# taz.de -- Ehemaliger Kasernenstandort in Sachsen: Kaninchenschau statt Gebirg… | |
> Schneeberg hat hinter sich, was vielen Bundeswehrstandorten erst noch | |
> bevorsteht. In die ehemalige Kaserne verlieren sich Lackierer, | |
> Bürstenmacher und manchmal Tierfreunde. | |
Bild: Grundausbildung in Schneeberg: Rekruten üben 2004 am Maschinengewehr MG-… | |
SCHNEEBERG taz | An die Gebirgsjäger, die im März 2008 abzogen, erinnert | |
kaum noch etwas auf dem 50 Hektar großen Areal oberhalb der Erzgebirgsstadt | |
Schneeberg. Man vermutet eher ein Schulungszentrum mit Restaurant, | |
Schwimmhalle und Sportanlage, fast eine Feriensiedlung. | |
Doch die Wohngebäude mit den Spitzdächern können ihren Kasernencharakter | |
nicht verbergen. Und in den alten Fahrzeughallen hat sich schon | |
Kleingewerbe angesiedelt. Immerhin ist der ehemalige Kletterturm | |
verkleidet, sind die Sickergruben zu Biotopen umgestaltet worden. Auf einer | |
Wiese weiden Alpakas. | |
Am lässig bewachten Haupttor kommen einem Asylbewerber entgegen, die in | |
einem der Gebäude untergebracht sind. Die Chemnitzer Ausländerbehörde hat | |
das Provisorium soeben bis Februar verlängert. Aus einem Lieferwagen steigt | |
Johannes Hahn. Vor dem Rentenalter arbeitete er hier in der damaligen | |
Volksarmee-Kaserne als Elektriker. Heute führt er als Hausmeister | |
potenzielle Mieter und Investoren über das Gelände – "mit blutendem Herzen" | |
angesichts der verwaisten Gebäude. | |
Es war ein für fast 70 Millionen Euro perfekt ausgebauter | |
Bundeswehrstandort für 1.500 Dienstposten, überwiegend für Zeitsoldaten aus | |
der Region, und für 130 Zivilbedienstete. Zum Teil wurde hier nach 2004 | |
noch weitergebaut, obwohl der Schließungsbeschluss von | |
Verteidigungsminister Peter Struck schon bekannt war. | |
Das Stabsgebäude mit 16 Hörsälen, die Kantine, die Sportplätze, die | |
Sporthalle, Kegelbahn, Sauna und vor allem die Schwimmhalle wirken denn | |
auch so, als könnte alles morgen schon wieder in Betrieb gehen. In der | |
Schwimmhalle hängt auf einem Bügel noch der Badeanzug der letzten | |
Schwimmerin, die 2009 hier ihre Bahnen zog. | |
## Dreihundert Jahre Militär | |
Bürgermeister Frieder Stimpel (CDU) hat darum gekämpft, dass nach dem Abzug | |
der Gebirgsjäger die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die das Areal | |
übernahm, die Infrastruktur nicht anrührt und die Hallen nicht etwa | |
entkernt. Ein Grund mehr für eine Lackiererei, eine "Bürstenbude", einen | |
Landschaftspflegebetrieb und einen Bilderrahmenhersteller, hier Flächen zu | |
mieten. | |
Doch Stimpel schildert auch, welchen Einschnitt das Ende einer | |
dreihundertjährigen Militärtradition für die Region bedeutete, die schon | |
einmal mit dem Ende des Uranbergbaus der Wismut AG 1990 nahezu aussichtslos | |
zurückgeworfen wurde. Kaufkraft und Steuereinnahmen sind gesunken, | |
Soldatenfamilien weggezogen. "Der demografische Wandel hat sich regional | |
noch verschärft", sagt Bürgermeister Stimpel. | |
Eine Studie des ehemaligen Direktors des Institutes für | |
Wirtschaftsforschung Halle, Ulrich Blum, rechnete vor, dass ersatzweise 900 | |
Arbeitsplätze geschaffen und 150 Millionen Euro investiert werden müssten. | |
Noch immer reagieren viele Schneeberger allergisch auf das Thema | |
Bundeswehr. | |
Im fünf Kilometer entfernten Aue hat der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas | |
Colditz sein Büro. Auch er hält es für einen "politischen Skandal", dass | |
das Land und die Kommune mit den Konversionsfolgen vom Bund alleingelassen | |
wurden. Ganze 2 Millionen Euro brachte der Immobilienanstalt 2009 | |
schließlich der Verkauf des Geländes, der erst im dritten Anlauf gelang, | |
wofür der Bund der Steuerzahler den "Schleuder-Sachsen" verlieh. | |
## Kasernendächer zu Solaranlagen! | |
Der neue Eigentümer heißt wiederum Struck, aber Gustav mit Vornamen, hat im | |
bayerischen Kirchham ein Solarunternehmen und schon zwei ehemalige Kasernen | |
erworben. In Schneeberg vermietet er die Dächer jedoch an andere | |
Solarfirmen. Mehr als 1,2 Megawatt installierte Leistung lassen die | |
Leitungen allerdings nicht zu. | |
Struck, 70 Jahre alt, ist Unternehmer alter Schule, er genießt in | |
Schneeberg Vertrauen und vermietet, anstatt scheibchenweise zu verkaufen. | |
Mit den Worten; "Ich möchte die Regie behalten", hält er an der Idee einer | |
Gesamtgestaltung des Geländes fest. Und er sucht sich seriöse | |
Interessenten, die Arbeitsplätze schaffen sollen, um die Konversionsfolgen | |
etwas zu mildern. Gerade fährt ein Unternehmer aus Neuss vom Gelände, der | |
hier ein Walzgerüst für Nickelfolien einrichten will und dabei auf die | |
Metallverarbeitungstradition im Erzgebirge setzt. Er lobt die "idealen | |
Bedingungen". | |
Das Problem sind die Wohn- und Sozialgebäude. "Für eine Schule optimal" – | |
das sagt nicht nur Struck. Aber allein die Schwimmhalle würde jährlich eine | |
Viertelmillion Euro verschlingen. Und die Kaninchenausstellung des | |
Züchtervereins in der Turnhalle im Advent ist nur ein Behelf. Noch klingt | |
es nach Orakel, doch Gustav Struck will einen ernsthaften Interessenten für | |
die Einrichtung eines Internats an der Hand haben. | |
10 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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