# taz.de -- Kaserne wird Stadtteil: Kinderfest auf dem Exerzierplatz | |
> Viele Orte im Norden beklagen den Abzug der Bundeswehr. Dabei eröffnet | |
> der viele Möglichkeiten, Neues zu wagen, wo über Jahrzehnte alles | |
> festgelegt schien. In Stade zum Beispiel ist aus einer ehemaligen Kaserne | |
> ein neuer Stadtteil entstanden. | |
Bild: Neues Leben in alten Klinkerbauten: 2.000 Bewohner hat Ottenbeck. | |
HAMBURG taz | Balkone und Gärten durchbrechen die symmetrische Anordnung | |
der früheren Mannschaftsunterkünfte, breite Alleen mit alten Bäumen | |
verleihen Weite: Nachdem die Bundeswehr vor 17 Jahren die | |
Von-Goeben-Kaserne aufgegeben hat, sind vor allem junge Leute in die alten | |
Klinkerbauten gezogen. Außenrum wurden Einfamilienhäuser gebaut, auf einer | |
Weide grasen Galloway-Rinder. Gut 2.000 Menschen leben in Ottenbeck, wie | |
der neue Vorort von Stade heißt. Kindergärten und eine Waldorfschule gibt | |
es hier, ein Café und eine Tanzschule. | |
"Der Rasen des Exerzierplatzes war heilig", sagt Britta, die in einem Labor | |
im ehemaligen Offizierskasino Pflanzenschutzmittel testet. "Das Gras wurde | |
auf den Millimeter gestutzt und außer bei Paraden durfte da niemand drauf." | |
Heute tollen dort die Hunde, sagt Brittas Kollegin Eva. Einmal im Jahr wird | |
die große Wiese gemäht, dann gibt es ein Fest für die vielen Kinder, die | |
hier leben. Zwei Jungs rollen auf Skateboards vorbei und versuchen Tricks | |
an einer Bordsteinkante. Dann streunen sie weiter, vorbei am klotzförmigen | |
Trafo-Häuschen, das nun eine Kneipe ist. Jetzt, am frühen Abend, sind dort | |
nur einige flackernde Kürbisfratzen zu Gast. | |
In der ehemaligen Krankenstation der Kaserne hat die Stadt Stade vor | |
einigen Jahren ein "Gründungs- und Innovationszentrum" eingerichtet, das | |
Existenzgründer mit günstigen Büromieten nach Ottenbeck locken sollte. | |
"Schon bald wurde es zu eng", sagt Karen Ulferts, die für das Zentrum | |
arbeitet. 2005 zogen sie in eine leer stehende Mannschaftsunterkunft - wo | |
früher Wehrdienstleistende einquartiert waren, teilen sich nun gut 30 | |
Gründer Besprechungsräume, Laptops, Kopierer und Faxgeräte. "Einige | |
arbeiten allein in 13,5 Quadratmeter großen Büros, andere mit Partnern oder | |
ersten Mitarbeitern in größeren Räumen", sagt Ulferts. Wenn ein Startup gut | |
anläuft und mehr Platz braucht, muss es ausziehen - so wie jene | |
Computerspielfirma, die mittlerweile 160 Mitarbeiter beschäftigt. In | |
Hamburg. | |
Durchs Fenster sind zwei große Grashügel zu sehen: alte Bunker, in denen | |
heute Bands proben. "Das sind die sichersten Büros, die es gibt", scherzt | |
der städtische Wirtschaftsförderer Thomas Friedrichs. "Dass die Kaserne | |
dicht gemacht wird, wollten die Menschen hier am Anfang gar nicht | |
verstehen", sagt er. Rund 1.500 Arbeitsplätze gingen dadurch in der Region | |
verloren, die meisten davon zivil. | |
Mit dem dicken Filzstift wurde geplant, in welchen Kasernengebäuden gewohnt | |
werden könnte, wo ein Spielplatz gebaut werden soll. "Einst waren hier | |
Pioniere stationiert", sagt Friedrichs. Dann hätten die freien Flächen | |
plötzlich Pionieren auf anderen Gebieten neue Möglichkeiten gegeben. | |
Zum Beispiel den Leuten von der Öko-Siedlung: Zwischen gelben, roten und | |
grünen Holzhäusern liegt eine Gemeinschaftswiese. "Gartenzäune gibt es hier | |
nicht", sagt Bauoberrat Nils Jacobs, der selbst hier wohnt. Zusammen mit | |
rund zehn weiteren Familien hat er neben den Kasernengebäuden eine | |
Nachbarschaft mit begrünten Garagendächern aufgebaut. Weil die Kaserne so | |
groß war, habe sich kein Investor gefunden, der das gesamte Gelände kaufen | |
wollte. Das sei eine große Chance für Stadtentwickler gewesen. "In fünfzehn | |
Jahren ist hier ein kompletter Stadtteil entstanden", sagt Jacobs. Die | |
Öko-Siedlung hat ihr eigenes Blockheizkraftwerk, das Strom aus Gas erzeugt. | |
Mit der Abwärme wird geheizt. | |
Einige Straßen weiter sind auf dem Dach eines ehemaligen Kasernengebäudes | |
zahlreiche Sonnenkollektoren angebracht, im Erdgeschoss ist ein Café. Nara | |
hilft hier nach der Schule aus, gerade fegt sie das Laub zwischen | |
Bistrotischen zusammen. Nebenan werden Haare geschnitten und blondiert. | |
"Mein Onkel war hier früher stationiert", erzählt Nara, "er erkennt hier | |
kaum noch etwas wieder." Traurig ist sie darüber nicht: "Militär ist nicht | |
so mein Ding." | |
7 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Alexander Kohn | |
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