# taz.de -- Protestjahr gegen Kirchensteuern: Mit gutem Gewissen austreten | |
> Das "Jahr des Kirchenaustritts" neigt sich seinem Ende zu. | |
> Religionskritische Verbände prangerten an, dass Kirchen sozialer tun als | |
> sie sind. | |
Bild: Es wird einsam in der Kirche, die Mitgliederzahlen sind auf einem histori… | |
"Die Resonanz war doch ganz erstaunlich", resümiert der | |
Politikwissenschaftler Frank Welker. Er ist einer der Organisatoren des | |
"Jahres des Kirchenaustritts", das in diesen Tagen zu Ende geht. Mit ihrer | |
Kampagne unter dem Motto "Mehr Netto, mehr Freiheit, mehr Solidarität" | |
wollten mehrere religionskritische Organisationen darüber aufklären, dass | |
soziales Verantwortungsbewusstsein allein kein Grund ist, in der Kirche zu | |
bleiben. | |
Mit Flugblättern, Plakaten und Zeitungsanzeigen protestierten sie gegen das | |
Finanzgebaren der Kirchen und warben für den Kirchenaustritt. Das war nicht | |
immer einfach: So lehnten mehrere Tageszeitungen die von dem Düsseldorfer | |
Künstler Jacques Tilly gestalteten Anzeigen ab, berichtet Rainer Ponitka | |
vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA). | |
Die Mittelbayerische Zeitung etwa habe "ethische Gründe" ins Feld geführt. | |
"Unser Haus ist grundlegend christlich, unser Kerngebiet ist Bischofssitz | |
und selbst der Hl. Papst Benedikt XVI. in Rom hat unsere Zeitung | |
abonniert", teilte sie dem Konfessionslosenverband mit. | |
Neben dem IBKA gehören die Giordano Bruno Stiftung (gbs), der Bund für | |
Geistesfreiheit (bfg) Bayern und der Aschaffenburger Alibri Verlag zu den | |
Unterstützern der Aktion. Mit ihrer Kampagne wollten sie jene Menschen | |
erreichen, die immer noch einer Kirche angehörten, "obwohl sie mit dem | |
Christentum nur noch wenig am Hut haben". | |
Davon gibt es nicht wenige. So ordneten sich laut einer Allensbach-Umfrage | |
von 2009 nur 17 Prozent der deutschen Katholiken als "Gläubige Kirchennahe" | |
und 37 Prozent als "Kritische Kirchenverbundene" ein. Fast die Hälfte | |
bezeichnet sich dagegen als distanziert, unsicher oder nicht religiös. | |
## Nur 10 Prozent der Einnahmen für soziale Zwecke | |
"Wichtig war für uns, deutlich zu machen, dass die Kirchen mit ihren | |
Kirchensteuern nicht so viel Gutes tun, wie sie behaupten", sagt Frank | |
Welker. Ein Kirchenaustritt lohne sich für alle, argumentiert er. Seine | |
einfache Rechnung: Ein Normalverdiener mit einem Bruttogehalt von 25.000 | |
Euro könne durch einen Kirchenaustritt etwa 170 Euro im Jahr sparen. Wenn | |
nur die Hälfte des eingesparten Geldes direkt an soziale Organisationen | |
gespendet würden, diene dies dem Allgemeinwohl mehr als eine | |
Kirchenmitgliedschaft. | |
Tatsächlich geben die beiden großen Kirchen nur rund 10 Prozent ihrer | |
Einnahmen aus Kirchensteuern für öffentliche soziale Zwecke aus - Tendenz | |
fallend. Ihre Krankenhäuser und Altenheime werden aus den Töpfen der | |
Sozialversicherungen finanziert, bei anderen Einrichtungen wie Kindergärten | |
ist die kirchliche Kostenbeteiligung gering. | |
Man erziehe zwar im kirchlichen Sinne, lasse aber den Staat in der Regel 80 | |
bis 100 Prozent der Kosten übernehmen, erläutert Welker. Insgesamt würden | |
