# taz.de -- Wikileaks-Informant vor Gericht: Die Leiden des jungen Manning | |
> Bradley Manning saß 17 Monate im Gefängnis weil er Wikileaks | |
> Informationen zuspielte. Jetzt beginnt in den USA sein Prozess - wegen | |
> Spionage. | |
Bild: Nicht nur in den USA demonstrieren Menschen für die Freiheit des Wikilea… | |
Die "transparenteste Amtsperiode der US-Geschichte" sollte es werden, hatte | |
Barack Obama im Wahlkampf versprochen. Doch im Umgang mit Whistleblowern | |
hält er sein Versprechen nicht. | |
Im Gegenteil: Bereits fünf Mal hat seine Administration Whistleblower aus | |
dem Sicherheitsapparat, die Machtmissbrauch aufgedeckt haben, als "Spione" | |
angeklagt. Bradley Manning, dessen erste Anhörung heute vor einem | |
Militärgericht in Fort Meade in Maryland beginnt, ist der vorerst letzte | |
von ihnen. | |
Nach 17 Monaten in Militärgefängnissen, davon die meiste Zeit in | |
Isolationshaft, wird ihm neben zwei Dutzend anderen Punkten die Verletzung | |
des Spionagegesetzes aus dem Ersten Weltkrieg vorgeworfen. Er soll "mit dem | |
Feind" kollaboriert haben. Da die Staatsanwaltschaft nicht von der | |
Todesstrafe Gebrauch machen will, droht ihm dafür bis zu lebenslänglich. | |
## Kindlich weiches Gesicht | |
Der Gefreite Manning ist ein kleiner Mann, der auf Fotos mit einem noch | |
kindlich weichen Gesicht zu sehen ist. Im Mai 2010 wurde er im Irak, wo er | |
für den US-Nachrichtendienst tätig war, verhaftet - weil er geheimes | |
Material an Wikileaks weitergegeben haben soll. Unter anderem ein Video, | |
das im Juli 2007 in einem Militärhubschrauber über Bagdad gedreht wurde. Es | |
zeigt, wie US-Soldaten aus der Luft zwölf Zivilisten erschießen. Zudem soll | |
er mehr als 250.000 diplomatische Depeschen weitergegeben haben. | |
In Chats mit einem vermeintlichen Freund, der tatsächlich für die Ermittler | |
arbeitete, soll Manning gesagt haben: "Das sind Dinge, die in die | |
Öffentlichkeit gehören. Ich hoffe, dass sie eine Diskussion und Reformen | |
auslösen." Das Material hat auch die Demonstranten des vergangenen | |
Arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten inspiriert. | |
Manning saß unterdessen täglich 23 Stunden in einer fensterlosen | |
Einzelzelle im Hochsicherheitstrakt der Marines-Kaserne von Quantico in | |
Maryland, hatte keinen Kontakt zu anderen Gefangenen. Im vergangenen Winter | |
musste er mehrfach nackt zum Morgenappell antreten. Erst nach Protesten | |
Tausender Demonstranten in aller Welt, die Manning als Helden und mutigen | |
Aufklärer verstehen, wurde er im April in ein "normales" Militärgefängnis | |
in Kansas verlegt. Das blieb das einzige Zugeständnis der US-Spitze. | |
Das Vieraugengespräch mit dem Gefangenen, das der für Folter zuständige | |
Berichterstatter der Vereinten Nationen beantragt hat, lehnte sie ab. Und | |
auch der offene Brief, den mehr als 50 Abgeordnete des Europaparlaments im | |
November verschickten, verhallte in Washington folgenlos. Das Phänomen des | |
Whistleblowing ist in den USA weiter verbreitet als anderswo. | |
In dem Land, wo kollektive Strukturen fehlen oder nur schwach sind, ist | |
Einzelkämpfertum - unter hohem persönlichem Einsatz - oft die einzige | |
Möglichkeit, düstere Machenschaften an die Öffentlichkeit zu bringen. | |
Whistleblower gibt es in sämtlichen Bereichen, und sie haben oft die | |
Verhältnisse verändert. | |
