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# taz.de -- Bücherreihe zum Holocaust: Über die "erste Welle" hinaus
> Soeben ist der Band 7 der Dokumentationsreihe zur "Verfolgung und
> Ermordung der europäischen Juden" mit dem Schwerpunkt Sowjetunion
> erschienen.
Bild: Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion.
Wenn in Deutschland vom Mord an den Juden die Rede ist, so konzentriert
sich das öffentliche Gedenken fast gänzlich auf Auschwitz und die anderen
nazistischen Vernichtungslager. Dadurch hat sich die Vorstellung vom
industriell betriebenen Massenmord, von einer anonymen Mordmaschine
verfestigt.
Der soeben erschienene Band 7 der Dokumentationsreihe "Die Verfolgung und
Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische
Deutschland 1933-1945" mit dem Schwerpunkt Sowjetunion und annektierte
Gebiete schärft unseren Blick auf den gesamten Umfang des nazistischen
Völkermords.
Er dokumentiert die Mordaktionen, die dem deutschen Angriff auf die
Sowjetunion Juni 1941 auf dem Fuß folgten, und beweist das Zusammenspiel
der SS-Einsatzgruppen und Polizeiregimenter mit der Wehrmacht und mit
Hilfstruppen aus den besetzten Ländern. Wie in den bereits erschienenen
Bänden der Dokumentation wurden Berichte von Opfern und deren Angehörigen,
von "Bystandern" und von Vertretern der öffentlichen Meinung
berücksichtigt.
Die Dokumente betreffen das Territorium der besetzten sowjetischen Gebiete
unter Militär- und unter Zivilverwaltung. Letztere umfassen das
"Reichskommissariat Ostland" (baltische Staaten und "Weißruthenien") und
das Reichskommissariat Ukraine. Zeitlich umfasst der Band die "erste
Mordwelle" nach der Invasion. In dem folgenden Band 8 wird der Massenmord
an der ghettoisierten jüdischen Bevölkerung in der Ukraine und
Weißrussland, über die die "erste Welle" hinwegging, behandelt werden.
Mit der von Hildrun Glass verantworteten Dokumentation der rumänischen
Besatzungspolitik in der Bukowina, Transnistrien und Bessarabien wird die
bislang in diesem Umfang unbekannte Verantwortung des rumänischen Regimes
an der Schoah bewiesen. Insgesamt sind 85 Prozent der in Band 7
veröffentlichten Dokumente noch nie in Deutschland erschienen.
Für die Sichtung und die Auswahl von deutschen Dokumenten gab es nach Hoppe
in den Archiven der vormals besetzten Länder keine Hindernisse, wenn man
vom Archiv des heutigen FSB (vormals KGB) bei Podolsk absieht, wo viele
deutsche Dokumente lagern. Viel schwieriger gestaltete sich die Suche nach
Berichten von Opfern und deren Angehörigen. Es fehlte den Opfern an Zeit
und Gelegenheit für Briefe oder Berichte.
## Es wurden nur zeitgenössische Dokumente berücksichtigt
Immerhin gelang es Hoppe beispielsweise, für den Bereich der besetzten
Sowjetunion Auszüge aus einem Dutzend Tagebücher jüdischer Autoren zu
publizieren. Wie in den bisherigen Bänden wurden auch in Band 7 nur
Dokumente berücksichtigt, die zeitgenössisch, als vor der Befreiung durch
die Rote Armee, geschrieben worden sind.
In Band 7 stehen nicht die Hauptverbrecher im Rampenlicht, sondern die
unteren und mittleren Chargen. In den Dokumenten tritt deren tief
eingefressene Judenfeindschaft hervor, ihre absolute Fühllosigkeit
gegenüber den Opfern. Es gibt Berichte, bei deren Lektüre einem angesichts
der Grausamkeit einfach nur der Atem stockt. Der Band bietet neue
Materialien zur Beantwortung der Frage, was eigentlich "Normalität" damals
und heute bedeutet.
Bei der Vorstellung von Band 7 zu Ende Oktober in Berlin wurde die Frage
aufgeworfen, ob in der Einleitung des Bandes die gesamte mörderische
Strategie des deutschen Vernichtungskriegs hinreichend berücksichtigt
werde. Zwar betonte der SPD-Abgeordnete und Osteuropa-Spezialist Gernot
Erler die "Einmaligkeit" des Judenmords, gab aber zu bedenken, dass auch
der historische Rahmen zu behandeln sei. Also auch die Millionen
umgekommener nichtjüdischer Sowjetbürger.
Von den Herausgebern wurde die Hoffnung geäußert, die Gesamtdokumentation
möge zu einem Schriftdenkmal für die ermordeten Juden werden. Nicht als
Denkmal auf dem Sockel, sondern als Hilfe bei der Vergegenwärtigung der
Opfer. Der Dokumentation wäre zu wünschen, dass sie schon jetzt in den
Schulunterricht und in die Uni-Seminare Eingang findet.
8 Nov 2011
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Christian Semler
## TAGS
Holocaust
Holocaust
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