# taz.de -- Gedenken an deportierte Juden: Für sie soll's weiße Rosen regnen | |
> Mit bedenkenswerten Worten, Musik und Blumen erinnern knapp 1.000 | |
> Berliner an den Beginn der Deportationen von jüdischen Bürgern vor 70 | |
> Jahren. | |
Bild: Am Bahnhof Grunewald niedergelegte Blumen | |
Weiße Rosen weisen den Weg: Dutzende Menschen, das Symbol der Trauer in der | |
Hand, steigen am S-Bahnhof Grunewald aus der S7 Richtung Potsdam. Es sind | |
vor allem grauhaarige Damen und Herren, die sich in einem langsamen Pulk | |
Richtung Ausgang schieben. Viele, die noch keine Rose haben, stellen sich | |
in die Warteschlange am Blumenladen des Bahnhofs. Draußen strömen die | |
Menschen die Rampe hoch zum Gleis 17. Hier, am Mahnmal der Deutschen Bahn | |
für die jüdischen Opfer der Deportationen in die Ghettos und | |
Vernichtungslager, liegen die weißen Rosen dicht an dicht auf den | |
Stahlplatten, in die die Daten aller 60 Todesfahrten eingestanzt sind. | |
Am Arm von Kulturstaatssekretär André Schmitz geht Inge Deutschkron durch | |
die Menge in Richtung Rednerpult. Immer wieder wird die | |
Holocaustüberlebende aufgehalten von Menschen, die ihr die Hand schütteln | |
wollen. Etwa der Regierende Bürgermeister, der sich später in seiner Rede | |
ausdrücklich bei der zierlichen 89-Jährigen bedanken wird für ihre | |
Initiative zu dieser Feier. Tatsächlich sei sie es gewesen, die ihren | |
Freund Schmitz auf das Datum aufmerksam gemacht habe, hatte Deutschkron im | |
Vorfeld der taz erzählt. Wer wisse schon noch, dass am 18. Oktober 1941 der | |
erste Deportationszug mit 1.089 Berliner Juden Richtung Osten fuhr? | |
Dank Deutschkron also drängeln sich am Dienstag rund 1.000 Berliner und | |
Berlinerinnen hinter dem roten Absperrband. Als sich die Ehrengäste - von | |
Bischhof Markus Dröge über die Vizepräsidentin des Bundestags, Petra Pau | |
(Linkspartei), bis zur Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Lala Süsskind - | |
gesetzt haben, eröffnet die Berliner Singakademie die Feierlichkeiten mit | |
einem Lied von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Es folgen Beiträge von Schülern | |
und Schülerinnen des Schiller-Gymnasiums, die Zeitzeugenberichte vortragen, | |
sowie Grußworte von Wowereit und Süsskind. | |
"Es geschah vor aller Augen, jeder konnte es sehen, und jeder, der es sah, | |
muss sich fragen lassen, warum er es geschehen ließ", sagt der Regierende. | |
Es sei gut, dass so viele Schüler und Schülerinnen anwesend seien und sich | |
mit diesem Thema auseinander setzen. Denn nur wer der Opfer gedenke, könne | |
verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Auch Lala Süsskind weist | |
darauf hin, dass die Täter nicht "die Nationalsozialisten" waren, hinter | |
denen man sich verstecken könne. "Später hieß es: ,Davon haben wir nichts | |
gewusst.' Dabei hätte es heißen müssen: ,Davon haben wir nichts wissen | |
wollen.'" | |
Inge Deutschkron erzählt von jener ersten Deportation im Oktober 1941 | |
([1][siehe Interview von Dienstag]). "An diesem Tag ist Hitlers | |
Mordmaschinerie angelaufen. Berlin sollte judenrein gemacht werden." Das | |
habe man am 27. Februar 1943 auch erreicht: "An jedem Tag hörte die | |
Jüdische Gemeinde auf zu existieren." 55.000 von 160.000 Berliner Juden | |
waren deportiert, "die Hälfte hatte das rettende Ausland erreicht, 7.000 | |
waren in den Selbstmord getrieben worden". Nur 1.500 überlebten versteckt | |
in Berlin, so Deutschkron. Sie schließt mit einer Mahnung an "euch Junge: | |
Wendet euch nicht ab von diesem Teil der Geschichte eures Volkes!" Und die | |
Jugend macht mit: Wieder treten die Schüler vor's Mikrophon, lesen Gedichte | |
von Hans Sahl und einen Text von Deutschkron, der sich mit der Frage | |
befasst, wie es sein wird, wenn eines Tages die Zeitzeugen nicht mehr da | |
sind. | |
Später werden noch mehr weiße Rosen verteilt, die Menschen strömen zum | |
Gleis 17. Der Bahnsteig versinkt im Blumenmeer. | |
18 Oct 2011 | |
## LINKS | |
[1] /Interview-mit-Inge-Deutschkron/!80114/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Gannott | |
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