## Mysteriöser Autounfall | |
In der Atomindustrie arbeitete die Whistleblowerin Karen Silkwood, die nach | |
Enthüllungen über erhöhte Plutoniumbelastungen bei einem mysteriösen | |
Autounfall ums Leben kam. In der Tabakbranche arbeitete Jeffrey Wigand, bis | |
er Mitte der 90er Jahre den systematischen Einsatz von abhängig machenden | |
Dosen von Nikotin bekannt machte und für eine Kehrtwende im öffentlichen | |
Bewusstsein sorgte. | |
Der Whistleblower, der die bislang nachhaltigsten Spuren in der | |
Militärgeschichte der USA hinterließ, ist Daniel Ellsberg. Der damalige | |
Forscher im militärischen Thinktank RAND veröffentlichte 1971 die | |
"Pentagon-Papers". Die darin enthaltenen Informationen über Lügen der | |
US-Regierung über den Vietnamkrieg zerstörten das Vertrauen der Bevölkerung | |
in die Richtigkeit des Krieges. Ellsberg war mit seinem explosiven Material | |
zunächst an den US-Kongress herangetreten. Doch als der 20 Monate lang | |
nichts unternahm, gab er es der New York Times. | |
Auch Ellsberg wurde seinerzeit als "Spion" angeklagt. Heute sagt er, dass | |
er ausschließlich eines bereut: so lange mit der Veröffentlichung gewartet | |
zu haben, während im Krieg täglich Menschen starben. Der 80-Jährige hat | |
mehrfach seine Unterstützung und Bewunderung für Manning erklärt, der | |
morgen 24 wird. Ellsberg wird auch bei der Demonstration vor dem | |
Militärgericht in Fort Meade erwartet. | |
Seit Ellsberg haben die USA insgesamt 56 Gesetze zum Schutz von | |
Whistleblowern entwickelt. Die meisten davon betreffen einzelne Branchen | |
der Privatwirtschaft. "Die USA waren Pioniere bei der Kodifizierung dieses | |
Rechts auf Redefreiheit", erklärt Tom Devine, der als Anwalt beim | |
Government Accountability Project arbeitet, die größte NGO für | |
Whistleblower. | |
In seiner Karriere hat er nach eigener Auskunft mit 5.000 Whistleblowern | |
Kontakt gehabt und zahlreiche von ihnen verteidigt. Nach seiner Erfahrung | |
sind Whistleblower kein besonderer Personentyp, sondern oft Leute, die | |
Karriere gemacht haben und auf Geheimnisse gestoßen sind, die sie nicht mit | |
sich vereinbaren können. "Das ist keine Frage von Mut, sondern von | |
Gewissen", sagt der Anwalt. | |
## Gefährliches Gesetz | |
Seit Obamas Amtsantritt ist der Schutz der Whistleblower in der | |
Privatwirtschaft verstärkt worden. Doch gleichzeitig intensivierte sich die | |
Verfolgung von Whistleblowern aus dem Sicherheitsbereich. Thomas Drake, | |
Mitarbeiter der NSA (National Security Agency) bekam das am eigenen Leib zu | |
spüren, als er in der Baltimore Sun und gegenüber Kongressabgeordneten | |
enthüllte, dass seine Behörde tief in das Privatleben der US-Bürger | |
hineinschnüffelt. Wegen "Spionage" drohten ihm 35 Jahre Gefängnis. | |
Erst im letzten Moment ließ sich die Justiz in diesem Sommer auf einen | |
außergerichtlichen Vergleich mit Drake ein. Gleichzeitig wurde bekannt, | |
dass es Überlegungen in der Obama-Administration gibt, ein Gesetz zu | |
schaffen, dass "offizielle Geheimnisse" unter Schutz stellt. Für | |
Enthüllungsjournalisten, die oft mit "nicht autorisierten" Dokumenten | |
arbeiten, wäre das eine Katastrophe. | |
Was Manning bevorsteht, ist völlig offen. Das heute beginnende Hearing ist | |
sein erster Gerichtstermin überhaupt. Seine Unterstützer in den USA und | |
weltwei, werden für ihn demonstrieren. | |
16 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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