# taz.de -- Wahl im Kongo: Showdown im Tränengas | |
> Für die Armen in Kinshasa ist Oppositionsführer Tshisekedi ein Held. Für | |
> die Staatsmacht ist er Provokateur. Der Wahlkampf geht in Gewalt unter. | |
Bild: Blutiger Wahlkampf: Ein Anhänger Tshisekedis am Wochenende in Kinshasa | |
KINSHASA taz | Die ersten Jugendlichen tanzen schon in Flaggen gehüllt auf | |
den Straßen, kaum dass über Kongos Hauptstadt die Sonne aufgegangen ist. | |
Musik dröhnt aus Lautsprechern auf einem Lastwagen, der im Schritttempo | |
durch die schmutzigen Gassen tuckert. | |
Die jungen Männer kleben Plakate. Sie zeigen Kongos beliebtesten | |
Oppositionellen: Etienne Tshisekedi. Der Schriftzug unter dem Gesicht des | |
79-Jährigen lautet: „Das Volk zuerst“. Eine Parole, die dessen Anhänger im | |
Kanon durch die Straßen grölen. | |
Am Flughafen von Kinshasa, 24 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums, sollen | |
an diesem Morgen die beiden Hauptkonkurrenten um das Präsidentenamt landen, | |
Amtsinhaber Joseph Kabila und Oppositionsführer Etienne Tshisekedi. Vier | |
Wochen lang waren sie durch das Land getourt, das so groß ist wie | |
Westeuropa. Jetzt, am letzten Tag des Wahlkampfs, wollen sie ihre Stärke in | |
der Hauptstadt zeigen. | |
Zehntausende meist arbeitslose junge Männer strömen also den frisch | |
sanierten vierspurigen Boulevard Lumumba durch die gigantischen Slums zum | |
Flughafen nach Ndjili hinunter. Die meisten sind Tshisekedi-Fans. Er macht | |
mit seiner Partei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) der | |
großen Masse Hoffnung. | |
## Der „Mandela des Kongo“ | |
Fahnenschwenkend preisen sie in Sprechchören vor der Flughafeneinfahrt | |
ihren „Mandela des Kongo“. Tshisekedi will mit seinen Fans in die | |
Innenstadt fahren und vor dem Parlamentsgebäude seine letzte | |
Wahlkampfveranstaltung abhalten – nur wenige hundert Meter vom | |
Märtyrer-Stadion entfernt, in welchem Präsident Joseph Kabila zur gleichen | |
Zeit laut Pressemitteilung eine „amerikanische Star-Show“ zelebrieren will. | |
Doch alles kommt ganz anders. | |
Als Tshisekedi um elf Uhr immer noch auf sich warten lässt, beginnen die | |
ersten Fans aus Ärger die zahlreichen Kabila-Poster am Flughafeneingang | |
herunterzureißen. Sie werfen Steine auf die Busse, welche rund hundert | |
Kabila-Anhänger zu einem separaten Flughafen-Terminal kutschieren – eine | |
frisch eröffnete VIP-Lodge mit edlen Mahagoni-Möbeln, die auf 15 Grad | |
herunterklimatisiert ist, sodass man fröstelt, während draußen die | |
Tropenhitze bullert. | |
Mit Schrammen und Schnittwunden von den zerborstenen Fensterscheiben des | |
Busses, doch ausstaffiert mit neuen Kabila-T-Shirts und Schildmützen, | |
wedeln die knapp hundert Jungen und Mädchen vor der frisch geteerten | |
VIP-Einfahrt mit Kabila-Flaggen. Einige zerlumpte Straßenkinder gesellen | |
sich dazu. Das also ist Kabilas Empfangskomitee in Kinshasa? | |
Zwei Geländewagen mit wehenden Kabila-Flaggen kommen noch angebraust. | |
Evariste Boshab, Generalsekretär der Regierungspartei PPRD (Volkspartei für | |
Wiederaufbau und Entwicklung), steigt aus. „Diese Leute da draußen sind | |
