# taz.de -- Demo für Leaker Bradley Manning: Größter Verräter und größter… | |
> Unterstützer demonstrierten weltweit für Bradley Manning, die angebliche | |
> Quelle von Wikileaks. Im Zentrum der Kritik stehen die brutalen | |
> Haftbedingungen. | |
Bild: Hunderte protestierten in Quantico gegen die Haftbedingungen von Bradley … | |
WASHINGTON taz | Die Militärjustiz verdächtigt den Gefreiten mit den | |
kindlich weichen Gesichtszügen der "Kollaboration mit dem Feind". Ein | |
Verbrechen, das mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Für die mehr als | |
300 DemonstrantInnen, die an diesem ersten Frühlingssonntag vor das Tor der | |
Marines-Basis von Quantico gekommen sind, ist der 23-jährige Bradley | |
Manning ein Held. Ein "amerikanischer Held", präzisiert Zach Choate, der im | |
Irak gekämpft hat. Begründung: "Bradley Manning hat der Öffentlichkeit die | |
Wahrheit gesagt." | |
Der "amerikanische Held" soll mehrere hunderttausend Dokumente von | |
US-Militär und US-Diplomatie an die Gruppe "Wikileaks" weitergegeben haben. | |
Darunter das Video "Collateral Murder", das in einem Apache-Hubschrauber | |
über Bagdad aufgenommen ist und tödliche Schüsse auf eine Gruppe von | |
Zivilisten zeigt. Auf Bradley Mannings Konto sollen auch die 250.000 | |
diplomatischen Depeschen gehen, die seit ihrer schrittweisen | |
Veröffentlichung im vergangenen Jahr immer neue Schlaglichter auf die | |
Außenpolitik der USA liefern. | |
Die US-Behörden, die Bradley Manning - angeblich aufgrund eines Tipps von | |
einem Computerhacker - im vergangenen Mai gefangen genommen haben, lassen | |
ihn schwer büßen. Nach zwei Monaten in Kuwait überführten sie ihn im Juli | |
auf die Basis der Marines in Quantico. Dort muss er 23 Stunden am Tag | |
allein in einer fensterlosen Zelle verbringen. In der 24. Stunde hat er | |
Ausgang in einem anderen, geschlossenen Raum, in dem er unter Aufsicht von | |
Gefängniswärtern Runden gehen darf. | |
Seine Zelle ist rund um die Uhr beleuchtet und alle paar Minuten schauen | |
Wärter hinein. Bradley Manning darf ein Buch bei sich haben und kein | |
Kissen. Und muss seit Anfang März jeden Abend seine Kleider abgeben. Auch | |
die Unterhose. | |
Zumindest an einem Morgen stand der Gefangene nackt zum Appell vor seinen | |
Wächtern. Die Gefängnispsychiater in Quantico haben keine erhöhte | |
Selbstmordneigung bei Bradley Manning festgestellt. Aber laut Pentagon | |
geschieht die intensive Überwachung zu seinem eigenen Schutz. Und Präsident | |
Barack Obama nennt den Umgang mit Bradley Manning in einer Pressekonferenz: | |
"konform mit unseren Grundstandards". Der Sprecher des Außenministeriums, | |
der den Umgang mit Bradley Manning als "lächerlich, kontraproduktiv und | |
dumm" bezeichnet hat, muss zwei Tage später zurücktreten. | |
## Demos an 30 Orten | |
"Verräter", brüllt ein Soldat aus einem vorbeifahrenden Jeep einem | |
Demonstranten zu. "Er hat einen Eid geschworen. Und gebrochen." Gerald | |
Ganann, 65-jähriger Rentner und Exsoldat, brüllt zurück: "Genau! Manning | |
hat einen Eid geschworen. So wie Du und ich. Darin haben wir geschworen, | |
dass wir unter allen Umständen unsere Verfassung verteidigen. Nicht unsere | |
Vorgesetzten. Nicht unseren Präsidenten. Und schon gar keine | |
Kriegsverbrecher." | |
Ganann ist 20 Stunden aus Minneapolis im Auto unterwegs gewesen, um in | |
Quantico zu demonstrieren. Neben ihm steht eine Demonstrantin aus New York. | |
"Bradley Manning hat mehr Mut gezeigt als viele Soldaten", sagt Wendy | |
Dwyer. Sie ist 55 und Krankenschwester. Und sie trägt wie viele | |
Demonstranten an diesem Tag eine rosa Trillerpfeife um den Hals, in die sie | |
immer wieder bläst. Denn Manning ist als "Whistleblower" verdächtigt - als | |
"Pfeifenbläser", der Geheimnisse verraten hat. Wendy Dwyer war von Anfang | |
an gegen den Irakkrieg. Jetzt macht sie sich Sorgen um Bradley Manning: "Er | |
ist jung und allein. Und sie versuchen ihn zu brechen." | |
An 30 Orten in aller Welt - darunter Berlin, London und Wien - | |
demonstrieren an diesem Sonntag Menschen für Manning. Quantico ist die | |
zentrale Demonstration. Die Teilnehmer sind aus allen Teilen der USA | |
