# taz.de -- Osteuropa-Experte über Wahl in Russland: "Viele Wähler haben die … | |
> Putin hat den Unmut des Volkes völlig unterschätzt, sagt | |
> Osteuropa-Experte Cornelius Ochmann. Ausbaden muss es jetzt Medwedjew – | |
> und Sündenbock wird die Partei sein. | |
Bild: Drinnen wurde gezählt, draußen geknüppelt: Moskauer Polizei am Sonntag. | |
taz: Herr Ochmann, wie interpretieren Sie das Wahlergebnis? | |
Cornelius Ochmann: Wenn die Partei Vereinigtes Russland trotz des ganzen | |
Drucks der Propagandamaschine und aller Fälschungen nur knapp 50 Prozent | |
erreicht, ist die Botschaft eindeutig: Ein Großteil der Wähler hat von | |
Wladimir Putin die Nase voll. Der Chef der kommunistischen Partei, Gennadi | |
Sjuganow, hat übrigens recht, wenn er sagt, dass die Partei insgesamt nicht | |
mehr als ein Drittel der Stimmen bekommen hat. | |
Warum haben die Wähler die Nase voll? | |
Unter der Präsidentschaft von Dmitri Medwedjew haben die Menschen immer | |
noch daran geglaubt, dass bei den Wahlen zumindest demokratische | |
Rahmenbedingungen eingehalten werden. Das war nicht der Fall. Noch Anfang | |
September sahen die Umfrageergebnisse für Vereinigtes Russland ganz gut | |
aus. Der Chef der Partei Rechte Sache, Michail Prochorow, sprach davon, | |
dass die Russen eine demokratische Wahl hätten. Als sich Putin dann | |
Prochorows entledigte, begann die Zustimmung zu schwinden. | |
Welche Bedeutung hatte dabei die Ankündigung von Putins erneuter Kandidatur | |
für das Präsidentenamt am 24. September? | |
Das war der Einbruch für Vereinigtes Russland, wobei alle Anzeichen darauf | |
hindeuten, dass diese Ankündigung zu diesem Zeitpunkt nicht geplant war. | |
Hätte sie erst nach der Wahl stattgefunden, denke ich, dass wir heute ein | |
anderes Ergebnis hätten. | |
Hat Putin den Unmut der Bevölkerung unterschätzt? | |
Eindeutig ja. Er ist allerdings jemand, der Entscheidungen immer wieder | |
hinausschiebt. Im Sommer hatte er offensichtlich ein völlig verzerrtes Bild | |
der Lage und glaubte seinen Beratern, dass die Ankündigung seiner | |
Kandidatur schon im September die Lage beruhigen werde - offensichtlich ein | |
Irrtum. | |
Was bedeutet diese Schlappe? | |
Putin hat sich bislang als nicht besonders lernfähig erwiesen. Doch diese | |
Wahlen sind für ihn ein Wendepunkt. In den vergangenen zwölf Jahren war er | |
noch nie in so einer schwierigen Situation. Daher glaube ich, dass er für | |
den Präsidentschaftswahlkampf entsprechende Schlüsse ziehen wird. | |
Welche sind das? | |
Medwedjew wird dieses Ergebnis ausbaden müssen und die Partei Vereinigtes | |
Russland wird zum Sündenbock erklärt. Putin selbst wird sich im | |
bevorstehenden Wahlkampf hingegen auf seine neu gegründete Allrussische | |
Volksfront stützen. | |
Sehen Sie die Gefahr, dass das Regime seine Repressionen gegen seine | |
politischen Gegnern verstärkt? | |
Diese Gefahr sehe ich derzeit nicht. Putin wird versuchen, sich als Zar | |
aller Russen darzustellen, und zu diesem Image passt es nicht, den Druck | |
weiter zu erhöhen. Ein solches Szenario ist jedoch möglich, wenn sein | |
Ergebnis bei den Präsidentenwahlen trotz Fälschungen ähnlich schlecht | |
ausfällt wie jetzt. Dann könnte das weißrussische Syndrom greifen. Der | |
dortige Diktator geht ja seit den Präsidentenwahlen im vergangenen Dezember | |
mit äußerster Brutalität gegen die Opposition vor. | |
6 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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