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# taz.de -- Berliner Ausstellung über Religion und Stadt: Gospel in der Lagerh…
> Ohne eurozentrischen Blick: "the Urban Cultures of Global Prayers" in der
> Berliner NGBK zeigt künstlerische Arbeiten über neue religiöse Bewegungen
> in den Städten der Welt.
Bild: Tausende Quadratmeter für die spirituelle Erweckung: Gebetsstätte der R…
Eine neutrale Haltung einzunehmen, wenn es um Religion geht, scheint
unmöglich. Stichworte wie Kirche oder Glaube genügen, um eine Reihe von
Assoziationen auszulösen, nicht selten negativer Art. Zu sehr ist das
Gedächtnis durch Mediendiskurse der letzten Monate und Jahre geprägt -
Papstbesuch, Extremismus, Missbrauchsfälle.
Religion ist ein sensibles, emotional aufgeladenes Thema, gleichzeitig hat
es für viele westliche GroßstädterInnen die persönliche Bedeutung gänzlich
verloren. Undenkbar scheint es etwa in Berlin, dass ein kirchliches
Ereignis hunderttausende Menschen anzieht.
Genau an diesem Punkt, der westlichen, großstädtisch-atheistischen Denkart,
holt die Ausstellung "the Urban Cultures of Global Prayers" ihre
BesucherInnen ab. Vom multikulturellen, dennoch unreligiösen Treiben der
Oranienstraße geht es hinein in die Räume der NGBK, wo dokumentarische
Arbeiten mit neuen urbanen, religiösen Praktiken konfrontieren.
Da gibt es die christliche Großveranstaltung, das Redeemed Christian Church
of God Redemption Camp, am Rand der Megastadt Lagos, welches fünfmal mehr
Menschen als das weltgrößte Fußballstadion fasst. Jens Wenkel, Arzt und
Filmemacher, ist mit der Videokamera durch die lagerhallenartige
Gebetsstätte gewandelt. Per Mikrofon und Riesenleinwand wird die Predigt
übertragen, die Menschen tanzen, beten, sitzen und liegen auf dem Boden,
während die Kamera einfach nur da ist, langsam durch das Treiben streift,
niemanden fokussiert.
Der diffuse Lärm der vielen Menschen nimmt den ganzen Ausstellungsraum ein,
und das europäische Ohr sehnt sich nach der aus Dokumentarfilmen gewohnten
Offstimme, die erklärt, warum die Menschen sich so eigenartig bewegen, was
für eine Kirche das ist, was sich abspielt. Auch ein Blick an die Wand
daneben stillt das instinktive Bedürfnis nach Erklärung nicht.
## Dem "Fremdeln" wird kein Raum gegeben
Beim Streifzug durch die Ausstellung weicht diese empfundene Haltlosigkeit
dann langsam der Erkenntnis, dass hier ganz bewusst auf den gewohnten,
eurozentristischen Blick verzichtet worden ist, auch wenn viele der
KünstlerInnen aus westlichen Ländern kommen. Auf die künstliche Distanz,
die entsteht, wenn ein Kommentar das Gezeigte erläutert und einordnet, wird
in allen Exponaten verzichtet. Dem "Fremdeln" wird kein Raum gegeben.
Die Aufnahmen der Massenveranstaltung in Lagos etwa, die vielen tanzenden
und betenden Menschen, wirken nach einigem Hinschauen gar nicht mehr so
fremd. Die Ausstellung versucht damit das eigentlich Unmögliche: aus einer
neutralen Perspektive neue religiöse Bewegungen in den Großstädten der Welt
zu zeigen.
Natürlich kann man den eigenen, kulturell und persönlich geprägten Blick
nicht einfach abstreifen. Doch "the Urban Cultures of Global Prayers"
zwingt zum längeren Hinschauen und zur Auseinandersetzung, eben weil die
Werke nicht selbsterklärend sind. Dabei wandelt sich auch eine
traditionelle Vorstellung von praktiziertem Glauben.
## Jenseits der "gottlosen" Welt
In Mexiko-Stadt, im von Drogen und Kriminalität geprägten Stadtteil Tepito,
verehren Anhänger des Santa-Muerte-Kults eine Heiligenfigur, die aussieht,
als entstamme sie einem Horrorfilm, beten zu ihr, zünden sich für ein
Rauchritual eine Zigarette an ihr an. Was komisch klingt, erscheint auf den
Fotoarbeiten von Frida Hartz alltäglich und normal.
Überhaupt liegt das Augenmerk auf religiösen Ereignissen, die, ohne danach
zu suchen, mitten auf den Straßen der Großstädte zu beobachten sind, nicht
auf sektenartigen Ritualen, die von der Öffentlichkeit abgeschottet
stattfinden. Nur wenige Werke haben dabei einen explizit ästhetischen
Anspruch, die wirken dafür umso anziehender, wie Sevgi Ortaçs "Missing the
Place". Leider verschwindet die facettenreiche Videoinstallation mit
farbstarken Bildern einer alljährlichen Feier in Istanbul im zu hellen
Eingangsbereich.
Die Ausstellung ist der künstlerische Teil des Forschungsprojekts
[1]["Global Prayers - Erlösung und Befreiung in der Stadt"] des Vereins
[2][metroZones], das sich um die Wiederkehr von Religion in den Städten der
Welt dreht. Eine Wiederkehr, von der man in Berlin nichts merkt. Aber das
Bewusstsein dafür, dass es sie gibt, wächst, je weiter man in die durch
Vorhänge abgetrennten Räume der NGBK vordringt, je weiter man die gewohnte,
"gottlose" Welt vor der Haustür hinter sich gelassen hat.
30 Nov 2011
## LINKS
[1] http://globalprayers.info/index.php
[2] http://www.metrozones.info/
## AUTOREN
Carla Baum
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