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# taz.de -- Wahl im Kongo: Wahlurnen so groß wie Mülltonnen
> Alles ist gigantisch an dieser Wahl: die Stimmzettel, die Probleme, das
> Misstrauen, das Land. Der erste Wahltag verläuft ruhig – zumindest in der
> Hauptstadt.
Bild: 186.000 Urnen mussten in 63.000 Wahllokale gebracht werden.
KINSHASA taz | Arthur Mona drängelt sich nach vorn. Der alte Mann steht in
der Warteschlange vor einem Wahlbüro im Armenviertel Makala in Kongos
Hauptstadt Kinshasa. Er versucht einen Blick in das Innere des
Klassenzimmers der Grundschule St. Antoine zu erhaschen, in welchem die
Urnen aufgestellt sind.
Seit 5.30 Uhr wartet er bereits. Doch das Wahlbüro hat nicht wie geplant um
sechs Uhr geöffnet, weil der Bürochef mit den Schlüssel zu spät kam. "Doch
immerhin, die Wahlen finden statt, das freut mich", sagt Mona. Daran, gibt
er zu, habe er bis am Morgen gezweifelt
Um kurz vor acht darf der Alte endlich eintreten. Er zeigt seine Wahlkarte
vor. An der ersten Station geht es fix: Der lange schmale Stimmzettel
listet die elf Gesichter der Präsidentschaftskandidaten auf. Mona stellt
sich damit in eine Wahlkabine aus Pappkarton, um sein Kreuz zu machen. Dann
stopft er das Papier in eine riesige milchig-durchsichtige Urne, die
aussieht wie eine deutsche Mülltonne auf Rädern.
Als nächstes bekommt Arthur Mona ein zeitungsgroßes 14-seitiges Faltblatt
ausgehändigt. Der 64-Jährige kramt seine Brille heraus. 1.152 Kandidaten
für die 12 Abgeordnetensitze des Wahlkreises Kinshasa II, in dem Makala
liegt, stehen darauf mit klitzekleinen Porträts. Mona hebt das Faltblatt
ans Licht. Es dauert, bis er seinen Favoriten gefunden hat. Nur mit Gewalt
passt der gefaltete Wahlzettel schließlich in die Mülltonnen-Urne. "Wer
auch immer gewinnt, ich bin glücklich, dass ich wählen durfte", strahlt er,
als er zum Abschluss den Finger in die Tinte tunkt.
## In der Gerüchteküche brodelt es
Nicht allen geht es so. Vor dem Wahllokal drängeln sich Dutzende vor den
ausgehängten Wählerlisten. "Ich steh nicht drauf", klagt Guylain Mavula.
Der junge Mann guckt enttäuscht, fast wütend. "Das sind die ersten
demokratischen Wahlen meines Lebens und jetzt verweigert mir die unfähige
Wahlkommission das Recht, meine Stimme abzugeben", flucht er.
Wie ihm geht es vielen vor der Grundschule und auch in den anderen
Wahlbüros in Makala. Doch wie viel der Verwirrung die Schuld der
Wahlkommission CENI ist, lässt sich schwer überprüfen. Ein Student zeigt
seine Wählerkarte. Er ist in der Stadt Mbandaka registriert, steht also
dort auf der Liste, aber er geht davon aus, er dürfe in Kinshasa seine
Stimme abgeben, weil er gerade in Kinshasa ist.
Allein auf der Wahlbüro-Liste des Bezirks Makala stehen drei Schulen mit
dem Namen "St. Antoine" mit verschiedenen Adressen, nur unterschiedlichen
Büro-Nummern. Sofort kocht vor dem Wahllokal die Gerüchteküche hoch: "Die
Wahlkommission hat fiktive Wahllokale eingerichtet und meinen Namen
benutzt, um für Kabila vorher ausgefüllte Stimmzettel einzusammeln",
spekuliert jemand.
Von "fiktiven Wahlbüros" und vorweg ausgefüllten Stimmzetteln war in den
letzten Tagen viel die Rede im Kongo. Die Oppositionspartei UDPS (Union für
Demokratischen und Sozialen Fortschritt) von Etienne Tshisekedi hatte
Helfer losgeschickt, die Wahlbüros zu prüfen.
## Eine logistische Herausforderung
Einer davon war Tresor Mambu, der in Makala tatsächlich ein schmuddeliges
Hotel entdeckte, dessen Adresse auf der CENI-Liste als Wahlbüro vermerkt
war - ein "fiktives Büro" also, befand er. Am Wahltag stellt sich heraus,
dass sich zwei Grundstücke weiter tatsächlich ein Wahlbüro befindet - in
einer versteckt liegenden Grundschule, in welcher 569 Menschen abstimmen
sollen. Es stimmte nur die Hausnummer nicht.
Der Wahlgang ist in einem Land so groß wie Westeuropa eine logistische
Herausforderung: Rund 50 Hubschrauber mussten 186.000 Urnen in 63.000
Wahllokale austeilen und in den nächsten Tagen wieder einsammeln. Manche
Dörfer tief im Dschungel können nur per Boot oder Motorrad erreicht werden.
Selbst in der Hauptstadt sind die Urnen erst in den vergangenen drei Tagen
verteilt worden.
Während der Wahltag in Kinshasa zwar regnerisch, aber relativ ruhig
verläuft, kommt es in anderen Landesteilen zu Unruhen. In Katangas
Provinzhauptstadt Lubumbashi gibt es Tote und Schießereien, nachdem
maskierte Männer auf ein Wahllokal schießen und Schützen zwei CENI-Autos
abfackeln, in denen sie vorab für Präsident Joseph Kabila ausgefüllte
Stimmzettel vermuten.
In Kananga, Oppositionshochburg und Hauptstadt der Provinz West-Kasai,
werden mehrere Wahllokale in Brand gesetzt, weil dort vorab gefüllte
Wahlurnen entdeckt worden sind, und die entsprechenden Wahlbüros
geschlossen.
28 Nov 2011
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
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