die Kirchen Jahr für Jahr mit Milliardenbeträgen aus der öffentlichen Hand | |
bezuschusst. | |
Seit 1990 verabschieden sich jährlich mehr als 200.000 Menschen aus den | |
beiden Großkirchen. Derzeit gehören noch 24,1 Millionen Menschen der | |
evangelischen und 24,6 Millionen der katholischen Kirche an. Die | |
Angehörigen evangelischer Freikirchen (rund 300.000), orthodoxer Kirchen | |
(1,2 Millionen) sowie anderer christlicher Kirchen (33.000) hinzugezählt, | |
gehören noch 62 Prozent der Gesamtbevölkerung einer christlichen Kirche an | |
- ein historisches Tief. | |
Und warum endet das "Kirchenaustrittsjahr" jetzt ausgerechnet am 11.11.? | |
Das habe etwas mit dem Beginn der närrischen Jahreszeit und dem Künstler | |
Jacques Tilly zu tun. Denn der sei schließlich nicht nur Atheist, sondern | |
auch noch der führende Karnevalswagenbauer für den Düsseldorfer | |
Rosenmontagszug. "Außerdem ist die Kirche ja auch irgendwie so ein | |
Karnevalsverein. Darum passt das", schmunzelt Welker. | |
6 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
## TAGS | |
Kirche | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bundesweite Aktion zum Kirchenaustritt: Enttaufung beim Hasentag | |
Zum Hasentag in Frankfurt ist auch ein medienbekannter Kapuzinermönch | |
gekommen. Und „Bruder Gnocchi“ von der Kirche des Fliegenden | |
Spaghettimonsters. | |
Urteil zu Kirchenaustritten: Wer glaubt, muss zahlen | |
Wer zum Steuernsparen aus der Kirche austritt, gehört nicht mehr zur | |
Religionsgemeinschaft. So urteilt das Bundesverwaltungsgericht. | |
Grüner Streit um Kirchensteuer: Katholiken gegen Säkulare | |
Grüne Katholiken fordern, die Kirchensteuer durch eine Kulturabgabe für | |
alle zu ersetzen. Prompt ist der säkulare Teil der Parteibasis irritiert. | |
Taz-Redakteur bei Radio Vatikan: Laudetur Jesus Christus | |
Vom Besuch eines Schreibers, der erst zum Kommunisten und dann zum | |
Politikum wurde, bei Radio Vatikan, der Stimme der katholischen Kirche in | |
der Welt. | |
Pleitegemeinde in Tschechien: Kirche im Konkurs | |
Ein Seelsorger verkalkuliert sich, die Gemeinde nimmt Geld auf, das Bistum | |
leitet ein Insolvenzverfahren ein und verramscht die Kirche plus Inventar. | |
Eine Farce. | |
EKD-Synode: Evangelische Kirche will missionieren | |
Seit Jahren sinkt die Zahl der Christen in Deutschland. Die Synode der | |
Evangelischen Kirche in Deutschland berät darüber, wie mehr Menschen für | |
den Glauben zu gewinnen sind. | |
Streit um Kirchensteuer: "Das ist Isolationshaft" | |
Die Basisbewegung „Wir sind Kirche“ fordert eine Neuordnung der | |
Kirchenfinanzen. Eine Initiative ruft zum Kirchenaustritt auf – und will | |
mit dem Geld eine bessere Kirche schaffen. | |
Sexueller Missbrauch: Katholiken fallen vom Glauben ab | |
Mehr Katholiken als sonst verlassen ihre Kirche. Die hatte mit solch einer | |
Quittung gerechnet, nachdem sich viele Opfer gemeldet hatten, die als Kind | |
gedemütigt, geschlagen oder vergewaltigt wurden. | |
Buskampagne gegen Gott: Atheisten starten Roadtrip | |
Mit ihrem Wunsch, atheistische Werbeslogans auf Nahverkehrsbusse zu kleben, | |
scheiterte eine Initiative in 17 deutschen Städten. Darum fahren sie nun | |
mit einem gemieteten Bus durch ganz Deutschland. |