gewalttätig, ich werde wohl für unseren Präsidenten heute sterben müssen“, | |
keucht ein Gehilfe aufgeregt. | |
## Kabila als „Ausländer“ | |
Kabilas Plan ist, winkend die rund 20 Kilometer vom Flughafen bis zum | |
Stadion zu marschieren und sich bejubeln zu lassen. Aber draußen stehen | |
keine Kabila-Jubler. Da stehen Zehntausende wütende Tshisekedi-Fans. | |
Kinshasa gilt nicht als Hochburg des Präsidenten. Die Lingala sprechenden | |
„Kinois“ bezeichnen den Swahili sprechenden Kabila als „Ausländer“. Der | |
Swahili-Slogan auf Kabilas Wahlplakaten „Mit dem Präsidenten sind wir 100 | |
Prozent sicher“ empfinden sie als Provokation. An den Plakaten lassen sie | |
ihre Wut aus. Bald ist von den Kabila-Postern fast nichts mehr übrig. | |
Sirenen heulen in der Ferne. Gepanzerte Tränengaswerfer bahnen sich den | |
Weg. Hochgerüstete Hundertschaften mit Helmen und Schlagstöcken steigen von | |
nagelneuen Mannschaftswagen. Die Präsidentengarde kommt, in Camouflage und | |
mit schweren Maschinenpistolen. Sie hat einen klaren Befehl, so scheint es: | |
Die Straße für den Präsidenten zu säubern. | |
Die Tränengaswerfer feuern in die Menge, Tausende Jugendliche flüchten auf | |
die Wiese jenseits der Fahrbahn. Nachdem der Wind das Gas davonweht, wagen | |
sich die ersten Mutigen wieder zurück. Da verliert die Garde die Geduld. | |
Sie schießt – immerhin über die Köpfe hinweg. Von anderen Richtungen feuern | |
Polizisten Gummigeschosse. Mindestens zwei Menschen sterben im Kugelhagel, | |
die taz zählt sechs Schwerverletzte. Die Opposition spricht später sogar | |
von zehn Toten und über hundert Verletzten. | |
## Kabilas Maschine dreht ab | |
Soll Kabila wirklich durch Tränengas laufen, an Leichen und steinewerfenden | |
Oppositionellen vorbei? Die Präsidentenmaschine dreht vor dem Landeanflug | |
ab. Kabila fliegt direkt in seine Residenz, bestätigt später eine Quelle | |
aus seinem Lager. Und die Sicherheitsorgane erklären: Alle | |
Wahlkampfveranstaltungen sind abgesagt, mit sofortiger Wirkung. Es herrscht | |
absolutes Versammlungsverbot. | |
Aber draußen vor dem Flughafengelände stehen sie noch, zu Zehntausenden, | |
lauter zerlumpte knochendürre junge Männer. Sie warten auf Tshisekedi, | |
ihren Helden. Sie nähern sich unbeirrt dem Flughafenterminal. Die Soldaten | |
und Polizisten müssen sich langsam zurückziehen. Die Sprechchöre steigern | |
sich zu wüsten Songs: „Wir beten, dass Diktator Kabila sterben wird“, | |
brüllen sie und spucken der Präsidentengarde vor die Stiefel. | |
Unterdessen kreist Tshisekedis Maschine bereits eineinhalb Stunden über der | |
Hauptstadt und bekommt keine Landeerlaubnis. Letztlich landet sie auf der | |
Piste Ndolo in der Innenstadt, vor fünf Jahren Stationierungsort der | |
Bundeswehr. In einem knallroten Hummer-Geländewagen braust Tshisekedi in | |
Richtung Ndjili: Er will seinen Triumphmarsch durchziehen. | |
Tshisekedi kommt rechtzeitig, um seine Fans zu beruhigen, bevor sie die | |
Militärs überwältigen. Japsend winkt der erschöpfte alte Mann aus dem Dach | |
seines Jeeps. Seine Fans brüllen und kreischen. Wie ein Großvater mahnt er | |
sie zur Ruhe: „Ich danke dem kongolesischen Volk, dass es mich bereits | |
