# taz.de -- Pleitegemeinde in Tschechien: Kirche im Konkurs | |
> Ein Seelsorger verkalkuliert sich, die Gemeinde nimmt Geld auf, das | |
> Bistum leitet ein Insolvenzverfahren ein und verramscht die Kirche plus | |
> Inventar. Eine Farce. | |
Bild: Fürbitte für die eigene Kirche: Jiri Volesky (rechts) mit dem Kollegen … | |
PRAG taz | Die Nervosität ist Pfarrer Milan Matfiak ins Gesicht | |
geschrieben. "Verkaufsgegenstand Nummer 236, eine vergoldete Monstranz aus | |
dem 18. Jahrhundert", ruft der Auktionator in den Saal des noblen Prager | |
Hotel Intercontinental. "25.000 Kronen zum Ersten." Das sind etwa 1.100 | |
Euro. Milan Matfiak blickt um sich, niemand hebt die Hand. | |
"Zum Zweiten", ruft der Auktionator. Keine Regung im Saal. Dann erfolgt der | |
letzte Aufruf: "25.000 Kronen zum Dritten." Matfiak meldet sich, seine Hand | |
zittert. Der Zuschlag des Auktionators kommt als Erlösung: "Verkauft!" Mit | |
dem einen Schlag fällt die Spannung von Pfarrer Matfiak ab. "Ich habe die | |
Monstranz gerettet", sagt der Kirchenmann aus dem mittelböhmischen Dorf | |
Mcely erleichtert, "Gott sei Dank". | |
Matfiak ist als Freund und Unterstützer einer anderen Kirchengemeinde nach | |
Prag gereist. Ein kleiner Sieg im Kampf um die sakralen Kunstwerke der | |
Kirche von Trmice (Türmütz). Nicht den Gläubigen werden sie mehr dienen, | |
sondern den Gläubigern: Die Kirchengemeinde ist seit einem Jahr in Konkurs, | |
mit dem Ausverkauf der Kirche sollen nun ihre Schulden getilgt werden. | |
Jiri Volesky, der Pfarrer von Trmice, ist ebenfalls an diesem Sonntag nach | |
Prag gekommen. Nach der Auktion ist er ebenso erleichtert wie Kollege | |
Matfiak. "Ich hatte Angst, dass irgendwelche Kunstsammler unsere Sachen | |
ersteigern. Sie wurden ja weit unter Preis angeboten", sagt er. | |
Die Marienstatue aus dem 18. Jahrhundert zum Beispiel. Ihr offizieller | |
Schätzpreis liegt bei 1,2 Millionen Kronen, der Auktionspreis bei 450.000 | |
(18.000 Euro). Ein Schnäppchen. Dennoch hat sie keinen Käufer gefunden. | |
Nach der Auktion steht sie verlassen neben einem großen Stalinporträt (das | |
seinen Liebhaber gefunden hat und für umgerechnet 1.200 Euro versteigert | |
wurde) und wartet darauf, an ihren Bestimmungsort gebracht zu werden: zum | |
Insolvenzverwalter. | |
## "Vielleicht geschieht noch ein Wunder" | |
"Ich freue mich, dass so wenig verkauft wurde und Pfarrer Milan wenigstens | |
die Monstranz der Kirche erhalten hat", sagt Jiri Volesky. Wie es nun | |
weitergeht, weiß er nicht. "Aber das ist heute egal", jubiliert er. | |
"Vielleicht geschieht noch ein Wunder." | |
Die Passion des Jiri Volesky begann vor mehr als zwei Jahren. Die Pfarrei | |
bewirtschaftete damals recht erfolgreich die umliegenden Wälder. "Das war | |
eine wirtschaftliche Grundlage, die wir ausbauen wollten", erinnert sich | |
Pfarrer Volesky. Im März 2009 erstand seine Pfarrei ein nahes Sägewerk, in | |
dem das Holz aus den Wäldern zu Briketts verarbeitetet werden sollte. | |
Das Sägewerk allein kostete rund 12 Millionen Kronen (knapp 500.000 Euro). | |
Hinzu kamen Verpflichtungen in Höhe von 5,5 Millionen Euro, die aus einem | |
alten Leasing-Vertrag stammten. "Der Vertrieb unserer Holzbriketts lief | |
recht gut", erklärt Jiri Volesky. Davon habe er sich blenden lassen. "Der | |
erste große Fehler war es, das Sägewerk vor dem Kauf nicht näher zu | |
betrachten", sagt er geknickt. | |
## Ungeahnte Reparaturen und immer neue Kredite | |
Schon kurz nach dem Kauf fingen die ersten Probleme an. Reparaturen | |
