# taz.de -- Bauernproteste in China: Alltäglicher Widerstand | |
> Immer wieder entzünden sich in China Konflikte zwischen lokalen Kadern | |
> und der Bevölkerung. Am wütendsten sind die Menschen auf dem Land. | |
Bild: Sitzblockade vor dem lokalen Regierungsgebäude in Lufeng, Provinz Guangd… | |
BERLIN taz | Der außer Kontrolle geratene [1][Landkonflikt in Wukan] ist | |
nur ein besonders drastisches Beispiel für jährlich zehntausende Proteste | |
in der Volksrepublik, die auf Parteichinesisch "Massenzwischenfälle" | |
genannt werden. | |
Widerstand äußert sich ebenso bei Landenteignungen wie in Arbeiterstreiks, | |
es gibt Verkehrsblockaden, Besetzungen, Studentendemos, Umwelt- und | |
Verbraucherproteste bis hin zu Autokonvois geprellter Käufer von | |
Eigentumswohnungen. | |
Gelegentlich kommt es dabei auch zu Todesfällen, vor allem dann, wenn die | |
lokalen Behörden mittels informeller Schlägertrupps Protestierende | |
angreifen. Diese nehmen ihrerseits manchmal Kader als Geiseln. Doch | |
inzwischen reagieren die meisten Behörden flexibler und setzen außer | |
blanker Repression auch Verhandlungen und Versprechungen ein, um den | |
Protesten die Spitze zu nehmen - wobei sie auch nicht vor lancierten | |
Falschmeldungen und Medienzensur zurückscheuen. Im nächsten Schritt gehen | |
sie dann gegen sogenannte Rädelsführer vor. | |
Die genaue Zahl der "Massenzwischenfälle" ist unbekannt wie auch die | |
Kriterien ihrer offiziellen Erfassung. Von 8.700 im Jahr 1993 stiegen die | |
Proteste auf offiziell 87.000 im Jahr 2005 an - also eine Verzehnfachung in | |
zwölf Jahren. | |
## Guangdong ist die reichste Provinz | |
Doch seitdem wurden keine offiziellen Zahlen mehr bekannt gegeben. Für 2008 | |
wird inoffiziell von 127.000 Vorfällen gesprochen. Das würde einen weiteren | |
starken Anstieg bedeuten, wofür auch die verstärkte Geheimhaltung spricht. | |
Laut Professor Yu Jianrong vom staatlichen Thinktank "Chinesische Akademie | |
der Sozialwissenschaften" gehen 65 Prozent aller Proteste auf Landkonflikte | |
zurück. Da ist es kein Wunder, dass diese Konflikte ausgerechnet in der | |
südlichen Boomprovinz Guangdong so heftig sind. Guangdong ist die reichste | |
Provinz mit der höchsten Zahl an Fabriken. Entsprechend scharf sind die | |
Landnutzungskonflikte. | |
Dabei geht es nicht um Enteignung im juristischen Sinn - in China gibt es | |
keinen privaten Grundbesitz -, sondern es geht um die vorzeitige und zu | |
gering entschädigte Kündigung langfristiger Pachtrechte und deren | |
lukrativen Verkauf an private Investoren. Etwa dann, wenn Äcker in | |
Golfplätze, Luxussiedlungen oder Industriezonen umgewandelt und die Bauern | |
von ihrem angestammten Land vertrieben werden. | |
Oft gehen lokale Kader lukrative Geschäfte ein und profitieren dabei von | |
Bestechungsgeldern oder eigenen Beteiligungen an den Projekten. Der Zorn | |
der Enteigneten und Vertriebenen richtet sich deshalb vor allem gegen die | |
als korrupt und ungerecht empfundenen lokalen Beamten und nicht gegen die | |
Regierung in Peking oder das System als solches. Vielmehr wird von der | |
Bevölkerung eine Intervention der Pekinger Führung oft geradezu | |
herbeigesehnt. | |
## Kommunikation via Weibo | |
Die Proteste haben in den letzten Jahren aus mehreren Gründen weiter | |
zugenommen. So ist die Landbevölkerung inzwischen besser informiert und | |
höher gebildet, was die Kenntnisse ihrer Rechte einschließt. Und die | |
Kommunikation mittels Internet und vor allem dem in China beliebten | |
Twitter-ähnlichen Kurznachrichtendienst Weibo ermöglicht einen schnellen | |
Austausch und eine leichtere Organisation von Protesten. | |
Andererseits ist in den letzten Jahren die soziale Kluft stärker gewachsen. | |
Das heißt, dass die Reichen viel schneller und schamloser reich wurden als | |
ärmere Schichten. Die Zentralregierung hat mit der Abschaffung der | |
Agrarsteuer und schärferen Gesetzen für Landumwandlungen und der Aufrüstung | |
der Polizei reagiert. Für die Bauern bleiben die juristischen Möglichkeiten | |
in der Praxis aber weiter sehr beschränkt. Oft werden erst nach Protesten | |
die Lokalkader bestraft. | |
Die Regierung betont immer wieder die Wichtigkeit von sozialer Stabilität, | |
was sich auch in der offiziellen Propaganda der "harmonischen Gesellschaft" | |
zeigt. Bisher gelang es ihr noch immer zu verhindern, dass sich lokale | |
Proteste und der Unmut über verschiedene Probleme vernetzen und zu einer | |
für die KP herrschaftsgefährdenden Kraft werden. | |
Gleichzeitig gibt es weiterhin Themen, die ein totales Tabu darstellen, als | |
da sind: Aktionen auf dem Tiananmen-Platz in Peking, die Falun-Gong-Sekte, | |
Unabhängigkeitsbestrebungen für Tibet, Taiwan, Ostturkestan (Xinjiang) oder | |
die Innere Mongolei, Aufrufe für ein Mehrparteiensystem oder freie Wahlen. | |
16 Dec 2011 | |
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## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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