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# taz.de -- Krautrock-Kunst als Retrokultur: Tote Tauben in der Beethovenstraße
> Im Berliner Künstlerhaus Bethanien lassen sich Künstler von der Kölner
> Band Can inspirieren. Zugleich wird deren wichtiges Album "Tago Mago" neu
> aufgelegt.
Bild: Elektrisierten nicht nur ihr Publikum, sondern inspirieren auch Künstler…
Sicher werden Namenstage von Popstars auch bald willkommene Anlässe sein,
um seitenfüllend über ihre Verdienste zu schreiben. Retrokultur ist
gekommen, um im Pop zu bleiben. Für manche mag Retro grundsätzlich die Pest
sein, weil es den immer enger werdenden Platz der aktuellen
Berichterstattung zusätzlich einschränkt. Andererseits war die Schaffung
von Erinnerungsräumen von Anfang an zentraler Bestandteil der Popmusik.
"Hang on to your memories": Songs, die uns gefallen, möchten wir immer
wieder hören.
"Der retrospektive Charakter der Erinnerung setzt erst ein, wenn die
Erfahrung, auf die sie sich bezieht, abgeschlossen im Rücken liegt", wie
die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann in einer Studie zu den Formen
und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses festgestellt hat. Auch im
gegenwärtigsten Pop wird gerne an gestern gedacht, oftmals ohne dass man es
merkt und vielleicht auch entgegen seiner ursprünglichen Intention.
Wiedererkennungsmerkmale weisen die Songs und Alben der Kölner Band Can zur
Genüge auf. Dass Can nun besondere Ehrung zuteil wird, da ihr Doppelalbum
"Tago Mago" vor 40 Jahren erschien, war zwar irgendwie zu erwarten gewesen
und mutet auch nicht sonderlich originell an. Krautrock, zu dem Can qua
Zeitgleichheit mit dazugezählt werden, erlebt zurzeit seine x-te
Renaissance. Vor allem germanophile Angloamerikaner kriegen beim bloßen
Gedanken an die von ihnen "kosmisch" getaufte Stilrichtung westdeutscher
Hippies erhöhten Speichelfluss.
Von hier und heute aus besehen, wirkt vieles an Krautrock provinziell und
epigonal, nicht jedoch die Spiegelkabinettstruktur und die Schroffheit der
Musik von Can, die noch kaum Patina angesetzt hat. Can standen von Anfang
an im Austausch mit internationalen Musiknetzwerken. "Tago Mago", das
Lieblingsalbum von Sex-Pistol Johnny Rotten, wird dieser Tage mit
zusätzlicher Liveaufnahme und lesenswerten Linernotes wiederveröffentlicht,
es lohnt sich.
## Selbstverständnis als Kollektiv
Analog widmet sich auch eine Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien in
Berlin dem Schaffen der Band. "Halleluwah - Hommage à Can" vermeidet
weitgehend die Falle der ehrfürchtigen Heldenverehrung. Das liegt zum einen
an der Auswahl der 50 zeitgenössischen KünstlerInnen, die das musikalische
Schaffen des Quartetts und ihrer wechselnden Sänger vom Feld der Kunst aus
würdigen, und zum anderen an der Bedeutung von Can selbst.
Ihre jamartige und doch formstrenge Musik beeinflusste gleich mehrere
Popgenerationen, Punkbands der Siebziger genauso wie
Elektronik-Produzenten. So gilt das Can-Album "Ege Bamyasi" von 1972 etwa
als Blaupause für hochgepitchten Drum n Bass, wenn man die Musik auf 45
Umdrehungen abspielt.
Cans Selbstverständnis als Kollektiv war auch für spätere,
basisdemokratisch organisierte Bandprojekte interessant. Sie schufen sich
bereits Ende der Sechziger ein eigenes, "Inner Space" genanntes
Aufnahmestudio, um unabhängig von der Musikindustrie arbeiten zu können.
Die Stimmen der Can-Sänger Malcolm Mooney und Damo Suzuki wurden stets als
Instrumente eingesetzt, gleichbedeutend mit Gitarren, Tasten, Bass und
Drums.
## Streng geometrisches Strickmuster
Mehrere Kunstwerke in der Berliner Ausstellung beziehen sich auf die
Formensprache der Band. So muss man bei dem Miniaturschlagzeug, das die
dänische Künstlerin Rose Eken für ihr Werk "Every Day my Paperhouse" aus
Knetmasse, Alufolie und mit Filzstiften bemalten Kartons modelliert hat,
unweigerlich an Can-Drummer Jaki Liebezeit denken. Sein minimalistisches,
aber kompliziert getaktetes Spiel ist wichtiges Erkennungsmerkmal der Band.
Ganz anders der Berliner Musiker und Künstler Robert Lippok, der mit "Dear
Knitgoods" die motorische Präzision der Can-Rhythmussektion in ein streng
geometrisches Strickmuster verwandelt hat. Keine der Schraffuren gewinnt
die Oberhand, genauso wenig, wie es bei der 1968 gegründeten Band einen
Hauptkomponisten gab. Tanja Rochelmeyer wiederum bezieht sich mit ihrem
Gemälde "Ege Bamyasi" auf bereits vorhandene Coverart des Can-Albums von
1972, das eine Konservendose mit Okraschoten abbildete. Rochelmeyer macht
daraus eingedoste und an den Konstruktivismus gemahnende, komplex
verschachtelte gezackte Dreiecke.
Die Ausstellung ist als synästhetische Erfahrung angelegt, passend, weil
auch die Musik der Band synästhetisch angelegt war. Egal, ob Can
Soundtracks für Spielfilme und Fernsehkrimis komponierten, etwa für die
"Tatort"-Folge "Tote Tauben in der Beethovenstraße", oder Anschluss an die
Welt der Kunst fanden. Die Bandmitglieder Holger Czukay und Irmin Schmidt
waren in den frühen sechziger Jahren Schüler von Karlheinz Stockhausen in
Köln und nahmen beim Studium der Musik Notiz von seiner Vorliebe für
Fluxus-Kunst.
Als Band im Kontext der Popmusik mussten sie sich von ihren E-Musik-Wurzeln
erst mühsam lösen. "Wir waren verbildete Idioten", bemerkte Holger Czukay
einmal dazu. Umso seltsamer mutet an, dass die Francesco Tristanos von
heute geradezu nach dem Werkcharakter von E-Musik gieren.
Auf einem weiteren Versuchsfeld wirkten Can stilbildend: Sie tauschten sich
mit Vertretern anderer Kunstformen aus. Der von 1968 bis 1970 mit ihnen
spielende afroamerikanische Sänger Malcolm Mooney war eigentlich Bildhauer
und Maler. Er sorgte dafür, dass ihre frühen Konzerte wie
Performance-Art-Happenings über die Bühne gingen. In einer "Beyond
Colonialism" betitelten Collage aus Grafit, Tinte und Blattgold rückt der
US-Künstler William Cordova Mooneys Ideen mit einem anderen Multiplikator
zusammen: dem Künstler, Graffiti-Maler und Musiker Jean-Michel Basquiat.
"Halleluwah - Hommage à Can", Künstlerhaus Bethanien, Berlin. Bis 18.
Dezember. Katalog, Modo-Verlag, Freiburg 2011, 180 S., 26 Euro
Can: "Tago Mago. 40th Anniversary Edition" (Spoon/Warner)
24 Nov 2011
## AUTOREN
Julian Weber
Julian Weber
## TAGS
CTM Festival Berlin
Krautrock
Köln
Nachruf
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