erforderten neue Kredite. Hier ein paar Millionen vom Bistum, dort ein paar | |
Millionen von den Banken. "Wir wollten die Pfarrei wirtschaftlich | |
unabhängig machen und nicht einfach weiterhin nur die Hand aufhalten", | |
erklärt Pfarrer Volesky. Der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten | |
gepflastert. | |
Ein Jahr später dann der Schock. Während das Sägewerk wegen hartnäckiger | |
technischer Probleme stillstand, hatten sich die Schulden auf über 30 | |
Millionen Kronen (etwa 1,2 Millionen Euro) angehäuft. "Wir hätten die | |
Gemeinde selbst in die Insolvenz geschickt", erklärt Richard Kirbs, | |
Wirtschaftsreferent des Bistums Leitmeritz (Litomerice). "Nur ist uns einer | |
der Gläubiger ein paar Stunden zuvorgekommen", sagt er lakonisch. | |
Zusammen mit einem Insolvenzverwalter aus dem nahe gelegenen Decin einigten | |
sich die Gläubiger schnell: Um die Schulden zu begleichen, sollte alles | |
verkauft werden, nicht nur die Kirche der "Geburt der Jungfrau Maria" sowie | |
Pfarrei samt Kapelle. Nicht nur die Friedhöfe in den umliegenden Dörfern, | |
auf denen Deutsche wie Tschechen über Jahrhunderte hinweg ihre letzte Ruhe | |
gefunden haben. | |
Sondern auch das gesamte, größtenteils barocke Inventar der Kirche: vom | |
Altar über die Heiligenfiguren bis hin zur Monstranz. "Die Schulden waren | |
einfach zu hoch. Produziert wurde gar nichts mehr, während die Pfarrei | |
immer mehr Geld leihen wollte, um die Schulden zu begleichen", sagt Richard | |
Kirbs und fügt hinzu: "Wir mussten die Notbremse ziehen. Und das haben wir | |
getan, indem wir das Insolvenzverfahren eingeleitet haben." | |
## Pfarrer als Sündenbock | |
Das Bistum wäscht sich die Hände in Unschuld. Zwar muss es sämtliche | |
finanzielle Transaktionen über 50.000 Kronen (2.000 Euro) selbst absegnen. | |
Den Sündenbock des verpatzten Unternehmens aber gibt Pfarrer Jiri Volesky. | |
"Er war verantwortlich. Hätte er besser aufgepasst und gemerkt, dass das | |
Unternehmen nur Verluste macht, dann hätte er schon früher Schritte | |
unternehmen können, um den Konkurs anzuwenden", sagt Wirtschaftsreferent | |
Kirbs. | |
Einer trage des anderen Last. "Natürlich bin ich nicht frei von Schuld", | |
gibt der Pfarrer zu. "Aber ich kann nicht verstehen, dass es keine andere | |
Lösung gibt, als das gesamte Eigentum unserer Pfarrei zu veräußern", sagt | |
er traurig. "Immerhin geht es hier nicht um Gebäude. Es geht um Menschen." | |
Tatsächlich ist die katholische Gemeinde von Trmice sehr lebendig. Zu den | |
Gottesdiensten des 3.000-Seelen-Örtchens kommen regelmäßig 50 bis 80 | |
Gläubige. Für Tschechien, das im Vatikan offiziell als "Missionsland" gilt, | |
fast ein Rekord. | |
"Wir sind eine lebendige Gemeinde", bekräftigt Seelsorger Volesky, der | |
neben Trmice auch das nahe gelegene Roma-Ghetto Predlice betreut. Deshalb | |
kann er die Haltung des Bistums nicht nachvollziehen, das das | |
Insolvenzverfahren als einzigen Weg anpreist. "Bei mir haben sich Gläubiger | |
gemeldet, die bereit waren, uns die Schulden zu erlassen", sagt Volesky. | |
Aber das Bistum, das seit Beginn des Insolvenzverfahrens die Gemeinde | |
verwaltet, hat keinerlei Interesse daran gezeigt, auf diesen Vorschlag | |
einzugehen", meint er geknickt. Stattdessen stellt es lieber das gesamte | |
Gemeindeeigentum zum Verkauf: von Grundstücken im besten Braunkohlerevier | |
der Region über alte deutsch-tschechische Friedhöfe bis hin zur Kirche | |
selbst und ihrem Inventar. | |
## Madonna unterm Hammer | |
Wie zum Beispiel die bekannte Madonna von Trmice. Die etwa 50 Zentimeter | |