angereist. Unter ihnen sind zahlreiche Kriegsveteranen - sowohl aus Vietnam | |
als auch aus dem Irak und aus Afghanistan. Der prominenteste Demonstrant | |
ist der frühere Marine und Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, | |
Daniel Ellsberg. | |
Er hat 1971 mit der Veröffentlichung der geheimen "Pentagon-Papers" ein | |
Schlaglicht auf die Verbrechen im Vietnamkrieg geworfen und war wegen | |
Verrat angeklagt. "Ich war der Bradley Manning meiner Zeit", sagt der | |
79-jährige Whistleblower an diesem Sonntag. Jetzt fordert er Barack Obama | |
auf, dass er sich für Mannings Freilassung einsetzt: "Das kostet den | |
Präsidenten ein Telefonat. " | |
An der Kreuzung von Jeff Davis Highway and Fuller Road empfangen Polizisten | |
in Kampfuniform die Demonstranten. Es ist eine legale Demonstration. Die | |
von der Verfassung geschützt ist. Aber die Polizei hat Sperrgitter | |
aufgestellt. Nur eine Delegation von fünf Demonstranten darf den Highway | |
überqueren und sich einem Denkmal vor dem Eingang zur Basis nähern. Dort | |
wollen die fünf rote und weiße Nelken für gefallene Marines ablegen. Wenige | |
Schritt vor dem Denkmal stoßen sie auf ein neues Absperrgitter. Sie sollen | |
ihre Blumen durch das Gitter werfen. | |
Ellsberg ist der Erste, der sich auf den Asphalt des Highways setzt. Binnen | |
weniger Minuten ist er von anderen sitzenden Demonstranten umgeben. | |
"Freiheit für Manning", skandieren sie und "Wir sind das Volk." Ihre | |
Sitzblockade dauert mehrere Stunden. Am Abend sind mehr als 32 von ihnen | |
festgenommen. | |
## Das Symbol Manning | |
Für die meisten Demonstranten in Quantico ist Bradley Manning ein Symbol. | |
Persönlich sind ihm die meisten nie begegnet. Einer in der Menge hat ihn | |
getroffen. "Wenn Bradley Manning es tatsächlich war, dann ist er für mich | |
ein Vorbild", sagt der 24-jährige David House bei der Demonstration in | |
Quantico, "denn er hat Verbrechen enthüllt und sich für die Gesellschaft | |
nützlich gemacht." | |
House ist dem Gefreiten Manning nur einmal in Freiheit begegnet. Das war im | |
Januar 2010, als House und andere Computerfreaks am MIT in Boston ein | |
Zentrum für "kreative Hacker" eröffnet haben. Manning, dessen damaliger | |
Freund in Boston lebt, kam dazu. Manning fiel dem Computerwissenschaftler | |
House als Erstes durch hochgeföhnte Haare, ein rotes College-T-Shirt und | |
eine andere Sprache auf. Das war ein Kontrast zu dem Äußeren und dem | |
Insiderjargong der Szene. Die beiden mochten sich. Sprachen ein paar Sätze | |
miteinander. Und tauschten E-Mails aus. | |
Wenige Monate später hört House erneut von Manning - aus den Nachrichten. | |
Wenig später machen House und andere Computerfreaks in Boston erstmals | |
Bekanntschaft mit dem FBI und US-Geheimdiensten. | |
Alte Freunde gehen auf Abstand zu Bradley Manning. "Für Leute, die | |
beruflich Karriere machen möchte, ist er ein heikler Kontakt", sagt House. | |
Auch er wird von seinem Chef gewarnt. Doch ab September springt er als | |
Besucher für den Gefangenen ein. Seither ist er zweimal im Monat nach | |
Quantico gefahren. Er hat dort einen jungen Mann kennengelernt, der im | |
Gefängnis Bücher von Howard Zinn und Immanuel Kant liest. Und der nach dem | |
Militär Politikwissenschaften studieren wollte - "auf einem GI-Ticket". | |
Aber House beobachtet auch, dass Manning Antidepressiva bekommt. Und dass | |
er bei jedem Besuch etwas abgestumpfter und körperlich schwächer wirkt. | |
Ende Januar änderte sich das. Bei seinem letzten Besuch im Februar kommt | |
Bradley Manning seinem Besucher wieder etwas lebendiger vor. Über das | |
bevorstehende Gerichtsverfahren reden die beiden nicht. Bei den Treffen | |
sind immer auch drei Marines dabei. | |
Für House ist Mannings Engagement - "falls er es tatsächlich war" - ein | |
Beispiel dafür, dass Computerfreaks "kreativ und sozial aktiv sein können. | |
In Quantico wendet sich der Computerwissenschaftler direkt an Präsident | |
Obama. Bittet um Mannings Freilassung. Und verspricht, sich Manning als | |
Beispiel für sein Leben zu nehmen. | |
21 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ | |
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