| # taz.de -- Debatte Eurokrise: Schreddern wir Europa? | |
| > Eurobonds retten den Euro nicht. Im Gegenteil, wenn wir den Euro sterben | |
| > lassen, könnte sich wieder eine europäische Solidarität entwickeln. | |
| Bild: Macht kaputt, was euch kaputt macht: Jetzt den Euro, meint Harald Kliment… | |
| Natürlich kann man den Euro retten. Dazu bräuchte es Eurobonds, | |
| gleichzeitig aber eine proeuropäische Aufbruchstimmung. Dann könnte man | |
| eine demokratische EU-Regierung durchsetzen, die Steuerflucht unterbindet, | |
| die Finanzinstitutionen tatsächlich reguliert, Vermögen und | |
| Unternehmensgewinne vernünftig besteuert, eine europaweite Lohnkoordination | |
| ebenso auf den Weg bringt wie europaweite Ausgleichsmechanismen aufgrund | |
| der verschiedenen Inflations- und Produktivitätsentwicklungen. | |
| Nichts davon ist auch nur annähernd konsensfähig, nicht mal innerhalb der | |
| Eurostaaten. Und ein Projekt Europa, in das sich die Bürger verlieben | |
| könnten, spürt niemand, eher die Angst, aufgrund der gegenwärtigen | |
| Entwicklungen könnten Militärputsche jede Resthoffnung auf demokratische | |
| Gepflogenheiten atomisieren. | |
| Der Euro ist im Moment der wichtigste Verbündete einer an Gerechtigkeit und | |
| sozialem Ausgleich desinteressierten Elite. Deshalb geht dieses Gerede auf | |
| die Nerven, ein Ende des Euros würde Europa zerstören können. Denn der Euro | |
| selbst ist es, der Europa gegenwärtig zerstört. | |
| Die Menschen driften wieder auseinander, innerhalb und zwischen den | |
| nationalen Grenzen, wirtschaftlich und ideologisch. Die Zukunft Europas | |
| wird krampfhaft an der Zukunft des Euros festgemacht, obwohl die | |
| Rettungsmaßnahmen das europäische Fundament aushöhlen. | |
| ## Keine Solidarität | |
| Damit Griechenland und andere Länder in der Eurozone bleiben können, werden | |
| sie entwürdigenden und kontraproduktiven Kahlschlagprogrammen unterworfen. | |
| Natürlich gibt es in vielen Ländern Reformbedarf, allen voran in | |
| Griechenlands politischem System. Nur ist den Ländern nicht geholfen, wenn | |
| deren Arbeitslosenraten auf Rekordmarken steigen, die Löhne sinken - und | |
| die Schulden hernach trotzdem steigen. Die Bereitschaft zu solidarischem | |
| Handeln existiert nicht - als Solidarität bezeichnen Staatenlenker ein Tun, | |
| das ihren Ländern zu Vorteilen verhilft. | |
| Im Falle Griechenlands heißt das: Wir leihen euch Geld gegen deftige | |
| Zinsen, falls ihr die Kredite mit Privatisierungserlösen und Sparprogrammen | |
| bedienen könnt. Wer den Geldadel verschont, kann den Euro nicht retten, zu | |
| hoch sind die Schuldentürme, zu mächtig und flexibel die Gläubiger. Der | |
| gegenwärtige Kurs reitet immer mehr Staaten Richtung Kollaps. Portugal, | |
| Italien, Spanien, Frankreich, Belgien, wer kommt als übernächster? | |
| Selbst wenn die Bundesregierung eine 180-Grad-Wende vollzieht und etwa die | |
| Europäische Zentralbank in großem Stil Staatsschulden garantieren darf, | |
| wären Eurobonds allein keine Lösung der Misere. Weil diese in einen | |
| inhumanen Rahmen gepresst würden: "Wir refinanzieren eure Schulden, dafür | |
| regieren wir in euren Staatshaushalt hinein." | |
| Was nicht schlimm wäre, wenn es von einem demokratisch legitimierten | |
| Europaparlament unternommen würde, das die Probleme aus Sicht der Bürger | |
| angeht. Eurobonds ohne Vermögensteuern, ohne eine knallharte Verfolgung von | |
