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# taz.de -- Taz-Serie: Die Grenzen des Wachstums: Der Schrumpf-Terrorist
> Welche Alternativen gibt es zum Credo des ewigen Wachstums? Serge
> Latouche propagiert einen Mix aus Schrumpfung und Regionalisierung.
Bild: "Wenn der Zug in die falsche Richtung fährt, reicht es nicht, darauf zu …
PARIS taz | Mit Wachstumskritik macht man sich nicht überall Freunde: "Hört
uns mit diesem Terrorismus auf, der darin besteht, uns zu sagen, dass
Entwicklung, Wachstum und Reichtumsvermehrung an sich ein Übel seien",
polterte jüngst Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy.
Die "Terroristen" haben in Frankreich einen theoretischen Drahtzieher:
Serge Latouche, ein grauhaariger Mann, der verblüffend dem etwa
gleichaltrigen Schauspieler Sean Connery gleicht. Latouche spottet darüber,
Connery lasse seine Film-Stunts machen, er halte seine Vorträge als
Professor selbst.
"Wenn du merkst, dass der Zug, in dem du bequem Platz genommen hast, in die
falsche Richtung fährt, reicht es nicht, darauf zu hoffen, dass er sein
Tempo drosselt", so beschreibt er die Entwicklung der Weltwirtschaft. Weil
man es sich im wohlhabenden Westen der nördlichen Erdhalbkugel dabei auf
einem komfortablen Sitzplatz gemütlich machen könne, mache es einem dort
weniger Angst als der "Dritten" oder "Vierten Welt", wenn die Reise ins
Ungewisse oder - und davon ist Latouche überzeugt - schnurgerade auf den
Abgrund zu führt.
Warum genau "die Wachstumsgesellschaft nicht wünschenswert ist", hat der
71-jährige emeritierte Pariser Wirtschaftsprofessor unter anderem für Le
Monde diplomatique zusammengefasst: Erstens produziere sie wachsende
Einkommensunterschiede und mehr Ungerechtigkeit; zweitens gaukle sie einen
Wohlstand vor, der weitgehend illusorisch sei; und drittens führe sie sogar
bei den Bürgern des Nordens, die sich immer mehr kaufen könnten, zu weniger
Lebensqualität, hohen Kompensationskosten für die Behandlung von
Erkrankungen oder für Freizeit sowie steigenden Preisen für die knapper
werdenden Güter.
## Autonome, sparsame, solidarische Gesellschaften
Latouche plädiert für den Aufbau von autonomen, sparsamen und solidarischen
Gesellschaften im Norden wie im Süden, was man nur durch Acroissance,
Nichtwachstum, erreichen könne. "Ganz in dem Sinne, wie man von Atheismus
spricht, geht es auch hier um die Absage an eine Religion, die Religion der
Ökonomie", schreibt er. Umgekehrt dürfe dieses Nichtwachstum aber "auch
nicht das einzige Ziel einer Gesellschaft jenseits von Wachstum" sein.
Der Franzose sieht aber sehr wohl, dass sich die Wachstumsdynamik nicht
einfach so unterbrechen und in eine Dynamik der Rücknahme verwandeln lässt
- jedenfalls "nicht ohne eine totale Subversion der Gesellschaft". Konkret
schlägt Latouche einen Mix aus Schrumpfung, Regionalisierung und der
Internalisierung von Kosten vor: So will er den ökologischen Fußabdruck
verkleinern, indem die materielle Produktion auf das Niveau der 1960er
Jahre zurückgeführt, der Energieverbrauch auf ein Viertel reduziert, die
bäuerliche Landwirtschaft wiederbelebt wird, Werbeausgaben dagegen sollen
stark belastet werden.
Den größten Effekt verspricht er sich aber davon, "sämtliche ökologischen
und sozialen Funktionsstörungen (…), also Kosten für Transport, Bildung,
Sicherheit und Arbeitslosigkeit, nach dem Verursacherprinzip den
verantwortlichen Unternehmen" anzulasten. "Lokale Ökodemokratie" nennt er
das.
Latouche ist vor allem ein unverbesserlicher Provokateur, wobei er wenig
von gewaltsamer Gesellschaftsveränderung und linken Revolutionären hält,
obwohl sich diese für seine radikale Kritik der Konsumgesellschaft
interessieren. Schon als er aus der Bretagne nach Paris gekommen war, hatte
er sich als Student an den großen Mobilisierungen gegen den Kolonialismus
und den Algerienkrieg beteiligt. Als dann im Mai 68 die Studenten auf die
Barrikaden gingen, stand der junge Hochschuldozent Latouche konsterniert am
Rande.
Unverhohlene Sympathien hat er dagegen für die Casseurs de pub, jene
Anti-Werbungs-Aktivisten, die Plakate abreißen oder mit Slogans gegen die
"Droge" des Konsums übermalen. Vielleicht meint er so etwas, wenn er sagt,
er hoffe, dass allein "die Anziehungskraft einer konvivialen Utopie"
ausreichend Impulse zur gesellschaftlichen Veränderung liefert.
Seine Ideen werden durch die von ihm und gleichgesinnten Intellektuellen
gegründete Zeitschrift Entropia diskutiert, er inspiriert
Umweltschutzorganisationen auch außerhalb Frankreichs mit seinen Konzepten
der Décroissance. Zeitungen wie Le Monde widmeten ihnen ganze Dossiers oder
lassen ihn zu Wort kommen.
1 Jan 2012
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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