jetzt zum Präsidenten der Republik gekürt hat“, sagt er. Er werde seine | |
Rallye fortsetzen, Verbot hin oder her. | |
Kaum will sich der Konvoi in Bewegung setzen, blockieren Polizeiautos den | |
Weg. Erneut sprüht Tränengas, Schüsse fallen. Die Fans laufen jetzt in alle | |
Richtungen davon. | |
## Tshisekedi eingekesselt | |
Es ist früher Abend. Während die knallrote Sonne allmählich untergeht, wird | |
es still und leer um den Flughafen. Tshisekedis Konvoi, umzingelt, kann | |
sich keinen Schritt bewegen. „Das ist doch keine Demokratie, das ist ein | |
Polizeistaat!“, brüllt Tshisekedis Berater Valentin Mubake und redet sich | |
in Rage: „Kabila soll nach Ruanda oder Tansania zurückkehren, wo er | |
herkommt, er ist doch nicht einmal einer von uns!“ | |
UDPS-Generalsekretär Jacquemin Shabani bemüht sich um eine sachliche | |
Verhandlung. Vergeblich. Ein Armeegeneral lässt sich blicken, gibt dem | |
Polizeichef Anweisungen. Tshisekedi selbst bekommt kaum etwas mit. Er döst | |
in seinem Wagen, hinter getönten Scheiben. | |
Es wird dunkel. Den Polizisten ist es gelungen, die Massen mit Gewalt zu | |
vertreiben. Eine Handvoll Journalisten, deren Autos von der Polizei | |
blockiert sind, sind die einzigen Zeugen. Eine Einheit UN-Blauhelme trifft | |
ein. Sie fordern ein Mediationsteam an, welches Tshisekedi überzeugen soll, | |
sich mit einer UN-Eskorte in seine Residenz fahren zu lassen, um den Spuk | |
zu beenden. Tshisekedi bemüht sich nicht einmal, mit den Mediatoren zu | |
reden. Er schickt Funktionäre vor. Generalsekretär Shabani willigt zuerst | |
ein, dann aber doch nicht. Auch die Nummer zwei der Monusco, Fidèle | |
Sarassoro, kann keine Einigung erzielen. | |
Als Berater Mubake aus der VIP-Lounge zu den blockierten Wagen zurückkehrt, | |
flucht er über die UNO: „Die stecken doch mit Kabila unter einer Decke“, | |
brüllt er – so laut, dass die Polizisten, die mittlerweile auf dem Asphalt | |
dösen, aufschrecken. „Wir wollen keine Eskorte nach Hause!“ ruft er. „Wir | |
wollen unsere Rallye abhalten! Das ist unser Recht!“ Die UNO solle dafür | |
sorgen, dass die Polizisten die Blockade aufgeben. Es ist 22 Uhr. | |
Der UN-Vize steigt unverrichteter Dinge wieder in seinen Wagen, auch die | |
Blauhelme ziehen ab. Kaum ist der Konvoi außer Sichtweite, kommt Bewegung | |
in die Sache. Der Polizeikommandeur pfeift seine schlafenden Einheiten | |
zusammen. Vor Hunger und Durst schlecht gelaunt, klettern sie auf die | |
Mannschaftswagen. Motoren starten, Hoffnung schimmert auf. | |
Da stürmen Dutzende Polizisten blitzschnell los, reißen die Türen zu | |
Tshisekedis Wagen auf, zerren seinen Fahrer sowie Generalsekretär Shabani | |
mit Gewalt heraus. Eine weitere Mannschaft stürzt sich auf die | |
Journalistenautos. Mit Fäusten und Schlagstöcken trommeln sie auf die | |
Fensterscheiben ein. Aus dem Rückspiegel beim Davonfahren ist zu erkennen: | |
Ein Polizist schwingt sich auf Tshisekedis Fahrersitz, lässt den Motor an. | |
Der Alte hat keine Wahl. Er wird mit Gewalt nach Hause gefahren. Der | |
Wahlkampf ist zu Ende. | |
28 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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