Regeler nicht sagt: Der BFD rechnet mit diesen gestandenen
Arbeitskräften, die sich voll einbringen. Dass gerade diese meist von ihrem
Lohn leben müssen - damit rechnet er leider nicht.
2 Nov 2011
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Ein-Euro-Jobber
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