| # taz.de -- Taz-Serie: Die Grenzen des Wachstums: Wertkonservativer Wachstumskr… | |
| > Der einstige Biedenkopf-Mitarbeiter Meinhard Miegel fordert eine Abkehr | |
| > von der "materiellen Verengung". Der Mensch müsse lernen seinen Wohlstand | |
| > neu zu definieren. | |
| Bild: Beschreibt seine Gedanken als "Plädoyer für eine kulturelle Erneuerung"… | |
| FREIBURG taz | Es sind vor allem zwei Irrtümer, die Meinhard Miegel gern | |
| aus der Welt schaffen würde. Erstens: Wachstum hat es immer gegeben. Und | |
| zweitens: Fortschritt ist nur mit quantitativem Wachstum möglich. | |
| Fakt sei vielmehr, dass die Menschheitsgeschichte die meiste Zeit ohne | |
| spürbares Wachstum auskam; die letzten 200 Jahre seien eine Ausnahme | |
| gewesen, sagt der Sozialwissenschaftler und promovierte Jurist, der in den | |
| Siebzigerjahren Mitarbeiter von CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf war. | |
| Zum Beispiel habe sich in den tausend Jahren von Karl dem Großen bis | |
| Napoleon die pro Kopf erwirtschaftete Gütermenge in Mitteleuropa gerade mal | |
| verdoppelt: "Das ist ein Wachstum von durchschnittlich 0,07 Prozent im | |
| Jahr, das ist nicht als Wachstum wahrnehmbar." | |
| Für den zweiten Irrtum zieht Miegel gern ein Beispiel aus der Musik heran: | |
| Wer argumentiere, die Qualität von Schlagern sei nur zu verbessern, indem | |
| man nächstes Jahr 1.030 Schlager statt wie bisher 1.000 komponiere, mache | |
| sich lächerlich. | |
| ## Glaubenssatz ohne Basis | |
| Hingegen ist der Glaube, technischer Fortschritt sei nur machbar, wenn die | |
| Produktion steige, stark verbreitet. Abwegig sei er aber gleichermaßen, | |
| sagt Miegel: "Das ist ein Glaubenssatz, der keine Grundlage hat." Dabei | |
| konzentriert sich Miegel vor allem darauf, die Menschen darauf | |
| vorzubereiten, dass die Zeit des quantitativen Wachstums unweigerlich zu | |
| Ende geht: "Ob wir wollen oder nicht, wir werden das Wachstum nicht mehr | |
| haben." | |
| Die Wirtschaft erreiche schließlich Grenzen, die durch limitierte Rohstoffe | |
| und ökologische Ressourcen, aber auch durch die Verschuldung der Staaten | |
| gesetzt würden. Und deswegen sei es an der Zeit, sich darauf einzustellen, | |
| dass es in Zukunft keine Reallohnverbesserungen mehr geben kann und dass | |
| Dividenden und Zinsen künftig ausbleiben werden. | |
| Diese Entwicklung sei so zwangsläufig, dass jeder Versuch, einzelne Akteure | |
| in Wirtschaft und Politik dafür verantwortlich zu machen, abwegig sei. | |
| Seine Botschaft: "Geratet nicht in Panik, startet keine Revolutionen, | |
| stellt euch lieber auf das Unvermeidbare ein." | |
| ## Visionär und Optimist | |
| Gleichwohl ist der 72-jährige Wissenschaftler, der in Bonn der Stiftung | |
| Denkwerk Zukunft vorsteht, keineswegs Fatalist. Er ist vielmehr ein | |
| Visionär; er ist ein Optimist, der daran glaubt, dass die Gesellschaft zu | |
| einer positiven Fortentwicklung fähig ist. | |
| Die Menschen, so sein Credo, müssen und können lernen, ihren Wohlstand neu | |
| zu definieren - losgelöst von der heutigen "materiellen Verengung": | |
| "Wohlstand ist auch sauberes Wasser, saubere Luft", sagt Miegel, "es sind | |
| lebenswert gebaute Städte, der Erhalt der Kulturlandschaft, soziales | |
| Engagement und gegenseitige Hilfe und Verantwortung." All das könne auch | |
| bei sinkendem materiellen Wohlstand zu einem verbesserten Wohlbefinden | |
| beitragen. | |
| Miegel überschreibt seine Gedanken als "Plädoyer für eine kulturelle | |
| Erneuerung". Darüber hinaus formuliert er aber auch konkrete Forderungen an | |
| die Politik: Die Finanztransaktionssteuer gehe "in die richtige Richtung". | |
| Denn klar sei, dass die Politik in einer Volkswirtschaft, die nicht mehr | |
| wächst, der Umverteilung mehr Raum geben müsse. Darüber hinaus sei die | |
| ökologische Komponente zwingend: "Große Teile der Volkswirtschaft sind | |
| heute mit Fantasiepreisen belegt." | |
| Wer zum Beispiel Erdöl verbrauche, bezahlt damit ja nicht die Produktion, | |
| also nicht die Substitutionskosten des Gutes, sondern nur die Ausbeutung | |
| des Rohstoffs. Künftig müsse Ressourcenverbrauch seinen angemessenen Preis | |
| haben. Und so fokussiert sich Miegels Idee von der Gesellschaft von morgen | |
| in einem Satz, den schon der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler | |
| zitierte: "Gut leben statt viel haben." | |
| 3 Jan 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernward Janzing | |
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