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# taz.de -- Dumawahl in Russland: Gefälschte Zustimmung
> Die Kremlpartei Vereinigtes Russland verliert kräftig und kommt nur durch
> Manipulationen zur absoluten Mehrheit. Wladimir Putin findet, damit sei
> der eingeschlagene Kurs bestätigt.
Bild: Feiern den Wahlsieg: die Jugendbewegung der Kremlpartei.
MOSKAU taz | Dmitri Medwedjew konnte am Wahlabend seine Enttäuschung nicht
verbergen, doch er stand der Geschmeidigkeit eines Wahlverlierers in
westlichen Demokratien schon in nichts mehr nach. 15 Prozent verlor die
Staatspartei Vereinigtes Russland (VR) bei den Dumawahlen und kam auf 49,5
Prozent.
Für den Kremlchef zählt indes nur eins: Aus den Wahlen sei die Partei als
"stärkste" und "größte politische Kraft" hervorgegangen. Nichts
Ungewöhnliches sei an dieser Wahl gewesen, die das wahre Kräfteverhältnis
spiegele.
Kurzum: Wir haben die Ergebnisse einer echten Demokratie. Wladimir Putin,
der im März wieder in den Kreml einziehen möchte, ergänzte, die Partei habe
das Mandat erhalten, den Kurs fortzusetzen.
Die Schadenfreude im politisch aktiveren Teil des Volkes kennt keine
Grenzen. Die Lektion des Wählers hat gesessen. Selbst Wladimir Putin fielen
am Abend keine Kraftausdrücke mehr ein. Er sah so aus, als wüsste er nicht
mehr, dass er der "nationale Held" ist, der dem Volk eine lichte Zukunft
versprochen hatte.
## Viele haben taktisch gewählt
Die Mehrheit ist skeptisch. Wie der Millionär Wladislaw, der für die
Kommunisten stimmte. "Hätte ich vor einem Jahr noch nicht für möglich
gehalten", sagt der 42-jährige Moskauer. Für die Kommunisten zu stimmen
brachte die Rentnerin Ludmila Sergejewnja nicht übers Herz: "Eigentlich
wollte ich überhaupt nicht wählen, ich habe den Zettel ungültig gemacht."
Die Stimmen für die Kommunisten, die als zweitstärkste Partei hervorging,
sind zu einem Großteil Proteststimmen, die nicht mit der Überzeugung des
Wählers übereinstimmen müssen. Viele haben taktisch gewählt, weil die
Stimme für eine andere Partei von den Beamten Putins nur mit größerem
Aufwand in ein Ja für VR umgewidmet werden kann.
Dass die Wahlen manipuliert sein würden, wurde spätestens in der Vorwoche
deutlich, als der Kreml gegen die Wahlbeobachter der NGO Golos vorging.
Dass es auch am Wahltag zu Verstößen kam, bestätigten Wahlbeobachter der
OSZE. Es sei zu häufigen Unregelmäßigkeiten gekommen, heißt es in ihrer
Stellungnahme. Die Wahl sei zwar gut organisiert gewesen, "aber die
Qualität des Prozesses hat sich während der Auszählung deutlich
verschlechtert". Es gebe "ernsthafte Hinweise" auf zusätzliche Stimmzettel
in den Urnen, die nicht von Wahlberechtigten stammen könnten.
## Mehr als 7.000 registrierte Verstöße
Beobachter des Europarats formulierten sibyllinisch: Das russische Volk
habe gezeigt, dass es seinen Willen trotz Störungen und Manipulationen zum
Ausdruck bringen könne. Bislang hat der Kreml sich gegen die Einmischung
aus dem Ausland, wie sonst üblich, noch nicht verwahrt. Das
Standardargument, es handele sich dabei um einen Akt antirussischer Kräfte,
dürfte beim Wähler diesmal nicht so leicht verfangen. Dafür sprechen die
mehr als 7.000 registrierten Verstöße gegen das Wahlprozedere eine zu
deutliche Sprache.
Und auch die Wahlergebnisse: Während die VR in vielen Großstädten selten
auf mehr als ein Viertel der Stimmen kam, erhielt sie im Kaukasus
"sozialistische" Ergebnisse. Dort muss sich der Wähler kaum die Mühe eines
Gangs zur Wahl machen. Das erledigten die Wahlkommissionen im Auftrag der
Regionalfürsten für sie. So kam die VR in Tschetschenien auf über 99
Prozent.
In der neuen Duma sind wieder alle vier bisherigen Parteien vertreten: Die
Kommunisten kamen auf 19,16 Prozent, Gerechtes Russland auf 13,22 Prozent
und die ultranationalistische LDPR auf 11,66 Prozent. Die Oppositionspartei
Jabloko, die nach offiziellen Angaben deutlich an der 7-Prozent-Hürde
scheiterte, will angesichts der Fälschungsvorwürfe die Wahl nicht
anerkennen. Die Wahlbeteiligung lag bei 60,2 Prozent.
5 Dec 2011
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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