# taz.de -- Taz-Redakteur bei Radio Vatikan: Laudetur Jesus Christus | |
> Vom Besuch eines Schreibers, der erst zum Kommunisten und dann zum | |
> Politikum wurde, bei Radio Vatikan, der Stimme der katholischen Kirche in | |
> der Welt. | |
Bild: Gut, wenn Sendungsbewusstsein auf technische Möglichkeiten trifft. | |
"Ah, il rosso!" Jeden Morgen kommt der stämmige Kollege vom | |
spanischsprachigen Programm vorbei und haut mir seine Pranke auf die | |
Schulter. Ich bin "der Rote" bei Radio Vatikan, der Kommunist. So | |
jedenfalls steht es in der italienischen Presse. Aber, sagt der Schlag auf | |
die Schulter, dich kriegen wir schon noch katholisch. | |
Warum auch nicht? Drei Wochen lang bei Radio Vatikan - der Stimme des | |
Papstes in der Welt und in die Welt - muss ich an ein Gedicht eines | |
hochkultivierten Marxisten denken. Es heißt FRIEDEN und geht so: "Die | |
Brötchen kosten drei Pfennig./Der Brötchenmann wirft sie morgens in den | |
Beutel/ An meiner Tür. Eine Preissenkung/ Ist in Aussicht." | |
Im Automatencafé von Radio Vatikan kostet der hervorragende Espresso 30 | |
Cent, ein Thunfisch-Ruccola-Tramezzino 1 Euro. An einem sonnigen Mittwoch | |
im November lädt der arabische Priester im Vatikansupermarkt den | |
Einkaufswagen mit steuerfreiem Edelschnaps voll, lacht auf meinen | |
verwunderten Blick hin und sagt: "Muss bis Samstag reichen." Zum Rauchen | |
geht man bei Radio Vatikan auf die Terrasse mit Blick auf Engelsburg und | |
Tiber. Der Kollege Tontechniker sagt, die ewig gleiche Schau auf die | |
immergrünen Bäume rund um das Hadriangrabmal sei öde. Sie wissen nicht | |
immer zu schätzen, was sie haben. | |
## Der Sender sitzt im elegant-faschistischen Zweckbau | |
Das Redaktions- bzw. das vielsprachige Redaktionengebäude von Radio Vatikan | |
liegt nicht hinter den heiligen Mauern, sondern exterritorial auf | |
italienischem Staatsgebiet, in der Nähe der Mussolini-Meile "Via della | |
conciliazione" ("Straße der Versöhnung" zwischen Staat und katholischer | |
Kirche, Lateranverträge 1929 etc.). Um diese Sichtachse zu verwirklichen, | |
wurde gnadenlos historische Bausubstanz in einer Menge und von einer | |
Qualität niedergelegt, die in Deutschland ein ganzes Amt für Denkmalschutz | |
beschäftigen würde. Der Palazzo Pio genannte Sitz des Senders an der Piazza | |
Pia ist dann aber ein einigermaßen elegant-faschistischer Zweckbau, innen | |
sehr hübsch hölzern im 1960er-Jahre-Stil eingerichtet. | |
Die chinesischen Kollegen fahren die langen Gänge mit dem Klappfahrrad | |
entlang, über die Osteuropäer wird gewitzelt, weil sie immer noch - | |
Kommunismus! - ihre Bürotüren geschlossen halten, die Amis sind dick, | |
lustig, schlecht angezogen und rauchen fiese Zigarren, die Franzosen sind | |
spöttisch, die Afrikaner sagen: Wenn wir nicht so über Aids und Kondome | |
reden können, wie wir es für richtig halten, dann machen wir halt gar keine | |
Sendung dazu - das ist dann auch eine Botschaft. | |
Ich bin drei Wochen zu Gast bei der italienischsprachigen | |
UKW-Lokalredaktion für Rom und Umgebung. Das Pogramm heißt "One-O-Five", | |
denn der Erfinder ist der Ire Sean Lovett. Seit Kurzem leitet Luca Collodi | |
die Redaktion. Luca kommt aus Livorno, ist ein Mann des Meeres und hat die | |
wichtigste Eigenschaft eines Kapitäns: Er ist entspannt, immer. | |
## Eingkeit nur über die Arbeit, nicht die politische Einstellung | |
Das erfahre ich gleich am "ersten Schultag" - wie die | |
Nachrichtenredakteurin Francesca Sabatinelli es spöttisch nennt: Luca lädt | |
mich zu einem Espresso ein, anschließend schreibe ich in meinem Blog, den | |
ich für das Goethe-Institut Rom, das den Austausch liebevoll organisiert | |
hat, führe: "Redaktionsleiter Luca Collodi sagt mir bei einem Kaffee, wie | |
er sich die Sache denkt; und das ist glücklicherweise: genau wie ich." In | |
der italienischen Agenturfassung wird daraus: "Zum Glück hat Luca Collodi | |
die gleichen Ideen wie ich." | |
Na und, mag sich da der tumbe Nordländer fragen; aber dieser Satz, der die | |
politischen Ideen des "roten" Waibel zu denen eines Redaktionsleiters des | |
schwarzen Weltsenders macht, sorgt für schwere See. Am nächsten Tag muss | |
der arme Luca gefühlte zwei Dutzend Telefonate führen, die immer in der | |
Feststellung münden, er sei sich mit mir einig gewesen über das, was ich im | |
