# taz.de -- Ägypten nach den Wahlen: Die nächste Kraftprobe steht bevor | |
> Nach Abschluss der Parlamentswahlen geht in Ägypten es jetzt um die neue | |
> Verfassung. Die Frage der politischen Macht ist weiterhin offen. | |
Bild: Eine Frau ruft pro-ägyptische Parolen am ersten Jahrestag der ägyptisch… | |
BERLIN taz | Kaum waren die offiziellen Ergebnisse der ägyptischen | |
Parlamentswahlen veröffentlicht, rief auch schon eine Gruppe von | |
Abgeordneten am Sonntag dazu auf, die Präsidentschaftswahlen vorzuziehen | |
und das neue Staatsoberhaupt im April, anstatt wie bisher geplant, Ende | |
Juni zu wählen. | |
Tahrir-Aktivisten wiederum wollten am gleichen Tag zu den Häusern von | |
Abgeordneten ziehen, damit diese ihre Forderung nach einer Machtübergabe | |
des Militärrats an das gewählte Parlament am 25. Januar, dem Jahrestag der | |
ersten großen Demonstration in Kairo, unterstützen. Und bereits am | |
vergangenen Samstag gingen in der ägyptischen Hauptstadt mehrere tausend | |
Frauen auf die Straße, die unter anderem "Nieder mit der | |
Militärherrschaft!" riefen. | |
Die Ereignisse machen deutlich, dass mit dem Abschluss der Parlamentswahlen | |
die Frage der politischen Macht weiter offen ist. Die wichtigste Aufgabe, | |
die den neuen Abgeordneten bevorsteht, ist die Einberufung einer | |
Verfassunggebenden Versammlung. Dabei geht es um die Machtverteilung | |
zwischen Parlament und Präsident, der Stellung des Militärs im künftigen | |
Staat, die Rolle der Scharia, des islamischen Rechts, bei der Gesetzgebung | |
und die Definition des Staates. | |
Letzteres betrifft die Frage, ob der Staat als zivil bezeichnet wird und ob | |
es einen Bezug zum Islam gibt. Sowohl die Muslimbrüder als auch die | |
Salafisten, aber auch zivilgesellschaftliche Gruppen feilen schon an ihren | |
Entwürfen. | |
## Öffentlicher Aufschrei | |
Das Militär, das seit 1952 die eigentliche Macht im Staate ist und bis zu | |
30 Prozent der ägyptischen Wirtschaft kontrollieren soll, hatte sich im Mai | |
des vergangenen Jahres in einem Papier der damaligen Regierung weitgehende | |
Rechte gesichert. Dazu gehörte die Ernennung von 80 der 100 Mitgliedern der | |
Verfassunggebenden Versammlung und das Recht, nach sechs Monaten eine neue | |
einzusetzen, falls die Verfassung bis dahin nicht fertiggestellt ist. | |
Außerdem sollten der Militärhaushalt nicht veröffentlicht werden und der | |
Militärrat bei jedem Gesetz, das ihn selbst betrifft, das letzte Wort | |
haben. Dies löste einen öffentlichen Aufschrei der Empörung aus und | |
veranlasste im Herbst sogar die Salafisten dazu, auf dem Tahrirplatz | |
zusammen mit linken Gruppen gegen den Militärrat und für eine zivile | |
Regierung zu demonstrieren. | |
Am Wochenende erklärten die Muslimbrüder, die sich gegenüber dem Militärrat | |
zuvor zurückgehalten hatten und als Organisation nicht zu den | |
Demonstrationen am 25. Januar aufgerufen haben, in expliziter Reverenz an | |
die derzeitigen Herrscher, dass niemand über dem Gesetz stehe. Laut | |
Presseberichten fordert der Militärrat im Falle einer Machtübergabe | |
Immunität für Menschenrechtsverletzungen während seiner Amtszeit. | |
Konfliktstoff gibt es also noch genug. | |
22 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Beate Seel | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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