# taz.de -- Terrorist "Carlos" vor Gericht: Der Prozess der Bilder | |
> Am Montag steht Ilich Ramírez Sánchez alias "Carlos" in Paris vor | |
> Gericht. Er wird die Bühne nutzen, die ihm die Justiz bietet. Er gefällt | |
> sich in der Märtyrerrolle. | |
Bild: Der Kampf geht weiter: Terrorist Ilich Ramirez Sanchez, genannt "Carlos". | |
PARIS taz | Wer im letzten Jahr den Spielfilm "Carlos, der Schakal" gesehen | |
hat, der wird sich über die Bilder des kommenden Montags wundern. Denn der | |
Mann, der dann vor dem Pariser Sonderschwurgericht für terroristische | |
Gewaltverbrechen stehen wird, gleicht so gar nicht dem Schauspieler Edgar | |
Ramirez, der im Kino mit Baskenmütze und Lederjacke verkleidet Carlos | |
spielt. Vor die Richter in Paris tritt der Terrorist selbst, Ilich Ramírez | |
Sánchez, alias "Carlos". So wie er heute ist: ein zu Fettleibigkeit und | |
pathetischer Geschwätzigkeit neigender Mann von 62 Jahren. | |
Vor dreißig Jahren war dieser Mann Staatsfeind Nummer eins, sein Name der | |
Inbegriff des Bösen für die braven Bürger. Heute passt er weder in dieses | |
Bild eines Monsters, noch in das derer, die ihn womöglich einst für einen | |
Che Guevara gehalten haben. Aber Ramírez Sánchez wird es sich nicht nehmen | |
lassen, seine eigene Version zu liefern und sich auf der Bühne in Szene zu | |
setzen, die ihm die französische Justiz mit dem Prozess gewährt. | |
Der Venezolaner wurde bereits 1997 wegen dreifachen Mordes in den siebziger | |
Jahren zu lebenslanger Haft verurteilt. Jetzt soll er sich in einer | |
Verhandlung mit den beiden deutschen Mitangeklagten Christa-Margot Fröhlich | |
und Johannes Weinrich und einem dritten Komplizen, "Ali" Kamal al-Issawi, | |
für weitere Attentate in den Jahren 1982 und 1983 verantworten. | |
Es geht um die Attentate auf den Zug Paris-Toulouse (fünf Tote), den | |
Bahnhof Saint-Charles von Marseille (zwei Tote), das Büro der Zeitung | |
Al-Watan al-Arabi" in Paris (ein Toter) und den Schnellzug TGV bei | |
Tain-LHermitage (drei Tote). Laut Anklage habe Carlos diese Terroraktionen | |
in Auftrag gegeben, um die Freilassung von zwei Komplizen zu erzwingen. | |
In Medienstatements gibt Carlos sich kämpferisch. Er wolle das | |
"lächerliche" Bild, das man im Kino von ihm bekomme, widerlegen. Auch habe | |
er nicht die Absicht, vor den Richtern zu irgendeiner Verantwortung zu | |
stehen. "Das ist ein Propagandaprozess, der bloß auf Wind beruht, nämlich | |
auf alten Dokumenten der Nachrichtendienste des Warschauer Paktes", sagt | |
seine Anwältin Isabelle Coutant-Peyre, die Carlos als seine dritte Frau | |
bezeichnet, nachdem er 2001 zum Islam konvertierte und sie in einer | |
religiösen Zeremonie heiratete. Seine zweite Frau, von Amtes wegen noch | |
seine aktuelle, verlor er im Verlauf seiner Wohnortswechsel aus den Augen. | |
## Hungerstreik als Protest | |
Mehrfach umziehen musste er auch, seit er in Frankreich inhaftiert ist. Der | |
französische Staat ist ebenso vorsichtig wie nachtragend. Der als prominent | |
und potenziell gefährlich eingestufte Terrorist, der nie genau sagen | |
wollte, wie viele der ihm zugeschriebenen Attentate, Morde oder | |
Entführungen auf sein Konto gehen, wurde nach einer Isolationshaft, die vom | |
Europäischen Menschenrechtsgerichtshof für unzulässig erklärt worden war, | |
ständig von einer Haftanstalt in die andere verlegt. | |
Weil er Mitte Oktober einem Radiosender und einer Zeitung per Telefon | |
Interviews gegeben hat, wurde er zur Strafe erneut in Isolationshaft | |
gesteckt. Carlos protestierte mit einem Hungerstreik. Im Gespräch mit dem | |
Rundfunk Europe 1 klagte er: "Es ist ein Wunder, dass ich noch lebe." Die | |
Märtyrerrolle gefällt ihm. Osama Bin Laden, dem er schon 2001 Bewunderung | |
gezollt hatte, sei mit seinem Tod "beispielhaft" geworden, sagte er der | |
Zeitung Libération. | |
Bei der Gerichtsverhandlung möchte er - ganz in der bewährten Manier seines | |
früheren Verteidigers Jacques Vergès - den Spieß umdrehen und dem Staat, | |
der ihn anklagt, den Prozess machen. Dazu hat er Klage gegen den früheren | |
Innenminister Charles Pasqua eingereicht, der ihn 1994 in seinem Versteck | |
im Sudan aufgespürt hatte und von französischen Agenten entführen ließ. | |
## Terrorist verlangt Legalität | |
Dass ausgerechnet der Terrorist für sich selbst so auf Legalität pocht, | |
entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Er fordert, dass Pasqua sich wegen | |
Anstiftung zu "bandenmäßig organisierter Entführung und Freiheitsberaubung" | |
verantwortet. | |
Die Epoche, als Ilich Ramírez Sánchez die Mächtigen der Welt zittern ließ, | |
in der er als Mitglied einer radikalen Palästinensergruppe ein Flugzeug mit | |
einem Raketenwerfer attackierte und später elf Minister der Opec-Staaten | |
entführte, diese Zeit ist Vergangenheit. Seither hatte dieser | |
selbsternannte "Berufsrevolutionär" Zeit, sich mit allen zu überwerfen, die | |
auf ihn setzten oder ihm Zuflucht gewährten. | |
Seinen ehemaligen Anwalt bezichtigt er des Verrats, genauso wie den | |
jemenitischen Staatschef Ali Abdalah Saleh. Selbst sein Landsmann Hugo | |
Chávez habe ihnen fallen lassen, beklagt er sich im Zeitungsinterview. Der | |
venezolanische Botschafter lasse ihm nicht einmal mehr seine | |
Havannazigarren zukommen. | |
5 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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Schwerpunkt Frankreich | |
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