| Steuerflucht, ohne eine Politik, die die Verursacher der Krise für jene | |
| bezahlen lässt, wird Europa keinen Millimeter nach vorn bringen. | |
| ## Entfesselte Marktkonkurrenz | |
| Eine solche Politikwende ist derzeit nicht zu beobachten. Sondern eine | |
| Verschärfung des klassischen Oben-unten-Denkens unter Bedingungen | |
| entfesselter Marktkonkurrenz: Wer zahlt, schafft an, und der Stärkere | |
| gewinnt. So kann eine Währungsunion nicht funktionieren. Alle Staaten der | |
| Euro-Union fanden ausgeglichene Leistungsbilanzen und ähnliche | |
| Inflationsraten unwichtig. | |
| Allen Staaten waren die Haushalte und die Steuerpolitik der anderen so weit | |
| egal, wie es ihnen die Wettbewerbsposition nicht verhagelte. Und wenn | |
| jemand etwa Unternehmensteuern senkte, folgten die anderen im Schlepptau - | |
| Ergebnis: Schulden. Entweder diese Haltungen und Handlungsweisen werden | |
| beendet oder eine gemeinsame Währung funktioniert nicht. | |
| Es geht also darum, Zeit zu gewinnen. Zeit, in der Politiker sich bilden | |
| können und in der der Neoliberalismus überwunden wird, Zeit, die soziale | |
| Bewegungen benötigen, um zu wachsen. Zeit, in der europäisch denkende | |
| Menschen, wie es sie etwa mannigfach im EU-Parlament und auch in der | |
| EU-Kommission gibt, aus der EU einen Staatenbund machen, der die Herzen der | |
| Menschen erreicht. | |
| Während dieser Zeit darf es keine Gängelungen durch Finanzeliten geben, die | |
| ganze Länder ausbluten und jenen Bedingungen diktieren, wie sie sich zu | |
| entwickeln haben. Der Euro ist momentan nur hierfür nützlich. In diesem | |
| Europa, mit diesen Führungseliten, mit diesen Wirtschaftswissenschaftlern | |
| und Beratern, ist der Euro ebenderen Herrschaftsinstrument. | |
| ## Spielräume zurückgewinnen | |
| Deshalb müssen wir den Euro beerdigen, damit nicht noch mehr Sozialkapital | |
| zerstört wird, damit Europa sozial und demokratisch zusammenwachsen kann. | |
| Deshalb müssen wir Länder der Peripherie ermutigen, dieses System zu | |
| verlassen - und auf Dominoeffekte hoffen. Dann gewinnen Länder Spielräume | |
| zurück, etwa um ihre Währung abzuwerten. So können sie den Saldo aus Import | |
| und Export ohne in die Depression führende Lohn- und Preissenkungsrunden | |
| zum Ausgleich bringen. | |
| Reibungsverluste wird es trotzdem geben, schließlich bedeutet der Schritt, | |
| dass Importprodukte teurer werden, darunter Erdöl, was die | |
| Lebenshaltungskosten und die Inflationsraten erhöht. Gerade für | |
| Griechenland würde ein in Euro abgewickelter Schuldendienst untragbar, an | |
| einem echten Schuldenschnitt führt kein Weg vorbei. Gleichzeitig werden | |
| aber griechische Exportprodukte sowie Tourismusangebote für Ausländer | |
| billiger, das heißt, diese Sektoren werden die Krise schnell überwinden | |
| können. | |
| Nach einem Zerbrechen des Euros wären progressive Reformen gar nicht so | |
| unwahrscheinlich. Denn Europas Spitzenpolitiker würden begreifen, dass | |
| Europas Einheit tatsächlich gefährdet ist - und innerhalb der EU einen | |
| Rahmen suchen, der Wechselkurskapriolen verhindert und den Menschen | |
| Gerechtigkeit, Solidarität und Mitwirkungsmöglichkeiten anbietet, damit sie | |
| Europa wieder wollen können. | |
| 29 Dec 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Harald Klimenta | |
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