Radio tun könne, keineswegs darüber, was die Politik angehe; von der wir | |
dann in den drei Wochen auch kaum, und wenn, dann sehr andeutungsweise | |
reden. Aber bei all den Telefonaten ist Lucas Mienenspiel zu mir ganz klar. | |
Mach dir keine Sorgen, das ist nur ein Sturm im Wasserglas. Und so ist es | |
auch. | |
In Rom wird geschossen, mehr noch: Es wird exekutiert. In der Peripherie, | |
aber auch im Zentrum. Mafiamorde. Ich entscheide mich für die Peripherie, | |
die mythischen Vorstädte Pier Paolo Pasolinis. Mit dem Mikrofon fahre ich | |
stundenlang in ruckelnden Vorortszügen aus den dreißiger Jahren nach Torre | |
Angela, Tor Bella Monaca, nach Finocchio und S. Basilio. S. Basilio ist der | |
einzige Ort, wo mir als hartgesottenem Neuköllner ein wenig mulmig wird, | |
als auf den letzten Stationen nur noch ich und eine Gruppe schwer | |
bedröhnter (Klebstoff?) Jugendlicher im Waggon sitzen. Mein Plan war, mit | |
Polizisten zu sprechen, mit Richtern, mit Sozialarbeitern, mit Künstlern, | |
mit Pfarrern. Luca rät, nur mit Pfarrern zu reden. Ich mache mein | |
atheistisches Gesicht. Du wirst sehen, sagt er, wir kommen ans gleiche | |
Ziel. | |
## Zum verlieben nette Pfarrer in der Vorstadt | |
Und er hat recht. Die Pfarrer in der römischen Peripherie haben eine gute | |
Quote. Zwei sind höchst intelligent, überaus offen und zum Verlieben nett, | |
ein dritter ist offen, als ich das Mikro ausschalte, und der vierte hat | |
halt keinen Bock. Meine Eingangsfrage ist immer die gleiche: "Gibt es eine | |
neue Qualität sozialen Ungleichgewichts und eine neue Art der Gewalt in | |
ihrer Pfarrei?" Monsignore Zuppi antwortet darauf ganz schlicht: Das | |
Viertel habe sich sehr verändert, und zwar so, wie es Pier Paolo Pasolini | |
vor mehr als dreißig Jahren "mit großer Intelligenz und Sensibilität" | |
vorhergesehen habe. Der schwule Kommunist also. Danke. | |
In den nächsten Tagen entwickle ich eine Leidenschaft für | |
[1][www.vicariatusurbis.org]. Auf dieser Webseite kann man sich | |
Informationen holen, wer in der Hauptstadt der Welt wo und wie lange schon | |
eine Pfarrei leitet. In S. Basilio antwortet Don Stefano auf meine Frage, | |
was mich erwartete, wenn ich beschlösse, vom Zentrum zu ihm in die Banlieu | |
zu ziehen: "Da würde mich aber interessieren, warum Sie auf so eine | |
seltsame Idee kommen sollten." Jugendarbeit in seinem Sprengel sei | |
inexistent. Nachts flögen die Helikopter über das Viertel, mit | |
Hochleistungsstrahlern würden die Gassen ausgeleuchtet. "Szenen wie aus | |
,Apoklaypse now' ", sagt Don Stefano, der weiß, was 1 Gramm Kokain kostet | |
und den Tagessatz der jugendlichen Warnstaffetten im Drogenbusiness kennt. | |
## Ein Priester ist nie einsam | |
Ob er sich nicht einsam fühle, frage ich den zarten Mann, der wie seine | |
Kollegen mit Anorak in einem eiskalten Zimmer sitzt. Ein Priester ist nie | |
einsam, seufzt er, und zählt dann sein Kollegium auf, das wie in den | |
anderen Pfarreien auch aus Priestern aus dem Kongo, aus Südamerika und | |
Indien besteht. Und dann lächelt er fein-ironisch und zeigt nach oben, da | |
sei immer noch "il Signore". | |
Don Umberto kommt aus Norditalien und sagt, die Mentalität, die er hier | |
vorgefunden habe, sei im römischen Dialekt gesprochen: "Tanto paga er | |
vaticano", frei übersetzt: Der Vatikan hat doch genug Geld! Don Riccardo | |
ist jovial und redet mal mit spitzer, mal mit süßlicher Zunge. Aber ich | |
werde den Verdacht nicht los, dass er ein wenig ein Lega-Anhänger ist: Die | |
Roma, nach deren Lage ich alle Pfarrer frage, seien nun mal Diebe, das sei | |
ihre Tradition. Da ist das Mikro aus. | |
Und Luca hätte es wohl auch kaum stehen lassen, denn geschnitten und | |
produziert werden muss ja auch noch. Ich lerne das auf die harte Tour, | |
indem ich die mühsam produzierte Fassung des ersten Interviews mit einem | |
leichtfertigen Klick lösche. Cazzo! Bzw: Laudetur Jesus Christus. | |
Ich habe viel gelernt, es war wunderschön. Und nein, nein, nein, den Papst | |
habe ich nicht gesehen. Ich hatte zu tun - und er wahrscheinlich auch. | |
27 Dec 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.vicariatusurbis.org | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
Ambros Waibel | |
## TAGS | |
Kolumne Das bisschen Haushalt | |
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