hohe Holzstatue ziert seit dem frühen 18. Jahrhundert den Altar der Kirche | |
von Trmice. "Dank der Marienstatue findet hier seit dem 18. Jahrhundert | |
unsere alljährliche Marienprozession statt", erzählt Pfarrer Volesky. | |
Spontan waren die Menschen früher in die Kirche gekommen, um die Statue zu | |
bewundern. Bis 1743 die erste offizielle Prozession aus Düx (Duchov) in die | |
Kirche führte. Als Teil des Altars wird auch sie unter den Hammer kommen. | |
"So weit hätte es nie kommen müssen, wenn das Bistum willens gewesen wäre, | |
die Schuldenfrage anders zu lösen", sagt Pfarrer Volesky. Seit dem | |
Eintreffen des Wirtschaftsreferenten Richard Kirbs kommuniziere das Bistum | |
gar nicht mehr, seufzt er. | |
Im Ort selbst schaut man inzwischen mit Argwohn zum nahe gelegenen | |
Bischofssitz Leitmeritz hinüber. "Bischof Baxa ist doch bekannt dafür, dass | |
er alte Kirchen verkaufen will. Aber unsere ist weder entweiht noch | |
verlassen", ereifert sich Vaclav aus Trmice, der im Wirtshaus "Beim | |
Kastner" sein Feierabendbier genießt. | |
Sein Freund Jan wird konkreter: "Das Eigentum der Gemeinde beläuft sich auf | |
über 80 Millionen Kronen (3,2 Millionen Euro). Das soll jetzt verramscht | |
werden, um 30 Millionen Schulden zu bezahlen?", fragt er wütend. "Soll mir | |
doch keiner weismachen, dass man die Schulden nicht mit einem Kredit hätte | |
tilgen und Teile dieses Eigentums dann zum Marktpreis hätte verkaufen | |
können", schimpft er. | |
## Das Symbol eines anderen Lebens | |
Um wenigstens Teile ihrer Kirche zu retten, haben sich die Bewohner von | |
Trmice zu einer Bürgervereinigung zusammengetan. "Wir wollen vor allem den | |
Verkauf des Kirchengebäudes verhindern", sagt Marie Gottfriedová. Die junge | |
Schuldirektorin, die bei den letzten Gemeinderatswahlen so gerne | |
Bürgermeisterin geworden wäre, will die Kirche den künftigen Generationen | |
erhalten. "Sie ist nicht nur das Wahrzeichen unseres Ortes, sondern auch | |
Symbol eines anderen Lebens", sagt sie. | |
Inzwischen hat die Bürgervereinigung über drei Millionen Kronen (120.000 | |
Euro) gesammelt. Der offizielle Preis des Gotteshauses liegt bei 7,6 | |
Millionen (340.000 Euro). Allerdings hat sich bislang noch kein Interessent | |
für das Gebäude gemeldet. "Vielleicht bekommen wir ja so einen | |
Preisnachlass", hofft Gottfriedová. | |
Die Messen und Fürbitten, die wöchentlich in Trmice für Kirche und Gemeinde | |
abgehalten werden, haben zumindest an anderer Stelle der Kirchenhierarchie | |
Gehör gefunden. Zum Beispiel bei Pfarrer Milan Matfiak, der zur Auktion | |
nach Prag kam.Und bei Stanislav Zapotocky, Priester im mittelböhmischen | |
Sedlcany. | |
Zum offiziellen Preis von 2,9 Millionen Kronen (116.000 Euro) kaufte er | |
kurzerhand das Pfarrhaus samt seiner anliegenden barocken Kapelle und | |
überlässt es der Gemeinde nun zur kostenlosen Nutzung. "Das Geld stammt aus | |
dem Erbe meines Vaters", sagt er. "Wissen Sie, ich wollte einfach helfen. | |
Die Pfarrei muss doch erhalten bleiben", begründet Zapotocky sein Handeln. | |
Den Bewohnern von Trmice hat er nicht nur die Pfarrei erhalten, die vor | |
allem den sozial Schwachen als Anlaufstelle gilt. Sondern mit ihr auch | |
ihren Seelsorger Jiri Volesky, den Ghettopfarrer aus Leidenschaft, der | |
Hebräisch, Aramäisch und Altgriechisch besser versteht als die Prinzipien | |
der Unternehmensführung. | |
8 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Sascha Mostyn | |
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