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# taz.de -- Plebiszite in der Eurokrise: Fragt doch mal das Volk
> Mancher Koalitionär sucht jetzt Rat beim Volk. Die Idee für ein Plebiszit
> klingt einfach, die Umsetzung ist schwierig. Auf lange Sicht könnte sie
> sich aber durchsetzen.
Bild: Tritt für Volksabstimmungen ein: FDP-Finanzexperte Frank Schäffler.
Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler ist ein Überzeugungstäter. Seit Monaten
profiliert sich der Finanzexperte der Fraktion als Kritiker des Euro-Kurses
der Koalition, mit einem Mitgliederentscheid in der FDP will er den
dauerhaften Rettungsschirm ESM stoppen.
Jetzt hat sich Schäffler etwas Neues ausgedacht - er ruft das Volk zur
Hilfe: "Die Bevölkerung sollte über die Änderung der Europäischen Verträge
und den ESM abstimmen können", sagte er am Donnerstag. Ein Plebiszit also,
wichtige Fragen würden allen vorgelegt.
Die Idee klingt einfach und einleuchtend: nach Bürgernähe, Transparenz und
Basisdemokratie. Das dachte sich offenbar auch die Redaktion der
Bild-Zeitung. Sie platzierte am Donnerstag das Thema groß auf der
Titelseite. Wobei für die Redaktion das Ergebnis in der Schlagzeile schon
feststand: "Nehmt den Griechen den Euro weg!"
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt machte den politischen
Stichwortgeber. Deutschland solle Konsequenzen aus dem Vorgehen
Griechenlands ziehen, forderte er. "Künftig sollten in Deutschland
grundlegende Entscheidungen zur Zukunft Europas mit Volksabstimmungen
verbunden werden." Das Boulevardblatt, das seit Beginn der Krise immer
wieder offen Ressentiments gegen "die Pleite-Griechen" schürt, lieferte auf
Seite zwei gleich einen suggestiv formulierten Stimmzettel mit. Den
Griechen weiter Kohle hinterher schmeißen oder ihnen den Euro wegnehmen?
## "Tod des Rettungsschirms"
Die CSU-Pressestelle betonte, dass Dobrindt nur die offizielle Linie der
CSU wiedergegeben habe, die bei wichtigen Kompetenzübertragungen an die EU
das Volk befragt haben will. Und: Möglicherweise könne ein Plebiszit auch
beim ESM nötig sein - was auch Schäffler findet. Von
Griechenland-feindlicher Stimmungsmache kann keine Rede sein, so die
Botschaft.
Sicher ist: Eine solche Partizipationsoffensive wäre viel komplizierter,
als es der brüllende Auftritt suggeriert - und nur langfristig möglich.
Denn Volksabstimmungen auf Bundesebene sind im Grundgesetz nur in einem
Fall vorgesehen. Dann, wenn das Bundesgebiet neu gegliedert würde. Zudem
wäre es bürokratisch und langwierig, zu einzelnen EU-Rettungsinstrumenten
wie dem ESM ein bundesweites Plebiszit zu organisieren. Und es würde
wochenlange Debatten über die Parlamentsbeteiligung konterkarieren.
Entsprechend stieß der Vorstoß in der Koalition auf vehemente Ablehnung.
"Eine Volksabstimmung in 17 Euro-Ländern zum ESM zu organisieren, wäre der
Tod des Rettungsschirms", hieß es etwa in der Unions-Fraktion.
Auch der CDU-Haushaltsexperte Norbert Barthle äußerte sich skeptisch: "Der
Kollege Dobrindt müsste sagen, worüber denn die Bürger eigentlich genau
abstimmen sollen. Außerdem gibt das Grundgesetz klare Vorgaben, was geht
und was nicht." Sogar Dobrindt Parteifreundin, die CSU-Landesgruppenchefin
Gerda Hasselfeldt sah sich genötigt, zurückzurudern. "Volksentscheide sind
kein Allheilmittel", sagte sie der Saarbrücker Zeitung. Gerade beim Thema
Staatsschuldenkrise zeige sich, wie komplex Zusammenhänge oft seien.
## Grenzen des Grundgesetzes
Für FDP-Mann Schäffler dagegen ist die Sache klar. Er schlägt vor, das
Grundgesetz zu ändern, damit Europa betreffende Volksabstimmungen möglich
werden. "Ich bin für stärkere plebiszitäre Elemente in der Verfassung.
Dafür müssen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden."
Damit steht er auf verlorenem Posten in der Koalition - gerade Union und
FDP hatten sich in der Vergangenheit immer dagegen gewehrt, partizipative
Elemente ins Grundgesetz zu schreiben.
Entsprechend groß war der Ärger bei den Grünen über die basisdemokratischen
Profilierungsversuche. Die Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin
nannten die Debatte in einem Schreiben an die Fraktionsmitglieder und den
Parteirat "bigott". Und: "Volksentscheide nur zu fordern, wenn es gegen
Europa geht, ist nicht demokratisch, sondern rechter Populismus."
Auch von der SPD kam Kritik. "Schäffler und Dobrindt sollten sich ehrlich
machen", sagt Michael Roth, der Europaexperte der Fraktion. "Sie fordern
Volksabstimmungen nicht, um eine größere Legitimationsgrundlage für die
Eurorettung zu schaffen. Sondern deshalb, weil sie sie anders politisch
nicht verhindern können."
Auf lange Sicht könnte aber das, was Dobrindt und Schäffler jetzt
aufbrachten, durchaus aufs Tapet kommen: Falls die Regierung weitere
Schritte in einer europäischen Integration gehen will, etwa indem eine
gemeinsame Wirtschaftsregierung installiert wird, stoßen sie an die Grenzen
des Grundgesetzes. Spätestens dann wäre die Forderung nach einem Referendum
nicht mehr Populismus, sondern eine Notwendigkeit - jedenfalls aus Sicht
mancher Verfassungsrichter.
4 Nov 2011
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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